

Wirtschaftsskandal Wirecard - das Versagen der Aufsichtsräte


Wirecard: Die schönen Aussichten waren über Jahre nicht mehr als heiße Luft. Der Aufsichtsrat hat als Kontrollorgan versagt
Foto:Christoph Stache/ AFP
Der Finanzdienstleister Wirecard soll schon 15 Jahre vor der Insolvenz defizitär gewesen sein, also bereits 2005, wie ein ehemaliger Vorstand behauptet. Bereits 2008 habe er den Aufsichtsratsvorsitzenden darüber informiert, dass die vom Konzern publizierten Daten nur durch massive Manipulationen an der Buchhaltung entstanden sein konnten. Die daraufhin angeblich folgende Diskussion mit dem Vorstandsvorsitzenden Markus Braun sei aber im Sande verlaufen. Es gab also keine Reaktion vom Aufsichtsrat, genauso wenig wie nach allen anderen Vorwürfen, egal von wem, die seit 2008 immer wieder neu hochkamen.
Wenn das stimmt, dann fragt man sich zwangsläufig, was der Aufsichtsrat damals eigentlich gemacht hat? Und all die Jahre seither? Entweder haben die Herrschaften im Kontrollorgan von der Bilanzkosmetik nichts mitbekommen - dann waren sie zu gutgläubig und zu ungeeignet für ihren Job. Oder aber sie hatten Kenntnis von den Tricks, haben aber nichts unternommen - dann könnte man ihnen zumindest Beihilfe vorwerfen.
Im Jahr 2005 ging Wirecard an die Börse. Aufsichtsratsvorsitzender zu der Zeit – von 2002 bis 2008 – war der ehemalige Verlagsmanager Klaus Rehnig. Er war seinerzeit der erste Investor und einer der Gründer der EBS Holding, die dann in Wirecard umbenannt wurde. Sollte tatsächlich schon 2005 getrickst worden sein, wie der damals tätige Vorstand nahelegt, will Rehnig nichts gewusst und nichts bemerkt haben.
Gipfel der Arroganz
Im Dezember 2018 sagt er im Gespräch mit den Volontären der Georg von Holtzbrinck-Schule für Wirtschaftsjournalisten zu den Vorwürfen der Bilanzmanipulation, die damals in den Medien erneut hochzukochen begannen: "Die kommen von anonymen Seilschaften aus der Presselandschaft, verbunden mit ein paar Bankern, die sich eine linke Geschichte ausdenken und in Onlineforen drücken, damit die Aktie abstürzt.”
Der Gipfel der Arroganz sei jedoch, den Kritikern des Zahlungsdienstleisters vorzuwerfen, sie würden nicht genau hinschauen – das sei doch schon damals sein Job gewesen, sagte Rehnig. Den Jungjournalisten diktierte er angesichts der kritischen Berichterstattung unter anderem der "Financial Times" in die Feder: "Das derzeitige Problem ist doch: Journalisten nehmen sich zu wenig Zeit, den aktuellen Geschäftsbericht von Wirecard zu studieren. Wenn ein Unternehmen zehn Jahre lang jedes Quartal mehr als 25 Prozent bei Umsatz und Gewinn wächst, dann sollten sie den Erfolgsfaktoren nachgehen."
In der Tat, diesen Erfolgsfaktoren hätte man nachgehen sollen, denn irgendwann und irgendwo muss der Betrug ja eingesetzt haben; solche Wachstumszahlen sind schließlich für sich genommen schon ungewöhnlich genug. Zudem: 1,9 Milliarden Euro verschwinden nicht einfach so und auch nicht über Nacht. Stattdessen verließ sich Rehnig schon seinerzeit auf seine Erfahrung: "Nach 30 Jahren in internationalen Konzernen weiß ich genau, wie eine Bilanz auszusehen hat. Wer nur einen Hauch von Anstand hat, würde nie eine Bilanz fälschen."
Kontrollaufgaben nicht ernst genommen
Nun, der Aufsichtsrat wird nicht umsonst auch Kontrollorgan genannt. Die Betonung dabei liegt auf Kontrolle und nicht auf dem Organ, auf dem man sitzt. Und so steht es auch im Deutschen Corporate Governance Kodex. Dort ist unter "II Überwachungsaufgaben des Aufsichtsrats, Grundsatz 6" zu lesen: "Der Aufsichtsrat bestellt und entlässt die Mitglieder des Vorstands, überwacht und berät den Vorstand bei der Leitung des Unternehmens und ist in Entscheidungen von grundlegender Bedeutung für das Unternehmen einzubinden.”
Von 2008 an saß zwölf Jahre lang Wulf Matthias im Chefsessel des Wirecard-Aufsichtsrates, der offenbar keine dieser drei Aufgaben ernst genommen hat. Erstens arbeitete Markus Braun über all die Jahre hinweg als Vorstandsvorsitzender. In all den Jahren hat der Aufsichtsrat nie einen neuen Chef des operativen Geschäfts benannt. Folglich hat sich auch nie ein Neuer angesehen, was Markus Braun entschieden und umgesetzt hat.
Zweitens kann der Aufsichtsrat den Vorstand "bei der Leitung des Unternehmens" nicht beraten haben – es sei denn, er war aktiv am Unterschleif beteiligt. Drittens war der Aufsichtsrat ganz offensichtlich nicht wirklich in "Entscheidungen von grundlegender Bedeutung" eingebunden. Wäre das der Fall gewesen, hätte Wulf Matthias bereits bei seinem Amtsantritt hellhörig werden und den damals schon vorliegenden Vorwürfen der Bilanzkosmetik nachgehen müssen.
Jahrelang im Aufsichtsrat - und nicht nachgefragt
So sehen das übrigens auch wichtige internationale Investoren, wie beispielsweise der bekannte britische Hedgefonds Manager Christopher Hohn. Der Chef des milliardenschweren Children's Investment Fund moniert vor allem, dass zwei der fünf Aufsichtsratsmitglieder seit mehr als zehn Jahren in dem Gremium sitzen und dort ganz offensichtlich von Markus Braun so fasziniert waren, dass sie nicht nachgefragt haben.
Das scheint übrigens zum Teil auch für die neuen Aufsichtsräte zu gelten. Im Januar übernahm Thomas Eichelmann das Zepter von Wulf Matthias. Genutzt hat es nicht viel, das findet zumindest Investor Hohn: Er habe Eichelmann "im April aufgefordert, Braun zu entlassen. Stattdessen schlug er sich auf die Seite des Vorstands und sah keinen Grund für personelle Änderungen.”
Wirklich nachgefragt hat wohl auch Eichelmann nicht. Hohns Fazit? "Der gesamte Aufsichtsrat hat versagt und sollte zur Verantwortung gezogen werden."
Heiner Thorborg ist Personalberater und Mitglied der MeinungsMacher von manager-magazin.de. Trotzdem gibt diese Kolumne nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion des manager magazins wieder.