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"Wir wollen viel mehr Brücken bauen"

Interview: Bundeswirtschaftsminister Werner Müller zu seinem neuen Technologie-Förderprogramm.
Von Wolfgang Kaden und Michael O. R. Kröher
aus manager magazin 3/2000

mm* Herr Müller, Sie haben unlängst Ihr technologiepolitisches Konzept vorgestellt. Ist die Entwicklung neuer Technologien heutzutage nicht allein Sache des Marktes? Macht staatliche Technologieförderung noch Sinn?

Müller Bei den Großkonzernen teile ich Ihre Skepsis weitestgehend. Dage- gen sind kleine und mittlere Unterneh- men nicht immer in der Lage, selbst Forschung zu betreiben oder in Auftrag zu geben und sich so an die Spitze des technologischen Fortschritts zu setzen. Das wollen wir ändern, etwa indem wir öffentliche Forschungszentren mit Mittelständlern vernetzen.

mm Kennen Sie einen Fall, in dem ein solches Modell funktioniert hat? Microsoft ist nicht von der Garagenfirma zum Weltmarktführer aufgestiegen, weil es staatlich gefördert wurde.

Müller Microsoft ist so groß geworden, weil es als Start-up weniger mit der Bürokratie zu kämpfen hatte als vergleichbare deutsche Unternehmen. Das ist aber hier nicht Thema unseres Interviews, denn man kann die Behinderung durch Bürokratie nicht durch staatliche Gelder ausgleichen. Wir wollen viel mehr Brücken bauen - zwischen Wissenschaft und Mittelstand. Über diese Brücken sollen Forschungsergebnisse schneller auf den Markt gelangen.

mm Diese Zielsetzung ist nicht neu. Und Sie wären nicht der Erste, dessen löbliche Vorsätze versanden.

Müller Es geht nicht um Vorsätze, sondern um ein konkretes Programm. Mehrere Mittelstandsfirmen, mindestens vier, bündeln ihre Forschungsinteressen. Die werden bedient von zwei oder mehr Forschungseinrichtungen, die sich für das Projekt ebenfalls zusammenschließen. Der Ansatz ist erfolgreich: In den ersten Monaten nach der Programmauflage sind bei uns 287 Vorschläge solcher Projektvernetzungen eingereicht worden.

mm Was erwarten Sie von den kleinen und mittleren Unternehmen?

Müller Deren Neuerungen haben in den vergangenen Jahren dafür gesorgt, dass Deutschland zum Beispiel in der Biotechnologie wieder zur Weltspitze gehört. Ähnliche Effekte wünsche ich mir jetzt auch auf anderen Feldern.

mm Sollte man solche Anstöße nicht dem Markt von Wagniskapital überlassen? Der ist doch in den vergangenen Jahren enorm gewachsen.

Müller Das stimmt, aber auch wegen öffentlicher Förderung. Im Rahmen eines unserer Programme sind 1,5 Milliarden Mark Beteiligungskapital bereitgestellt worden, das Doppelte zum Vorjahr. Die Deutsche Ausgleichsbank und die Kreditanstalt für Wiederaufbau vergeben zinsgünstige Kredite für Beteiligung an Forschung, Entwicklung und Innovationen; sie tragen in gewisser Form auch das unternehmerische Risiko mit. Die Eigenkapitalhilfe für Existenzgründer zum Beispiel wird ohne Beleihungsgrundlage vergeben. Wenn das geförderte Projekt wider Erwarten scheitert, trägt die Bank zusammen mit uns den Schaden. Da unterscheiden wir uns ganz deutlich von gewöhnlichen Bankfinanzierungen.

mm Sehen Sie in Deutschland ein Klima, das Mut zum unternehmerischen Risiko gedeihen lässt?

Müller Im Gegensatz zu unseren europäischen Nachbarn und den USA ist der Berufsweg in die Selbstständigkeit bei uns noch sehr unterentwickelt. In der Schule lernt man praktisch nur noch zwei Berufe kennen: Beamter und Angestellter. Um das zu ändern, unterstützen wir Schüler-Unternehmerprojekte.

mm Klappt das?

Müller Noch nicht in allen Bundesländern. Aber an den Hochschulen fördern wir ganz konkret die Einrichtung von Existenzgründer-Lehrstühlen. Bis zum Jahresende sollen es 25 sein. Es wäre wünschenswert, wenn künftig alle Studenten der entsprechenden Fächer dort mindestens eine Vorlesung belegen müssten.

mm Der schwierige Weg vom Forschungslabor ins Unternehmen wird aber nicht nur von den Lehrplänen verbaut. An den Hochschulen wird immer noch viel zu wenig über marktgerechte Produktentwicklungen nachgedacht, geschweige denn daran gearbeitet.

Müller Ich stimme Ihnen völlig zu. Unter anderem deshalb zielt unser Programm auch darauf ab, die Professoren mit Mittelständlern in Projekten zu verbinden.

mm Kann sich das dann auch für die Hochschullehrer rentieren? Heute hindert sie das Beamtenrecht an unternehmerischen Betätigungen.

Müller Sie sprechen ein Problem an, das der Bundeswirtschaftsminister nicht allein lösen kann: unternehmerische Einkünfte von Hochschullehrern. Da wird zum Teil das Beamtenrecht berührt, und es betrifft auch die Kulturhoheit der Länder. Im Endeffekt, so denke ich, sollten jedoch alle Beteiligten auch materiell etwas von Forschungsergebnissen und Innovationen haben: die Unternehmen, die Hochschulen und schließlich ihre Projektleiter, die Professoren.

mm All Ihre Förderprogramme sind offenbar langwierig, kompliziert, bürokratisch.

Müller Nein. Aber wir dürfen öffentliches Geld nicht blind rauswerfen.

mm Trotzdem, Ihr Programm verströmt den Ruch der Staatswirtschaft.

Müller Wir greifen nur ein an jenen Stellen, an denen der Staat gefordert ist. Wie erreicht man zum Beispiel, dass das Handwerk und kleinere Mittelständler online gehen? Das ist eine Klientel, die teilweise Berührungsängste mit den neuen Informationstechniken hat. Für die das Internet jedoch schon in naher Zukunft eine Existenzfrage ist: Wenn sie den Anschluss ans E-Business verpassen, hat sie morgen keine Aufträge mehr. Die Vermittlung dieser Dynamik wird zum staatlichen Bildungsauftrag.

mm Grundsätzlich: Sind Sie zufrieden, was die deutschen Unternehmen für Forschung und Entwicklung einsetzen? In Schweden werden 3,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts dafür aufgewendet. In Deutschland sind es nur 2,3 Prozent. Ist das genug?

Müller Ich bezweifle, ob diese Statistiken richtig sind, ob international einheitlich gerechnet wird, wenn etwa industrielle Forschung und Entwicklung beziffert werden sollen. In vielen Geschäftsberichten finde ich ganz andere, höhere Zahlen. Die sind auch bitter nötig. Denn das Tempo des Fortschritts nimmt in vielen Bereichen rapide zu.

mm Ist das der deutschen Industrie hinreichend bewusst?

Müller Das kann ich nur hoffen. u

*Das Interview führten die Redakteure Wolfgang Kaden und Michael O. R. Kröher.

*Das Interview führten die Redakteure Wolfgang Kaden undMichael O. R. Kröher.

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