Nach Volksentscheid in Berlin Müssen Vonovia und Deutsche Wohnen ihre Wohnungen nun bald abgeben?

Die Berliner haben per Volksentscheid für die Enteignung von Immobilienfirmen gestimmt, um einen weiteren Anstieg der Mieten zu verhindern. Müssen Vonovia, Deutsche Wohnen und Co. ihre Wohnungen nun bald abgeben?
Kaum ein Normalverdiener kann sich die Mieten in Berlin noch leisten: Die Initiatoren des Berliner Volksentscheids kämpfen für eine Enteignung der Immobilienkonzerne. Rechtlich bindend ist das Votum nicht - obwohl die Berliner SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey eine ernsthafte Prüfung zugesagt hat

Kaum ein Normalverdiener kann sich die Mieten in Berlin noch leisten: Die Initiatoren des Berliner Volksentscheids kämpfen für eine Enteignung der Immobilienkonzerne. Rechtlich bindend ist das Votum nicht - obwohl die Berliner SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey eine ernsthafte Prüfung zugesagt hat

Foto: PAUL ZINKEN / AFP

Vonovia, Deutsche Wohnen und Co. droht Ungemach in Berlin: Dort hat sich eine Mehrheit der Wählerinnen und Wähler am Sonntag für die Enteignung großer Wohnungskonzerne ausgesprochen. Insgesamt 56,4 Prozent der Berliner votierten für den Volksentscheid "Deutsche Wohnen & Co. enteignen", 39 Prozent dagegen, wie am Montag aus Daten der Landeswahlleitung hervorging.

Gleichzeitig wurde das nötige Mindestquorum für die Zustimmung von einem Viertel der Wahlberechtigten erreicht. Damit ist der Berliner Senat laut Beschlusstext nun aufgefordert, "alle Maßnahmen einzuleiten", die zur Überführung von Immobilien in Gemeineigentum erforderlich sind, und dazu ein Gesetz zu erarbeiten.

Konkret geht es bei dem in Deutschland bisher einmaligen Vorhaben um alle profitorientierten Immobiliengesellschaften mit mehr als 3000 Wohnungen in Berlin. Die Wohnungen sollen gegen eine Entschädigung enteignet und in eine Anstalt öffentlichen Rechts überführt werden. Betroffen wären rund 240.000 Wohnungen (15 Prozent des Berliner Bestands an Mietwohnungen) unter anderem von Deutsche Wohnen, Vonovia und Akelius. Ein milliardenschweres und rechtlich umstrittenes Unterfangen.

Mit dem drastischen Schritt der Enteignung will die Initiative einen weiteren Anstieg der Mieten in der Hauptstadt stoppen. In Berlin ist das Niveau vor allem der Angebotsmieten in den letzten Jahren stark gestiegen. Selbst Normalverdiener haben es in etlichen Stadtteilen schwer, eine bezahlbare Bleibe zu finden.

Giffey will Gesetzentwurf erarbeiten lassen

Da der Volksentscheid jedoch kein konkretes Gesetz oder eine Verfassungsänderung zum Inhalt hat, ist das Ergebnis nicht bindend. Der Berliner Senat ist nicht verpflichtet, ein entsprechendes Gesetz zur Enteignung auszuarbeiten.

Die Berliner SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey (43) hat dennoch eine ernsthafte Prüfung zugesagt. Dieser Volksentscheid ist zu respektieren und die notwendigen Schritte sind einzuleiten", sagte Giffey am Montag im ARD-"Morgenmagazin". Giffey äußerte allerdings auch Zweifel an der Umsetzbarkeit der mit dem Volksentscheid verbundenen Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne: "Wenn das nicht verfassungskonform ist, können wir es auch nicht machen."

Bezweifelt die rechtliche Umsetzbarkeit: SPD-Spitzenkandidatin und voraussichtlich künftige Bürgermeisterin von Berlin, Franziska Giffey

Bezweifelt die rechtliche Umsetzbarkeit: SPD-Spitzenkandidatin und voraussichtlich künftige Bürgermeisterin von Berlin, Franziska Giffey

Foto: Sean Gallup / Getty Images

Berlin dürfe sich kein weiteres negatives Urteil beim Bundesverfassungsgericht holen, warnte Giffey im RBB-Inforadio. Das höchste deutsche Gericht hatte zuletzt den Berliner Mietendeckel gekippt. Auch in dem Fall der Enteignungspläne ist es sehr wahrscheinlich, das das Vorhaben beim Bundesverfassungsgericht landet - und ebenfalls gekippt wird. Giffey hat nach dem Wahlsieg der SPD in Berlin gute Aussichten, den künftigen Senat als Regierende Bürgermeisterin anzuführen. Im Wahlkampf hatte sie sich allerdings gegen Enteignungen ausgesprochen.

Die Frage ist auch, ob sich der Senat diese Enteignungen überhaupt leisten kann. Allein die Entschädigungskosten würden sich laut Prognosen des Senats auf 29 bis 36 Milliarden Euro belaufen. Schon jetzt gehört Berlin mit rund 60 Milliarden Euro Schulden zu den am höchsten verschuldeten Bundesländern Deutschlands. Die Enteignungsinitiative rechnet dagegen nur mit 7,3 bis 13,7 Milliarden Euro. Sie will die Immobilienunternehmen nicht mit Geld, sondern mit Schuldverschreibungen entschädigen, die dann über einen Zeitraum von 40 Jahren aus den Mieteinnahmen getilgt werden.

Vonovia mit Deutsche-Wohnen-Übernahme erfolgreich

Deutschlands größter Wohnungskonzern Vonovia hat nach dem Votum der Berliner für eine Enteignung von Wohnungsbeständen großer Konzerne konstruktivere Lösungen gefordert. "Enteignungen lösen nicht die vielfältigen Herausforderungen auf dem Berliner Wohnungsmarkt", sagte Vonovia-Chef Rolf Buch (56) am Montag. Die Politik könne auch nach dem Entscheid konstruktivere Lösungen erarbeiten, die die Sorgen vieler Menschen aufgriffen, sich ihre Wohnung nicht mehr leisten zu können.

"Enteignungen lösen nicht die vielfältigen Herausforderungen auf dem Berliner Wohnungsmarkt."

Vonovia-Chef Rolf Buch

Vonovia steht derzeit kurz vor der Übernahme der Nummer zwei am deutschen Markt, Deutsche Wohnen. Die Bochumer haben sich inzwischen mit 50,49 Prozent des Grundkapitals und der Stimmrechte die Mehrheit an dem Berliner Wettbewerber gesichert, wie Vonovia am Montag mitteilte.

Der 19-Milliarden-Euro-Deal wird gerade in der Hauptstadt heftig kritisiert, da das Immobilienportfolio der Deutsche Wohnen vor allem in Berlin liegt. Im Zuge ihrer Fusionspläne haben die beiden Unternehmen bereits 14.750 Wohnungen an kommunale Wohnungsunternehmen verkauft. Im nächsten Schritt wollen sie ihre Mieten in Berlin freiwillig für die nächsten fünf Jahre begrenzen. Darüber hinaus sind sie bereit, rund 13.000 neue Wohnungen in Berlin zu bauen.

Den beiden im Leitindex Dax gelisteten Immobilienriesen gehören zusammen rund 550.000 Wohnungen im Wert von mehr als 80 Milliarden Euro, der größte Teil davon in Deutschland. Das Bundeskartellamt hatte die Pläne bereits freigegeben.

Vonovia-Aktie legt deutlich zu

Die Börse reagierte denn auch gelassen auf den Volksentscheid in Berlin. So legte die Aktie von Vonovia rund 4 Prozent zu. Anleger reagierten erleichtert darauf, dass Vonovia Deutsche Wohnen nun im dritten Anlauf übernommen hat und die Linke in der neuen Koalition auf Bundesebene keine Rolle spielen dürfte. Und mit der FDP in einer neuen Koalition wird es auch keinen bundesweiten Mietendeckel geben.

Schwedischer Konzern kauft 14.000 Wohnungen in Berlin

Unbeeindruckt vom Volksentscheid zur Enteignung großer Wohnungskonzerne in Berlin hat der schwedische Immobilienkonzern Heimstaden rund 14.000 Wohnungen in der Hauptstadt gekauft. Das Unternehmen teilte am Sonntagabend mit, es erwerbe von Akelius insgesamt 17.600 Wohnungen in Berlin und Hamburg; nach Angaben von Akelius befinden sich 14.050 in der Hauptstadt und knapp 3600 in der Hansestadt.

Der Abschluss des Geschäfts sei für Ende 2021 geplant, teilte Heimstaden weiter mit. Ein Preis wurde nicht genannt. Damit vergrößert der Konzern seinen Wohnungsbestand in Deutschland deutlich. Bislang besaß der Konzern rund 7300 Wohnungen in Berlin, Halle, Magdeburg und Rostock. Europaweit besitzt der schwedische Konzern nach eigenen Angaben etwa 116.000 Wohnungen. Heimstaden ist seit 2018 in Deutschland aktiv.

mg, mbö/dpa-afx, Reuters, AFP
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