Innovationen in Unternehmen So arbeiten Konzerne wie ein Start-up

Marcus Diekmann
Johannes Kliesch
Die Kolumne "Digitale Zwillinge" von Marcus Diekmann und Johannes Kliesch
Ein internes Start-up oder Innovation-Lab in einem Konzern ist Stoff für Alpträume und versenkte Millionen. Um Erfolg zu haben, muss sich das Management auf eine völlig andere Arbeitsweise einstellen – und ein paar typische Gewohnheiten ablegen.
"Verzichtet auf Regeln, setzt nur ein Ziel": Interne Innovationsprojekte brauchen ein völlig neues Skill-Set

"Verzichtet auf Regeln, setzt nur ein Ziel": Interne Innovationsprojekte brauchen ein völlig neues Skill-Set

Foto: Kniel Synnatzschke / IMAGO

Keine Zeit? Hier die Executive Summary:

  • Konzerne kaufen sich Start-ups, weil sie ihnen an Innovationskraft und Geschwindigkeit überlegen sind – und tun dann alles, um Innovationskraft und Geschwindigkeit abzuwürgen.

  • Start-ups oder Innovationsprojekte sind dann in einer Konzernumgebung erfolgreich, wenn sie nicht wie ein Teil des Konzerns geführt werden.

  • Neun Regeln zeigen, wie das geht. Vor allem sollte das Konzernmanagement wie ein Finanzinvestor auftreten.

Das Autoren-Team
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privat

Marcus Diekmann und Johannes Kliesch (l.) schreiben seit Januar 2023 regelmäßig eine Kolumne zu Tech- und Start-up-Themen für das manager magazin. Digital-Unternehmer Diekmann ist Beirat von Rose Bikes, wo er lange Co-CEO war; er ist parallel Investor und engagiert bei Unternehmen wie Shopware oder Scala. Kliesch ist Co-Gründer der Lifestyle-Modemarke Snocks, mit speziellem Fokus auf Social-Media-Branding. Gemeinsam haben sie mit prominenten Partnern die Founders League gegründet, eine Plattform für Business-Angels und Investoren im deutschsprachigen Raum.

Konzerne lieben Start-ups. Weil sie innovativ sind, weil sie schnell sind, weil sie potenziell viel Geld wert sind. Deswegen legen sie Accelerator-Programme auf, leisten sich Inkubatoren oder kaufen vielversprechende Kandidaten einfach vom Markt weg. Und dann? Geht es meistens schief. Die Welt ist voll von gescheiterten Innovationsträumen und enttäuschten Akteuren, die viel Zeit, Energie und oft auch ihre Karriere in ein Projekt gesteckt haben, das am Ende doch nicht flog.

Der Grund dafür ist simpel: Konzerne suchen bei Start-ups oder eigenen Innovationsabteilungen wie Labs oder Hubs etwas, das ihnen selbst in aller Regel fehlt – eben Innovationskraft und Geschwindigkeit. Die jungen Firmen besitzen diese Eigenschaften, nicht weil sie besser sind, sondern weil sie anders ticken. Und deswegen müssen sie auch anders geführt werden. Wenn sich Konzernmanager aber Start-ups zulegen, machen sie genau das in aller Regel nicht – sie führen sie stattdessen wie Teile eines, nun ja, Konzerns. Das muss schiefgehen. Schätzungsweise scheitern 80 Prozent aller Start-ups, die in Konzernen hochgezogen werden (und 70 Prozent aller IT-Projekte).

Der Wille ist – meistens – da, es fehlt der Skill. Und genau da wollen wir ansetzen: Wie schafft man es als Konzern, wie ein Start-up zu arbeiten? Wie erhält man in den Innovationsabteilungen und Labs die Kreativität? Dazu haben wir hier mal ein paar Regeln aufgestellt.

Unsere neun Innovations-Tipps:

Augenhöhe einbauen: Wenn sich Konzerne Leute von außen holen, dann bekommen die oft einen tollen Titel – gehen aber in der Konzernhierarchie unter: zu viele Berichtslinien, zu viele Business-Meetings, kein internes Netzwerk. Ein Mandat zu haben, reicht nicht. Besetzt Führungspositionen (und die Mannschaft) paritätisch, mit einer oder einem aus dem Start-up und einem jeweiligen Konzern-Gegenstück. Gebt ihnen Ziele, die sie nur gemeinsam erfüllen können. So schweißt man zusammen, was zusammengehört.

Hierarchien einebnen: Flache Hierarchien – das ist ein ziemlich schlimmes Schlagwort geworden, das in kaum einer Stellenanzeige fehlt. Damit sich das aber auch tatsächlich in notwendige Wirklichkeit übersetzt, schafft die Abteilungen ab. Start-ups denken nicht in Kostenstellen, sondern in Themen. Sie arbeiten in Task-Forces, die sich projektmäßig neu zusammensetzen, nicht in festen Teams. Direct Reports interessieren niemanden.

Druck aufbauen: Internen Start-ups fehlt das Risiko des Pleitegehens – ist ja eine solvente Mutter da, die am Ende des Monats schön das Geld überweisen wird. Ändert das! Gebt euren Start-ups Budgets, die knapp und endlich sind. Um mehr zu bekommen, müssen sie durch die nächste interne Finanzierungsrunde. Und die bekommen sie nur, wenn sie die entsprechenden Ziele erfüllt haben. (Die man natürlich auch im Vorfeld festlegen muss… Noch so etwas, das gerne vergessen wird.) Ihr feststellen, dass auch der eingefahrenste Mitarbeiter kreativ und agil handeln kann. Ungewissheit und Risiken öffnen Türen, von denen Konzerne nicht mal wussten, dass sie sie haben.

Anreize setzen: Wer ein größeres Risiko trägt, muss auch mehr Chancen bekommen. Ob das nun virtuelle Aktienoptionen sind oder einfach nur fette Boni, mag dahingestellt sein. Wichtig ist nur: Die Mutter will mit dem Start-up richtig Asche machen. Den Leuten, die dafür abgestellt werden, muss das auch möglich sein. Zusammen mit dem richtigen Druck ist das eine Traum-Kombo. Und klar: Erfolge im Start-up zünden den Karriere-Booster im Konzern.

Auf Pläne verzichten: Wenn Konzerne gut sind in dem, was sie tun, dann meistens, weil sie gründlich durchdachte Produkte oder Dienstleistungen anbieten. Das ist nicht der Weg eines Start-ups. Sie brauchen ein Ziel und sonst erst einmal gar nichts. Sie müssen tüfteln können, müssen sich ausprobieren dürfen – test, learn, build bigger. Schnell ist man nicht, wenn man ewig lange alle Eventualitäten durchrechnet. Also: Vergesst den Plan! Gleiches gilt für Richtlinien: Die haben in aller Regel einen Sinn. Aber ein Start-up braucht Freiräume.

Fehler nutzen: Überall geschehen Fehler. In Konzernen will es nie jemand gewesen sein, weil sie Karrieren beenden. In Start-ups sind Fehler wertvolle Lerngelegenheiten, und die Frage nach dem Verursacher ist ziemlich unwichtig. Fehler zeigen, wo und meistens auch wie man besser werden kann. Das kann natürlich nur sehen, wer Fuck-ups nicht politisch betrachtet. Und das geht nur, wenn man Fehler als Teil der Lernkurve begreift.

Klein starten: Auch wenn es schwerfällt: Einer von uns – Marcus – hat mal einen Hersteller beraten, der sich gerade ein E-Commerce-Start-up gekauft hatte. Von Tag 1 standen auf Konzernseite 50 Leute parat, es wurde eigens eine Firma beauftragt, das neue Logo aufzuhängen und so weiter. Musste ja alles seine Richtigkeit haben. Die waren pleite, bevor sie anfingen. Kümmert euch erst einmal nicht um die Optik und stellt nur so viel Leute ab, wie das Start-up selbst anfordert.

Zugang beschränken: Start-ups sind cool, und jeder will gerne cool sein. Sich im Glanz des Konzernneulings zu sonnen, liegt demnach nahe. Und weil Konzerne politische Entitäten sind, tummeln sich plötzlich sehr, sehr viele Menschen im Start-up und drumherum, die ihre "Hilfe" anbieten und mitreden wollen. Zeit fürs Ausmisten. Mitmachen darf nur, wer auch wirklich helfen kann. Und wer das ist, bestimmt das Start-up selbst.

In Ruhe lassen: Die wichtigste Regel von allen. Konzerne takten sich nach wöchentlichen Jour Fixes, Updates, Meetings undsoweiter durch. Für ein Start-up ist diese strukturelle Vereinnahmung Gift. Eine gute Konzernmutter ist dann eine, wenn sie sich wie ein normaler Investor verhält: Der bekommt einmal im Quartal ein Update, überprüft die Zielerreichung – und ansonsten taucht er nur dann auf, wenn er darum gebeten wird. Und mischt sich nur dann ein, wenn es nicht läuft.

Wir wissen, was wir damit fordern. Nichts weniger als den Wandel von einer zentralisierten Anordnungsstruktur hin zu einer dezentralen Weisungsstruktur. Ist das einfach? Nein. Gibt es eine Alternative? Nochmals nein. Jedenfalls dann nicht, wenn man Erfolg haben will. Zielerreichung ist alles, aber wie dieses Ziel erreicht wird, darf und muss das Start-up selbst entscheiden.

Etablierte Unternehmen und Konzerne können ziemlich viel. Aber es erfordert ein vollkommen anderes Skill-Set, ein Unternehmen oder Projekt von 0 auf 50 Millionen Euro Umsatz zu bringen als von 200 auf 250 Millionen Euro. Wer sich als Konzern dieses Unterschieds bewusst ist und entsprechend handelt, tut sich und seiner Investition einen Gefallen.

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