Forderung nach Presse-"Disziplinierung" Warum die Rechtfertigungen des Start-up-Beirats unglaubwürdig sind

Auf Distanz zur Weitergabe des Positionspapiers: "Ich wusste nicht, dass ein veraltetes Dokument inklusive im Beirat abgelehnter Einzelpositionen gezielt an die Medien geschickt wurde", sagt Amorelie-Gründerin und Beiratsmitglied Lea-Sophie Cramer
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Ein Positionspapier von Start-up-Größen, das eine "Disziplinierung der Presse" fordert, eine Pflicht zur Berichterstattung auch über kleinere Börsengänge empfiehlt sowie einen "Erlass von Regeln zur Vermeidung einseitig diffamierender Artikel ": Solche Gedankengänge würde man eher in totalitären Regimen vermuten als im demokratischen Deutschland.
Kein Wunder also, dass ein entsprechendes Dokument des Beirats Junge Digitale Wirtschaft, der das Bundeswirtschaftsministerium berät, für Empörung sorgt. Das Positionspapier war ohne Wissen des Hausherren Peter Altmaier (CDU; 63) längere Zeit auf der Website des Ministeriums veröffentlicht. Nachdem das "Handelsblatt" am Montagabend über das Papier von Mitte April 2021 berichtet hatte, wurde es von der Website gelöscht, zugleich setzte eine Welle der Empörung und der Schadensbegrenzung ein.
Altmaier distanzierte sich umgehend. Der Deutsche Journalisten-Verband sprach von "völlig absurden Forderungen". Unterzeichnet haben das Papier Amorelie-Gründerin Lea-Sophie Cramer (34), der Chef des halbstaatlichen Hightech-Gründerfonds Alex von Frankenberg sowie Christoph Gerlinger, CEO des börsennotierten Tech-Investors German Private Equity.
Die Autoren übten sich umgehend in Schadensbegrenzung. Alle distanzierten sich von dem eigenen Papier. Gerlinger entschuldigte sich und bot Altmaier seinen Rücktritt aus dem Beirat an. Den Rücktritt nahm Altmaier kurz darauf an. Auch der Beirat, der von dem Unternehmer und Investor Christian Vollmann (43) geleitet wird, ging via LinkedIn-Post in Windeseile auf Abstand zu den erschreckend realitätsfernen Thesen.
Wie das Positionspapier an die Öffentlichkeit kam
Die Rechtfertigungswelle wirft bei genauerer Betrachtung allerdings unschöne Fragen auf. Beiratsvorsitzender Vollmann erklärte etwa in dem LinkedIn-Post , dass versehentlich ein "falsches und veraltetes Dokument" veröffentlicht worden sei. Allerdings fiel das Positionspapier nur deshalb auf, weil es die Autoren dem "Handelsblatt" selbst angeboten haben. Das zumindest berichten Redakteure der Wirtschaftszeitung:
Dass der Beirat nun von einer "vorläufigen Arbeitsversion" spricht, überrascht. Autoren kamen mit exakt diesem Papier und Bitte um Berichterstattung zum @handelsblatt - auf Nachfrage bekräftigten sie Wunsch nach "strengeren Anforderungen". @LarissaHolzki https://t.co/V0bYmiFqqj
— Michael Verfürden (@mv6) July 13, 2021
Noch pikanter: Auch Cramer und von Frankenberg sollen laut "Handelsblatt" mitgeteilt haben, dass Gerlinger auch in ihrem Namen spreche. Dem widersprach Lea-Sophie Cramer gegenüber dem manager magazin: "Ich wusste nicht, dass ein falsches und veraltetes Dokument inklusive im Beirat abgelehnter Einzelpositionen dem Handelsblatt oder einem anderen Medium gezielt geschickt wurden."
VC-Szenegröße Klöckner fordert weitere Rücktritte
Gerlinger rechtfertigte vor seinem gestrigen Entschuldigungs-Stakkato laut "Handelsblatt" die Zensurforderungen ausdrücklich. Für das "Handelsblatt" seien solche Verpflichtungen zwar nicht nötig, sagte Gerlinger den Redakteuren der Wirtschaftszeitung zuvor. Aber grundsätzlich würden Börsengänge von Tech-Unternehmen "auch 20 Jahre nach dem Platzen der Bubble regelmäßig als überteuerte Nachwehen des Neuen Marktes verunglimpft", beschwerte sich Gerlinger gegenüber der Zeitung. Deshalb müsse es nach Ermessen des Beirats "etwas strengere Anforderungen an die sachliche Richtigkeit und Vollständigkeit" geben, wie er in einer E-Mail an das Blatt schrieb.
In der Stellungnahme hatte er dann aber später behauptet: "Diese Formulierung entspricht weder der Position des Beirats noch der Mitautoren noch der von mir." Gerlinger selbst wollte sich auf Anfrage von manager magazin nicht zu den Vorwürfen äußern. Er sei kein Beiratsmitglied mehr, begründete er seine Entscheidung.
Der Investor und VC-Berater Philipp Klöckner forderte auch die anderen Beiratsmitglieder zum Rücktritt auf. Er sagte dem manager magazin: "Gleich ob das Gremium das Papier bewusst unterstützt oder nur fahrlässig die Prüfung unterlassen hat: In jedem Fall scheinen die Beteiligten der Verantwortung nicht gewachsen und sollten ihre Posten zur Verfügung stellen. Zeitmangel oder Abstimmungsprobleme können einen Fauxpas solchen Ausmaßes nicht entschuldigen."