OpenAI-Technikchefin Mira Murati Sie schuf ChatGPT – und würde den Bot gerne zügeln

Mira Murati, Technikchefin von OpenAI, spricht sich für die Regulierung von KI-Anwendungen wie ChatGPT aus
Foto: JP Yim / DVF IWD Event / Getty ImagesDieser Artikel gehört zum Angebot von manager-magazin+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Fragt man ChatGPT nach seiner Schöpferin Mira Murati (34), so glänzt der Sprachbot mit Unwissenheit: "Als KI habe ich keine Informationen darüber, wer genau Mira Murati ist, da ich nicht alle Menschen auf der Welt kenne." Dabei ist Murati die Technikchefin des Softwareunternehmens OpenAI, das den Chatbot im November letzten Jahres veröffentlichte – sie hat ihn also erschaffen. Doch selbst wenn man insistiert und auf Muratis Verbindung zu OpenAI hinweist, erscheint nur folgender Satz: "Mira Murati ist keine bekannte Persönlichkeit in der OpenAI-Organisation."
Ist die Unwissenheit Zufall? Mindestens ist sie sehr erstaunlich. Murati leitet die Teams von ChatGPT und der Bildsoftware DALL-E. Vor allem ChatGPT hat einen beispiellosen Hype um künstliche Intelligenz ausgelöst, innerhalb von zwei Monaten haben mehr als 100 Millionen Menschen weltweit die neue Technik ausprobiert. Google soll wegen des Chatbots sogar einen "Code Red" ausgerufen haben, der Wettlauf der Techfirmen um die führenden KI-Dienste ist in vollem Gange. Er wird vor den Augen der ganzen Welt ausgetragen, die kontrovers über Chancen und Risiken diskutiert. Erstaunlich still blieb es dabei bislang um die Frau, die hinter der Technik steckt. Schaut man genauer auf Mira Muratis Arbeit und ihr Leben, so bleibt nur der Schluss: Das ist Absicht.
Interviewwünsche lässt sie meist unbeantwortet, so auch eine Anfrage des manager magazins. Folge des Schweigens ist, dass sich bereits Mythen um sie ranken. Einige Medien berichten beispielsweise, dass sie in den Vereinigten Staaten geboren wurde und dort aufwuchs. In einem Video mitschnitt eines Symposiums an der US-Universität Colorado Boulder aus dem Jahr 2021, der einen ihrer seltenen öffentlichen Auftritte dokumentiert, erzählt die Technikchefin allerdings, dass sie ihre Kindheit und Jugend in Albanien verbrachte. "Zum ersten Mal für künstliche Intelligenz habe ich mich interessiert, als ich als Kind Videospiele gespielt habe. Ich habe darüber nachgedacht, ob die Charaktere irgendeine Art von logischem Denken haben oder nicht", erzählt Murati darin. Abstrakte und komplexe Gedankengänge hätten sie früh fasziniert, schon als Kind war sie an Mathematik interessiert. "Es gab nicht viele Möglichkeiten, die Theorie in die Praxis umzusetzen, also konzentrierte ich mich bis zum College mehr auf die theoretische Mathematik", sagt die 34-Jährige.
In ihren seltenen Auftritten traut sie sich sogar Selbstkritik an ihrer Arbeit zu, sie ist auch eine gute Rednerin, wirkt kompetent, nahbar, formuliert ihre Sätze klar und verständlich, kann so erklären, dass auch Menschen ohne technischen Hintergrund eine Chance haben, die Hintergründe von ChatGPT zu verstehen. Aber offensichtlich ist es der Technikchefin wichtig, Informationen über sich zu kontrollieren.
Murati entdeckte bei Tesla ihre Leidenschaft für KI
Laut ihrem LinkedIn-Profil studierte Murati in den Vereinigten Staaten im Bachelor Maschinenbau am prestigeträchtigen Dartmouth College. Nach ihrem Abschluss arbeitete sie als Ingenieurin beim Flugzeugausrüster Zodiac und entdeckte dann beim Elektroautohersteller Tesla als Senior Produkt Managerin ihre Passion: Dort verantwortete sie die Entwicklung und den Start von Teslas Elektro-SUV Model X. Durch das autonome Fahren kam Murati in Kontakt mit künstlicher Intelligenz. Nach drei Jahren bei dem Elektroautohersteller und zwei darauffolgenden beim Virtual-Reality-start-up Leap Motion, heute Ultraleap, entschied sich Murati 2018 bei OpenAI anzufangen – um sich mehr auf "generelle" künstliche Intelligenz zu konzentrieren, wie sie sagt.
Als Murati 2018 bei OpenAI startete, war das Unternehmen noch als gemeinnütziges Forschungsinstitut konzipiert, die Mission lautete: "sicherzustellen, dass künstliche allgemeine Intelligenz der ganzen Menschheit zugutekommt". 2019 folgte die Abkehr vom reinen Non-Profit-Modell.
Murati legte bei OpenAI eine steile Karriere hin. Sie begann als Vizepräsidentin für Angewandte künstliche Intelligenz und Partnerschaften, stieg zur Senior-Vizepräsidentin für Forschung, Produkte und Partnerschaften auf. Seit Mai 2022 verantwortet sie OpenAIs Technik – und schweigt trotzdem nicht über ihre Zweifel an ihrer Schöpfung.
"Wir haben nicht mit dieser Begeisterung gerechnet, als wir unser 'Kind' in die Welt gesetzt haben. Tatsächlich hatten wir sogar etwas Angst davor, es zu veröffentlichen", sagte sie im Februar dem Magazin "Time". In dem Interview thematisiert sie auch, dass der Chatbot Fakten erfindet.
Offen für Regulierung von KI-Anwendungen
In einem Auftritt in der US-Talkshow "The Daily Show " vor fünf Monaten lernt man viel über Muratis Verständnis der Produkte, die sie selbst mitgestaltet. So beschreibt sie KI-gestützte Anwendungen als Helfer der Menschen: "Wir sehen sie als Werkzeuge, als Erweiterung unserer Kreativität."
Auch die gesellschaftlichen Folgen des KI-Booms treiben sie um. So wird sie in der "Daily Show" auch darauf angesprochen, dass KI-Einsatz zu einem Wegfall von Jobs führen könnte. Sie antwortet: "Wie in allen Revolutionen, durch die wir gegangen sind, wird es neue Jobs geben und andere verloren gehen (....) Aber ich bin optimistisch."
Bemerkenswert ist ihre Antwort auf eine Frage des "Time Magazine", das wissen wollte, wie man sicherstellen kann, dass KI-Anwendungen nicht missbraucht werden und im Einklang mit menschlichen Werten stehen. Sie sollten "ultimativ im Dienst der Menschheit" handeln, sagt Murati, und zeigt sich offen, politische Entscheidungsträger und andere Aufsichtsbehörden in den Prozess mit einzubeziehen. Auf die Nachfrage, ob es nicht zu früh wäre, die Politik zu involvieren, antwortete die Technikchefin: "Es ist nicht zu früh. Es ist sehr wichtig für jeden, sich zu beteiligen, wenn man bedenkt, was für einen Einfluss diese Technologien haben werden."
Ein eher ungewöhnlicher Ansatz für die Technikchefin eines Techunternehmen aus dem Silicon Valley. Er zeigt aber, dass sich Murati der möglichen negativen Folgen ihrer Schöpfung durchaus bewusst ist.