Marktlücken finden Warum Innovation für neue Geschäftsmodelle überschätzt wird

Marcus Diekmann
Johannes Kliesch
Eine Kolumne von Marcus Diekmann und Johannes Kliesch
Wer neue Geschäftsideen sucht, darf sich nicht an der Masse orientieren. Die Chance liegt in der Nische – und davon gibt es in Deutschland jede Menge. Um sie zu finden, reicht schon ein Schnellcheck per Google.
"Land der ungenutzten Ideen"

"Land der ungenutzten Ideen"

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Stefan Zeitz / imago images

Keine Zeit? Hier die Executive Summary:

  • Gute Geschäftsideen liegen nicht dort, wo sich alle tummeln. Sondern abseits des Rampenlichts.

  • Erfolg hat nicht, wer analoge Geschäftsmodelle 1:1 digitalisiert – sondern komplett neu denkt. Und schwachen Brands durch gute Markenarbeit Marktanteile abnimmt.

  • Um Gelegenheiten zu finden, braucht es keine teure Marktforschung, sondern nur eine simple Google-Checkliste: Marktsituation, Wettbewerber-Standing, Produktbewertungen, Suchvolumen. Also los!

Das Autoren-Team
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privat

Marcus Diekmann und Johannes Kliesch (l.) schreiben seit Januar 2023 regelmäßig eine Kolumne zu Tech- und Start-up-Themen für das manager magazin. Digital-Unternehmer Diekmann ist Beirat von Rose Bikes, wo er lange Co-CEO war; er ist parallel Investor und engagiert bei Unternehmen wie Shopware oder Scala. Kliesch ist Co-Gründer der Lifestyle-Modemarke Snocks, mit speziellem Fokus auf Social-Media-Branding. Gemeinsam haben sie mit prominenten Partnern die Founders League gegründet, eine Plattform für Business-Angels und Investoren im deutschsprachigen Raum.

Es gibt eine Regel, die jeder kennt, der sein Geld anlegt: antizyklisch investieren. Nicht auf den Hype setzen, denn wer das tut, kommt zu spät zur Party. Oder gerade rechtzeitig zum Platzen der Blase. Ist in der Theorie ganz einfach, in der Praxis aber deutlich schwerer – wenig ist so mächtig wie der Herdentrieb.

Diese Regel gilt auch für alle, die ihr Kapital in neue Geschäftsmodelle investieren wollen. Das Problem nur: Statt echten Pioniergeist zu beweisen, werden auch dabei meist einfach nur die großen Trends aufgenommen und bestenfalls hochskaliert. Egal, ob in Start-ups oder etablierten Unternehmen – das allermeiste ist schlicht copy-paste, copy-paste, copy-paste. Noch ein E-Commerce-Laden, anyone?

Dabei ginge und geht das auch anders. Das soll hier nicht ein wohlmeinendes, aber letztlich kraftloses Wort zum Sonntag werden, das "Seid bitte alle mutiger" in die Welt ruft. Wir wollen konkrete Tipps und Denkanstöße geben, wie man es als Gründer, Investorin oder angestellter Produktmanager vermeiden kann, die immer gleichen Fehler zu machen.

Raus aus der Mitte!

Das gravierendste Hemmnis für neue Geschäftsideen ist der Herdentrieb. Wir verstehen den im Prinzip: Wo schon viel investiert wird, ist es oftmals leichter, weiteres Geld bei Wagniskapitalgebern oder den Vorgesetzten locker zu machen. Die Grund-Economics sind in der Mitte des Marktes zudem in der Regel besser als am Rand, und wenn das alle machen, kann das ja so falsch nicht sein, oder? Aber das ist nicht nur langweilig, das übersieht auch, dass man weniger Konkurrenz hat, wenn man als Erste oder Erster eine Branche oder ein Marktsegment disruptiert. Und wo noch niemand ist, gibt’s am meisten einzusacken.

Stellt sich die Folgefrage: Wie findet man solche unbearbeiteten Märkte? Unsere Antwort: Entweder man bewegt sich wirklich ganz, ganz weit vorne im Innovationszyklus – schon mal über sinnhafte Produkte fürs Metaverse nachgedacht? Oder man sucht dort, wo niemand über Innnovation redet. Denn tatsächlich wird Innovation am Produkt für ein funktionierendes Geschäftsmodell maßlos überschätzt: Wir beide – Marcus und Johannes – machen in Rädern und Socken, an denen hat sich seit Ewigkeiten nichts verändert. Alles, was wir anders gemacht haben oder machen: Wir sind lauter, schneller und zielgruppengerechter im Marketing unterwegs. Nix Innovation.

Und ein Blick auf den Wirtschaftsstandort zeigt, dass dieser Ansatz hierzulande ziemlich, ziemlich gut geeignet wäre.

Deutschland – Land der ungenutzten Ideen

Wir haben jede Menge Branchen, die in Sachen Disruption schön gemütlich vor sich hindösen. Digitalisierung – war da was? Ob das nun Möbel sind, Immobilien, Kosmetik, Fahrräder oder, oder, oder. Überall ungenutzte, ungemachte Märkte. Überall Ideen im Wartestand.

Nehmen wir mal als Beispiel unser Gesundheitswesen: ein Riesenmarkt. Und im Prinzip hat sich seit Jahrzehnten nichts verändert. Du machst dir einen Termin, gehst in die Praxis, wartest. Siehst den Arzt oder die Ärztin, bekommst ein Rezept, gehst zur Apotheke, nimmst deine Medikamente. Wenn’s nicht besser wird, geht das Spiel von vorne los. Kann man so machen. Ist aber ein riesiger Verwaltungsaufwand für die Praxen, es sitzen da eigentlich immer zwei, drei Leute an der Rezeption, kaum digitale Prozesse, und ein eher mediokres Produkterlebnis beim Kunden/Patienten. Telemedizin überträgt das bislang stumpf ins Virtuelle: Du siehst den Doktor jetzt auf Zoom, ansonsten bleibt alles gleich.

Es wäre doch viel besser, wenn man vieles davon digital machen kann, nach spätestens 24 Stunden einen Online-Termin, Diagnose, Rezept und Therapie bekäme. Wenn man die Wirksamkeit quasi täglich überprüfen lassen kann, bei Hauterkrankungen beispielsweise via Foto-Upload, bei anderen Problemen via Vitalparametern oder spezieller App. Es gibt Start-ups, die das bereits umsetzen. Das aber geht nur, wenn das komplette Arbeits- und Geschäftsmodell dahinter ein anderes ist als das einer typischen Arztpraxis.

Der Clou ist: nicht alte Prozesse und Geschäftszyklen 1:1 ins Digitale rüberhieven! Sondern ganze Wirtschaftsabläufe neu denken. Was geht schneller/einfacher/billiger/besser? Wie kann ich Intermediäre und Prozessschritte überflüssig machen? Wie eine Transaktion userzentristischer gestalten? Und dabei ist es erstmal ziemlich egal, ob die Innovation digital ist oder nicht. In einer Welt, in der auch künftig 50 Prozent aller Umsätze offline stattfinden werden, ergibt es ohnehin Sinn, sich nicht nur über online Gedanken zu machen …

Due Diligence mit Google

In Ordnung, ist eine Dornröschenbranche ausgemacht – wie geht’s dann weiter? Sinnvoll sind eine Produkt- und eine Marken-Analyse. Dafür braucht man entweder viel Geld und Zeit für Marktforschung – oder Hands-on-Mentalität, eine kurze Checkliste und eine Suchmaschine. Here we go:

Schritt 1: Produkt-Analyse

Gibt es für das Produkt/die Dienstleistung schon mehr als 100 Apps im Store? Lass es. Hat das Produkt schon mehr als 500 Bewertungen auf Amazon? Lass es. Gibt es mehr als 500 Google Reviews für Unternehmen, die dasselbe machen? Lass es. Gibt es mehr als drei gefundete Start-ups, die dasselbe machen? Genau, du ahnst es: Lass es.

Diese Checkliste abzuarbeiten, kostet nicht einmal eine Stunde. In der Zeit bekommt man sogar noch die Finanzierungsrunden seiner potenziellen Wettbewerber mit (alles über 1 Million Euro bekommt in der Regel von überstolzen Investoren eine Pressemitteilung geschenkt). Das ist zwar keine 360-Grad-Marktanalyse. Aber es gibt ein Gefühl dafür, ob du in den Wartehallen der VCs Gruppenkuscheln veranstalten kannst.

Schritt 2: Markenanalyse

Hast du deine Branche, such nach dem, was wir Fachhandel-Marken nennen: Marken mit guten Produkten, die jeder Händler, aber kein Endverbraucher wirklich kennt – und die deshalb schwache Marken sind. Deutschland ist voll davon. Hat die Marke ein geringes Suchvolumen? Wächst es nur langsam, stagniert es oder ist es gar rückläufig? Hat sie nur wenig Follower? Oder überhaupt keine Social-Media-Accounts? Dann interessiert sich kein Mensch für diese Marke, und man kann ihr verhältnismäßig leicht Geschäft abnehmen.

Schwache Marken sind gute Marken – für den Angreifer

Gerade klassische Zulieferer-Marken sind in aller Regel schwache Marken: Niemandem ist es wichtig, was genau in seinem Benz verbaut ist. Da liegt also Potenzial, denn es geht auch anders. PC-Marken sind in aller Regel unwichtig (wie viele Asus-Jünger kennst du?), aber der Aufkleber "Intel Inside" ist ein Qualitätsversprechen, das jedem etwas sagt. Und wer sich ein Fahrrad kauft, schaut in aller Regel nicht nach einer besonderen Bike-Marke. Aber eine Bremse von Shimano sollte das Teil schon haben.

Bleiben wir mal bei Rädern, da kennen wir uns aus. Der Rad-Markt ist per se reif für Disruption – weil es kaum starke Brands gibt. Die Markeninszenierung in Fahrradläden ist quasi nicht vorhanden: Da steht Rad an Rad; die meisten sehen aus wie ein Lagerraum mit Kassenschalter. Lastenräder boomen zwar, aber das ist ein reiner Kategorie-Hype, der von keinem Hersteller dominiert wird. Das ist aber kein Naturgesetz: Denn bei Kinderrädern gibt es einen klaren Champion – Woom. Gut gepflegte Wooms verkaufen sich beinahe zum Neupreis, es gibt sogar Wartelisten. Weil die Marke stark ist. Weil man bei Woom viel Zeit, Geld und Mühe ins Marketing steckt.

Das ist im Markt nicht unbeobachtet geblieben: Einer von, Marcus, bekommt wegen seiner Fahrrad-Vergangenheit im Jahr (er war mal Geschäftsführer von Rose Bikes) etwa 20 bis 30 Pitches von Bike-Start-ups zugeschickt. Die meisten klappt er sofort wieder zu.

Ein anderes Beispiel: Schulranzen. Wir sind noch mit Amigo oder Scout auf dem Rücken in die Schule gegangen. Heute heißt der Marktführer Ergobag. Die Ursache war keine Revolution im Geschäftsmodell an sich. Ergobag hat seine Produkte anders designt und einfach seine Marke besser aufgebaut, eine bessere, zeitgemäßere Endkundenansprache gefunden. Bam.

Fassen wir noch mal zusammen: Such dir eine Branche abseits des Hypes. Such dir ein Geschäftsmodell oder Produkt, dass du wirklich verbessern kannst (digital oder analog, völlig egal). Such dir eine Kategorie, die besetzt ist mit schwachen Marken. Und dann kümmere dich um deine eigene. Mit viel Liebe und Zeit.

Das Geld liegt auf der Straße. Warte nicht, bis die Herde darüber trampelt.

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