Artificial Leadership Eine KI-Maschine kann der bessere Chef sein

Ein Roboter als Vorgesetzter? Eine künstliche Intelligenz, die Führungsaufgaben übernimmt? Das ist keine Science-Fiction, sondern der Beginn einer neuen Realität. Wir sollten rational darüber nachdenken, wo Algorithmen uns überlegen sind.
Künstliche Intelligenz: Beim "Artificial Leadership" ist eine Maschine für die Entscheidungsfindung zuständig

Künstliche Intelligenz: Beim "Artificial Leadership" ist eine Maschine für die Entscheidungsfindung zuständig

Foto: Alexander Limbach / IMAGO

Das chinesische Unternehmen NetDragon Websoft hat Tang Yu zur Firmenchefin ernannt. Warum das interessant ist? Weil Frau Yu kein Mensch ist, sondern eine künstliche Intelligenz (KI). Der deutsche Mittelständler Aqua Römer Mineralbrunnen setzt eine KI ein, die via Funk selbstständig die Logistikmitarbeiter im Lager steuert und ihnen Anweisungen gibt. Umfragen zeigen, dass jeder vierte Arbeitnehmer Angst hat, durch eine KI ersetzt zu werden – und zwar unabhängig von der Hierarchiestufe.

Unternehmen werden in Zukunft nicht nur die besten Mitarbeiter und Manager einstellen, sondern auch die besten Algorithmen anschaffen und diesen auch Führungsaufgaben übergeben. Das führt unweigerlich zu einem neuen Themenfeld, mit dem wir uns befassen müssen: Artificial Leadership. Damit verbunden sich grundlegende Fragen: Darf eine KI geschäftsrelevante Entscheidungen treffen? Darf sie Anweisungen an Menschen geben? Und wenn ja, unter welchen Bedingungen?

Der Bereich, in dem dieser Fragen zuerst geklärt werden, ist die Digitalisierung von Produkten und Prozessen, um die kein Unternehmen herumkommt. Nur auf dieser Basis und mit den zugehörigen digitalen Geschäftsmodellen werden wir in Zukunft überhaupt noch wettbewerbsfähig sein. Aber genau aus dieser digitalen Transformation ergeben sich auch erst jene Daten, die eine KI braucht, um Muster zu erkennen, diese zu interpretieren und daraus Entscheidungen abzuleiten. Wer also meint, die Pflicht überspringen und direkt zur Kür übergehen zu können – also, KI einzuführen, ohne zuvor eine digitale Transformation durchlaufen zu haben – wird schnell eines Besseren belehrt werden.

Konkurrenz von Mensch und Maschine

Genau die Umsetzung dieser digitalen Transformation wird der Vorgang sein, bei dem Mensch und Maschine aber direkt aufeinandertreffen, was unmittelbar zu der Frage führt, wer eigentlich für diesen Prozess zuständig sein sollte. Wer ist im Spannungsfeld zwischen der Digitalisierung des Bestandsgeschäfts und der Entwicklung des digitalen Innovationsgeschäfts für die Führung zuständig und wer für die Ausführung? An diesem Punkt wird oft die Einsetzung eines Chief Digital Officers (CDO) diskutiert, also ein Mensch als verantwortliche Führungskraft für die Digitale Transformation.

Gleichzeitig zeigt die rasante Weiterentwicklung der künstlichen Intelligenz, dass eine Maschine nicht nur einfache Rechenaufgaben bei der digitalen Automatisierung übernimmt, sondern deren Ergebnisse auch direkt dafür einsetzt, Arbeitsabläufe und -prozesse zu steuern – woraus dann Arbeitsanweisungen an (menschliche) Mitarbeiter resultieren. Es treffen hier also zwei unterschiedliche Formen von Führung aufeinander: "Digital Leadership", bei der ein CDO, also ein Mensch, die verantwortliche Entscheidung trifft, und "Artificial Leadership", bei der eine KI, also eine Maschine, für die Entscheidungsfindung zuständig ist und auch für die Umsetzung sorgt. Diese Betrachtung erfolgt zunächst vollkommen wertfrei, ohne die ethische und soziale Fragestellung zu berücksichtigen, ob eine Maschine über einen Menschen bestimmen darf – ein bedeutsamer Punkt, der an anderer Stelle selbstverständlich diskutiert werden muss.

Hier soll zunächst die Annahme reichen, dass alle rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geklärt sind und sowohl der Mensch als auch die Maschine es "gut meinen" und ihre Entscheidungen frei von externen Störfaktoren treffen können. Eine voreingenommene KI, die Daten anhand der Vorurteile ihrer Programmierer interpretiert, wäre schließlich genauso unangebracht wie ein voreingenommener Vorgesetzter.

Wo der Mensch überlegen ist – und wo nicht

"Digital Leadership" beschreibt einen Führungsstil, bei dem eine verantwortliche Führungskraft den digitalen Wandel nicht nur will, sondern auch das notwendige Wissen und die Fähigkeiten hat, diesen konsequent und kompetent umzusetzen. Der Bereich, in dem der Mensch bei der Entscheidungsfindung und -umsetzung einer KI weiterhin überlegen wäre, ist insbesondere das Innovationsgeschäft mit einer zugehörigen Unternehmensführung in Bezug auf neue Geschäftsfelder. Auf Basis ihres Wissens über das aktuelle Geschäft und interne Prozesse können menschliche Entscheidungsträger zukünftige Entwicklungen (noch) besser antizipieren. Sie sind in der Lage, auf der strategischen Ebene neue Möglichkeiten zu entdecken und neues Wissen zu generieren, indem sie mithilfe digital erhobener Daten bestehende Prozesse und Geschäftsmodelle analysieren und daraus nach selbstgenerierten Kriterien Chancen und Risiken abschätzen. Es handelt sich trotz dieser Datenunterstützung aber immer noch um eine kompetenzorientierte Geschäfts- und Organisationsentwicklung durch den Menschen im operativen und strategischen Bereich.

"Artificial Leadership" dagegen ist ein Führungsprinzip, bei dem eine KI über einen Big-Data-Ansatz nicht nur die benötigten Daten bekommt, sondern diese mithilfe von Algorithmen auch eigenständig auswerten und daraus Handlungsanweisungen ableiten kann, die dann vom Menschen akzeptiert werden. Das bedeutet, die Entscheidungsfindung wird automatisiert, die Mitarbeiter eines Unternehmens erhalten datengetriebene Arbeitsanordnungen von einer Maschine. Dies kann in bestehenden Geschäftsbereichen sinnvoll sein, bei denen es darum geht, sich wiederholende, routinemäßige Aufgaben zu erledigen und dabei systematisch und konsequent zu vorzugehen – denn genau dies sind die Stärken von künstlicher Intelligenz. Dies spricht etwa für einen Einsatz von KI-Anwendungen in der Automatisierung und weiteren Tätigkeiten im Bestandsgeschäft mit einer zugehörigen Geschäfts- und Organisationsentwicklung durch die Maschine im operativen und sogar auch im strategischen Bereich.

Eine Studie des MIT bestätigt, dass nicht nur die Produktivität in Werken mit KI- beziehungsweise Robo-Chefs höher ist. Die Zufriedenheit der Mitarbeiter ist es auch. Das liegt daran, dass sie ihre Anweisungen nüchtern vorgetragen, analytisch fundiert und gerecht verteilt von einer KI erhalten. Bei Amazon und Hitachi erfassen KI-Systeme nicht nur die Arbeitsabläufe einzelner Mitarbeiter, sondern registrieren in kürzester Zeit auch Auslastung und Produktivität der gesamten Betriebsstätte – und können diese mit variablen, externen Faktoren verrechnen, also zum Beispiel zu Spitzenzeiten selbstständig zusätzliche Kräfte anfordern. Ihre Arbeitsanweisungen erteilen sie nicht auf Basis persönlicher Vorlieben oder spontaner Emotionen, sondern anhand sachlicher Fakten.

Ein Besser-oder-schlechter-Schema bringt uns nicht weiter

Die Diskussion um "Artificial Leadership" steht erst am Anfang und wird durch die weitere Entwicklung der KI-Technologie weiter beeinflusst werden. Sicherlich müssen dogmatische und ethisch relevante Aspekte in die Mensch-Maschine-Betrachtung einfließen. Dabei könnte es hilfreich sein, sich nicht von einem wertenden Besser-oder-schlechter-Schema leiten zu lassen, sondern zu einer zielorientierten Betrachtung zu kommen: Welche Hard- und Soft-Skills werden in einem bestimmten Arbeitsumfeld benötigt? Welches Führungsprinzip ist für welche Entscheidungen besser geeignet? Welches lässt sich im konkreten Fall besser umsetzen?

Damit wäre die Antwort auf die Frage "Mensch oder Maschine?" (zumindest im Moment) kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch. Noch ist Zeit, sich die Folgen der zweiten digitalen Revolution bewusst und machen und über ihre Auswirkungen auf die Entscheidungsfindung zu diskutieren. Doch eins steht bereits fest: ChatGPT ist heute, Artificial Leadership ist morgen.

Prof. Dr. Tobias Kollmann ist Inhaber des Lehrstuhls für Digital Business und Digital Entrepreneurship an der Universität Duisburg-Essen. Kollmann ist Mitglied der MeinungsMacher  von manager-magazin.de. Trotzdem gibt diese Kolumne nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion des manager magazins wieder.

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