
Ego killt Innovation Die Arroganz der digitalen Elite


Digitale Coolness: Personalberater Thorborg empfiehlt dem Digitalversteher von heute eher menschlichen Glanz
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In den 1980er und 1990er Jahren waren die Investmentbanker und Strategieberater mit den großen Markennamen auf der Visitenkarte die Arroganz in Person, heute sind es die Digitalisierungsversteher. Transportierten seinerzeit Kenzo-Anzüge, Hermès-Krawatten und teure, aber diskrete Aftershaves die Aura der Gottähnlichkeit, sind es jetzt Shorts, verwaschene T-Shirts und IT-Gadgets.
Die Schnösel von einst demonstrierten ihr Selbstwertgefühl mit einem teuren Firmenwagen, die Schnösel von heute kommen mit dem E-Scooter und Bandanas im Haar um die Ecke gebraust. Doch Schnösel bleibt Schnösel, und sein Schlachtruf ist immer noch derselbe wie früher: "Schaut her, ich kann es mir erlauben!" Das Outfit mag heute anders sein, die Geisteshaltung aber ist konstant: Ich bin ja so viel besser als du - und kann es mir leisten, dies auch zur Schau zu stellen.
Früher sahen die Alten auf die Jungen herab. Heute ist es umgekehrt.
Wenn die Welt zunehmend automatisiert wird, werden menschliche Qualitäten von Führungskräften immer wichtiger. Doch die neue digitale Elite scheint das oft zu vergessen. In den Unternehmen ist digital gestützte Coolness angesagt: Altgediente Führungskräfte gelten vielerorts nicht mehr als Hort der Erfahrung, sondern als vom Aussterben bedrohte Dinosaurier. Dieses Umfeld erlaubt den Jungen, zu glauben, dass sie die ersten sind, die jemals über Technologie und Innovation nachgedacht haben.
Dass sie vielleicht den einen oder anderen diplomatischen Schachzug oder strategischen Trick noch nicht so draufhaben könnten wie die Anzugträger, kommt ihnen nicht in den Sinn. Kurz: Früher sah in vielen Betrieben Alt auf Jung herunter und Erfahrung auf Nachwuchs. Heute ist es umgekehrt. Die Jungen finden das Erfahrungswissen der Alten lächerlich und die angestammte Unternehmenskultur verstaubt.
Hat sich deswegen tatsächlich etwas Relevantes zum Besseren gewendet? Nicht wirklich. Wie bei jeder Revolution blicken nun die neuen auf die alten Eliten herab, aber das bedeutet noch lange nicht, dass es auch gerechter oder intelligenter zugeht. Denn wenn sich in einer Organisation die einen den anderen unterlegen fühlen müssen, geht nicht nur der Spaß an der Arbeit über Bord, sondern auch der offene Austausch von Ideen. So sorgt Überheblichkeit nicht nur für Unsicherheit, sondern auch für Widerstand. Echter Wandel geht anders. Die Jungen, die sich für das Geschenk des Universums an die Innovationskraft halten, verstehen oft nicht, wie korrodierend ihr Verhalten häufig wirkt.
Digitalisierung macht Empathie, Takt und Manieren nicht überflüssig. Im Gegenteil.
Die Devise müsste doch lauten: Aussehen wie alle anderen, aber Neues denken. Und nicht: Anders aussehen, aber genauso ego-eskaliert auftreten wie die Generation zuvor. Shorts im Büro sind kein Garant für gute Ideen, genauso wenig wie ein Anzug im Vertriebsgespräch bedeutet, dass sein Träger ein Keyboard nicht von einem Surfboard unterscheiden kann.
Die schlechten Manieren vieler Hotshots, ihr Mangel an Respekt und Loyalität, überhaupt die Abwesenheit von Werten, die über die auf dem eigenen Konto hinausgehen, waren in den berühmten "Goldfisch-Pools" (wie man vor 30 Jahren den hoffnungsfrohen Nachwuchs nannte) schon anstrengend. Daran hat sich nichts geändert, auch wenn sich die Goldfische heute "digital nomads" nennen.
Künstliche Intelligenz, Digitalisierung und elektronisch übermittelte Kommunikation machen korrekte Rechtschreibung, vollständige Sätze und gutes Benehmen nicht etwa überflüssig, genauso wenig wie Empathie und Takt oder die Notwendigkeit, als Führungskraft einen Sinn für Humor zu entwickeln, der über TikTok-Clips hinausreicht. Im Gegenteil: Menschliche Qualitäten im direkten Kontakt werden mit zunehmender Automatisierung sogar wichtiger.
Die digitalen Nomaden, die irgendwann keine coolen Kids mehr sein können, sondern Positionen übernehmen wollen, in denen sie Vorbildcharakter haben und ihren Arbeitgeber nach innen und außen repräsentieren müssen, täten aus Sicht eines erfahrenen Personalberaters (der schon seit 20 Jahren keine Krawatten mehr trägt) gut daran, sich zügig ein paar Manieren zuzulegen. Und eventuell auch einen gut geschnittenen Anzug.