Verirrte Start-ups Der dümmste Fehler der deutschen Gründerszene

Marcus Diekmann
Johannes Kliesch
Eine Kolumne von Marcus Diekmann und Johannes Kliesch
Jahrelang haben Start-ups und Investoren ihre Gründungen vor allem auf eine Benchmark hin optimiert – auf eine ziemlich bekloppte. Mit dem Ende des lockeren Geldes ist eine Neubesinnung notwendig.
"Unsinn. Murks. Rumheulerei"

"Unsinn. Murks. Rumheulerei"

Foto: FG Trade / iStockphoto / Getty Images

Keine Zeit? Hier die Executive Summary:

  • Start-ups streben eine möglichst hohe Bewertung an. Die ist zwar cool, bringt aber nix. Jedenfalls nicht, wenn man an steigenden Renditeerwartungen nicht kaputtgehen will.

  • Das hat jahrelang niemanden interessiert: Gründer nicht, Investoren nicht. Jetzt, wo das Geld knapp wird, fällt das allen auf die Füße. Es droht die Implosion, weil die Bewertungen eben eines nicht waren: werthaltig.

  • Dagegen helfen zwei Dinge: weniger Gier im Markt – haha. Und ein Gründertyp, der mehr Unternehmer als KPI-Optimierer ist

Okay, zwei Nachrichten, die schlechte zuerst: Die deutsche Gründerszene  rennt seit gut einer Dekade einem komplett falschen Ziel hinterher. Einem ziemlich bekloppten noch dazu. Anders kann man es schließlich kaum nennen, wenn Start-ups reihenweise ihre Wachstumskurve schön in Richtung Pleite optimieren.

Welches Ziel wir meinen? Das der größtmöglichen Bewertung, der bis an die Schmerzgrenze ausgereizten Finanzierungsrunden, der Maximalsummen, die als Ziel an sich verstanden und geistlos abgefeiert werden.

Das Autoren-Team
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Marcus Diekmann und Johannes Kliesch (l.) schreiben seit Januar 2023 regelmäßig eine Kolumne zu Tech- und Start-up-Themen für das manager magazin. Digital-Unternehmer Diekmann ist Beirat von Rose Bikes, wo er lange Co-CEO war; er ist parallel Investor und engagiert bei Unternehmen wie Shopware oder Scala. Kliesch ist Co-Gründer der Lifestyle-Modemarke Snocks, mit speziellem Fokus auf Social-Media-Branding. Gemeinsam haben sie mit prominenten Partnern die Founders League gegründet, eine Plattform für Business-Angels und Investoren im deutschsprachigen Raum.

Zugegeben: Von Silicon-Valley-Bewertungen sind wir in Deutschland weit entfernt. Im Grasland des hiesigen Unternehmertums mögen 2022 tatsächlich 30 Einhörner vor sich hingeäst haben, und eine viel größere Herde wird es wohl auch nicht mehr werden. Nur ändert das nichts daran, dass seit Jahren auch bei uns die Augen, die Ambitionen und damit auch Bewertungen immer größer werden. 2016 hatten alle Finanzierungsrunden in Deutschland zusammen einen Wert von 2,2 Milliarden Euro. 2022? Flossen trotz Krise und Krieg laut Start-up Barometer von EY insgesamt 9,9 Milliarden Euro! Das ist nach dem Wahnsinnsjahr 2021 der mit Abstand zweithöchste Wert aller Zeiten. Und gab es vor zwei Jahren nur 8 Großdeals mit einem Wert von mehr als 100 Millionen Euro, waren es im abgelaufenen Jahr immer noch satte 19. Das ist ein Hockey Stick auf Metaebene.

Schon mal was von "Kapitaldienstfähigkeit" gehört? Oh, oh …

Ist ja auch erstmal schön. Hört sich toll an, schenkt allen Beteiligten das gute Gefühl, jetzt mal so richtig Asche zu machen. Und auf der Coolness-Skala gibt es auch ein paar Punkte. 50 Millionen eingesammelt, 100 Millionen eingesammelt, 200 Millionen eingesammelt – yey. Als Gründer kennen wir das geile Gefühl, wenn Investoren einem ein paar tolle Zahlen zurufen. Man fängt sofort an zu denken: Geht da nicht noch mehr? Das ist ganz natürlich. Aber eben halt nicht immer das Schlaueste.

Klar, es wird handfeste Werte hinter einigen dieser Summen geben. Nur selbst, wenn: Wie geht's dann weiter? Jede Finanzierungsrunde hat ja nicht nur diesen leicht nervigen Nebeneffekt, dass die nächste größer sein muss. Sondern auch den, dass der Wertzuwachs handfest begründet sein sollte. Irgendwann im Leben eines Start-ups kommt jedoch der Moment, an dem Wachstumsfantasien dafür allein nicht mehr reichen. Und das ist dann der Augenblick, an dem der wunderbar behördige Begriff der "Kapitaldienstfähigkeit" seinen großen Auftritt im Finanzierungsdramolett der deutschen Gründerszene hat – und zwar eher nicht als lustiger Sidekick, der für Comic Relief sorgt.

Spielen wir das mal durch: Ein Start-up mit einer Finanzierungsrunde von 100 Millionen Euro braucht in einem solchen Do-or-Die-Moment (und nichts anderes ist das) ein Ebit von 10 Millionen Euro, allein um standardmäßige Rendite-Erwartungen der Investoren zu bedienen. Wie realistisch ist das für die meisten? Ganz genau. Und ratzfatz wird aus dem erhofftem Exit eine Tür, die einem höflichst der Insolvenzverwalter aufhält.

Warum die Szene so viel Bullshit produziert

Der erhoffte Exit – unserer Meinung nach liegt genau da das Problem: In dem Maße, in dem Start-ups mit Geld zugeschmissen wurden, ging dem Markt das eigentliche Ziel verloren: Unternehmen aufzubauen, die tatsächlich werthaltig sind, auch über ein paar Finanzierungsrunden hinaus. Aus einer gesamtwirtschaftlichen Perspektive betrachtet ist ein Exit nun mal kein sinnhaftes Business-Ziel. Wir sind selbst Gründer und Investoren; jede Woche bekommen wir im Schnitt 50 Angebote, unser Geld in irgendwas zu stecken. 90 Prozent davon – mindestens – sind die Powerpoint-Folien nicht wert, auf die man sie gedengelt hat. Und die anderen 10 Prozent wollen in aller Regel Summen für Beteiligungen, dass man denkt, da sitzt das Komma an der falschen Stelle.

Im Ernst: Diese absolute, irrsinnige Verkultung einer hohen Bewertung ist schuld daran, dass die deutsche Gründerszene so viel Bullshit produziert. Jeder will gründen, aber keiner das Risiko tragen, das es heißt, ein Unternehmen von der Pike auf aufzubauen. So wird das nix mit dem Wirtschaftswunder.

Schuldige gibt es viele: Es sind ja nicht nur all die Gründerinnen und Gründer, die lieber verkaufen statt aufbauen wollen. Diesen Typus haben sich die Wagniskapital-Investoren selbst herangezogen – nicht selten haben sie solche Leute sogar explizit auf irgendwelche rumliegenden Business-Ideen gecastet (Das muss man sich erstmal reinziehen!). In ihrer Verblendung haben die Geldgeber selbst auch noch das achte Onlyfans für vegane Klempner mit "Shut up and take my money" bejubelt. Und ihre VC-Bonanza ist von Jubelberichten in sozialen und journalistischen Medien angeheizt worden, die jede neue Rekordfinanzierung in die Welt posaunen, als wäre viel Geld allein ein Wert an sich.

Was wirklich hilft

So. Und nu? Alles verloren? Natürlich nicht. Ja, den Start-up-Standort Deutschland hat das zurückgeworfen. Und ja, vor uns liegt womöglich eine Pleitewelle, eine harte Zeit voller Zwangsverkäufe und -sanierungen, voll geplatzter Anschlussfinanzierungen, nicht erreichter Business-Ziele und dem Konfetti geschredderter Wachstumstories. Denn dass die Zeiten flamboyanter Finanziererei sich dem Ende zuneigen, krächzen inzwischen die Geier von den Inkubator-Dächern: Inflation und Ukraine-Krieg belasten makroökonomisch, und die Zinswende an den Kapitalmärkten bedeutet fürs Wagniskapital vor allem steigende Renditeerwartungen – womit wir wieder bei der Kapitaldienstfähigkeit wären. Niemand steckt schließlich sein Geld in Gründungen, wenn er dafür nur ein paar mickrige Prozentpunkte mehr Rendite bekommt als in weit weniger riskanten Anlageklassen. Und nein, der Ruf nach Regulierung, Staatshilfen oder Ähnlichem, der hier und da bereits anklingt, ist und bleibt: Unsinn. Murks. Rumheulerei.

Was wirklich hilft, sind weder staatliche Eingriffe noch Appelle, beim nächsten Mal cool zu bleiben und es gar nicht erst zu solchen Überhitzungen kommen zu lassen. Dafür ist Gier eine viel zu starke Triebfeder. Was wirklich hilft, ist vor allem eines: echtes Unternehmertum.

Auf den ersten Blick mag das zu easy klingen. Aber mal im Ernst: Damit wäre wirklich viel erreicht. Heutige Gründer sind viel zu häufig Business-School-Typen, die ihre BWL verstehen, prozessual exzellent sind und wissen, was OKRs von KPIs unterscheidet. Das ist auch durchaus wichtig. Nur ersetzt das nicht den unbedingten Willen zum Erfolg – und der ist meistens eben nicht bei Menschen zu finden, die genauso gut Karriere in Konzernen machen könnten. Sondern dort, wo Leute ins eigene Risiko gehen, statt mit dem Geld von VCs spielen.

Wieso es nach der Pleitewelle besser wird

Nicht falsch verstehen: Es gibt in Deutschland Dutzende, Hunderte von Start-ups, die solide arbeiten, die echte Werte schaffen und die eine realistische Bewertung haben. Wahrscheinlich machen die weniger Schlagzeilen, und Sequoia-Material dürfte unter ihnen auch eher weniger zu finden sein. Aber ganz sicher die nächste Generation von Firmen, die das deutsche Unternehmertum prägen werden.

Diese Start-ups werden durch die kommende Abwärtsbewegung besser kommen als die hochgezüchteten Bewertungsmonster. Was wiederum bedeutet: Nach dieser Pleitewelle wird die deutsche Start-up-Szene gesünder sein, besser und im umfassendsten Sinne nachhaltiger. Realistischer. Und das wäre dann die gute Nachricht.

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