Chef der Bundesnetzagentur "Ein E-Auto-Fahrer kann den Akku etwas langsamer laden"

Netzagentur-Chef Klaus Müller: "Wir wollen den Anschluss von Wallboxen für E-Autos und Wärmepumpen ermöglichen"
Foto: Rolf Vennenbernd / dpa / picture allianceDieser Artikel gehört zum Angebot von manager-magazin+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Klaus Müller (52) hat wenig Zeit. Besucher und Besucherinnen, die auf ihn warten müssen, setzt der Chef der Bundesnetzagentur gern ins "Klavierzimmer", benannt nach einem hellen Flügel, den die Bonner vom Bundespostministerium geerbt haben – einer Behörde, die einst Geld im Überfluss verteilen konnte.
Das ist lange her. Heute streiten Manager, Lobbyisten, Politiker und Beamte auf den verschiedensten Ebenen über Macht und Einfluss im Energiemarkt der Zukunft. Und von Müllers Regeln hängt maßgeblich ab, wer wie zum Zuge kommt.
manager magazin: Herr Müller, Sie waren lange Jahre das Gesicht des Verbraucherzentrale-Bundesverbands. Wie haben Sie Ihren Rollenwechsel vom Verbraucherschützer zum obersten Regulierer verkraftet?
Klaus Müller: Einen Interessenverband zu führen war eine tolle Aufgabe, aber auch etwas völlig anderes. Ich habe nichts vergessen, was ich in puncto Verbraucherschutz und dessen Durchsetzung in dieser Zeit gelernt habe. Jetzt aber ist es meine Aufgabe, faktenbasierte Entscheidungen innerhalb des Regulierungsrahmens zu treffen. Effizient und im Sinne der Gesetze. Das ist eine ganz neue Herausforderung – und das ist auch gut so.
Vor allem beim Netzausbau gibt es einiges zu tun. Die Fortschritte drohen auf der Strecke zu bleiben, wenn es nicht gelingt, die vielfältigen Verteilungskämpfe zu beenden…
Ich bin ein unerschütterlicher Optimist. Für mich ist das Glas halb voll. Mit den Schritten, die die Bundesregierung auf den Weg gebracht hat, sind wir beim Netzausbau schneller als noch vor zwei Jahren.
Das mag sein. Wir sind aber aufgrund der Versäumnisse der Vorgängerregierungen immer noch nicht schnell genug. Was können Sie tun?
Die Bundesnetzagentur digitalisiert und beschleunigt ihre Verfahren, wo immer das möglich ist. Die Netzbetreiber unterstützen wir dabei, jede gesetzlich beschlossene Beschleunigung zu nutzen: vom Bündelungsgebot bis zum vorzeitigen Maßnahmenbeginn. Am Ende werden es viele Maßnahmen sein, die in Summe einen schnelleren Ausbau möglich machen.
In der hochumstrittenen Frage, ob die regionalen Verteilnetzbetreiber E-Autos oder Wärmepumpen dimmen können, wenn eine Netzüberlastung droht, kommen Sie nicht voran. Wie können Sie diesen Konflikt lösen?
Wir haben allen Marktakteuren zwei Monate Zeit eingeräumt, in denen unser Regulierungsvorschlag von 2022 kommentiert werden konnte. Die Anmerkungen werten wir gerade aus und wir werden noch vor der Sommerpause einen ausgearbeiteten Vorschlag veröffentlichen. Damit konsultieren wir alle Akteure noch einmal. Und dann werden wir uns im Herbst endgültig entscheiden, damit die Regelung zum 1. Januar 2024 in Kraft tritt.
Warum dauert das so lange?
Die Regelung und die erforderliche Regulierung sind komplex, und wir hören uns alle Seiten sorgfältig an. Dafür nehmen wir uns die notwendige Zeit.
Worauf wird es ungefähr hinauslaufen?
Erstens: Wir wollen den Anschluss von Wallboxen für E-Autos und Wärmepumpen ermöglichen. Das heißt, es wird eine Regulierung sein, die ganz klar das Ziel hat, die ehrgeizigen Ziele der Bundesregierung zu verwirklichen. Neue Anlagen müssen angeschlossen werden. Das darf nicht mit Hinweis auf Netzprobleme verweigert werden. Zweitens: Wir müssen konzedieren, dass die örtlichen Netze nicht überall so ausgebaut sind, dass sie eine hohe Gleichzeitigkeit der Nutzung ermöglichen.
Was bedeutet das konkret?
Die denkbare Situation: Alle kommen nach Hause und wollen nach der Arbeit ihr E-Auto aufladen. Da gilt es Netzüberlastungen vorzubeugen. Wie stark das in Zukunft zum Problem wird, kann heute noch keiner sagen.
Warum nicht?
Allein, weil es zum Beispiel Homeofficearbeit gibt, wir wissen also gar nicht, wie oft und wann die Menschen ihre E-Autos tatsächlich laden wollen. Unsere Regulierung muss aber auf alle Eventualitäten vorbereitet sein. Netzbetreiber sollten die Möglichkeit erhalten, den Verbrauch der Stromkunden zu dimmen. Der Netzbetreiber darf das Laden aber nur dimmen, wenn nachweisbar die Stabilität des jeweiligen Netzbereichs in Gefahr ist.
Wie genau?
Ein E-Auto-Fahrer kann den Akku dann etwas langsamer laden. Es geht ausdrücklich nicht darum, dass ein E-Auto gar nicht laden kann. Im Gegenzug erhalten die Stromkunden eine Ermäßigung bei den Netzentgelten. Und die Netzbetreiber müssen jene Netze, in denen es zu Problemen kommt, unverzüglich ausbauen. Sie sehen, da haben wir einen verbraucherfreundlichen Vorschlag zur Diskussion gestellt.
Es macht aber für den Fahrer oder die Fahrerin eines E-Autos schon einen Unterschied, ob der Akku am Morgen nur halb geladen ist …
Wir rechnen damit, dass Eingriffe des Netzbetreibers nur in Ausnahmefällen notwendig werden. Und für die durchschnittliche Fahrt bis zur Arbeitsstätte wird es reichen.
De facto wird es also anfangs eine Rationierung von Strom für Privatkunden geben?
Unser Vorschlag beschränkt Einschränkungen auf das absolut Notwendige, um Netzprobleme zu verhindern. Das dürfte in unser aller Interesse sein.
Was ist mit der Industrie? Wenn die Verteilnetzbetreiber so viel mehr Eingriffsmöglichkeiten bekommen, könnten sie ja auch bei drohender Überlastung Betriebe vom Netz nehmen. Halten Sie das für wünschenswert?
Das ist eine Frage des Strommarktdesigns der Zukunft. Ganz grundsätzlich ist es aber so, dass die Industrie sogar zunehmend ein Geschäftsmodell darin sieht, freiwillig vom Netz zu gehen und sich dies vergüten zu lassen. Nicht alle Betriebe brauchen einen kontinuierlichen Stromfluss. Mich erreichen aus der Industrie zurzeit mehr Wünsche nach Flexibilität als das Gegenteil – eine interessante Entwicklung.