Investoren jagen Einhörner "Für die Großen bleibt nur der Börsengang"

Dreistellige Milliardenbeträge fließen weltweit in Start-ups. Investoren haben es vor allem auf die Großen abgesehen. Über die Jagd nach Größe, die favorisierten Branchen und welche Rolle US-Investoren spielen, spricht Venture-Capital-Experte Ashkan Kalantary von KPMG.
Das Interview führte Lutz Reiche
Exit: Draftkings-Chef Jason Robins auf dem Schirm der New Yorker Technologiebörse Nasdaq zum milliardenschweren Börsengang der Fantasy-Sport-Firma am 11. Juni

Exit: Draftkings-Chef Jason Robins auf dem Schirm der New Yorker Technologiebörse Nasdaq zum milliardenschweren Börsengang der Fantasy-Sport-Firma am 11. Juni

Foto: SHANNON STAPLETON / REUTERS

manager magazin: Herr Kalantary, nahezu wöchentlich meldet ein Start-up , es hätte bei der Bewertung die Milliardenschwelle geknackt. Laut jüngster Studie  aus Ihrem Haus investierten Wagniskapitalgeber weltweit bis Ende März rund 127 Milliarden Dollar und damit so viel wie nie zuvor in einem Quartal. Gibt's schon Schätzungen für das zweite Quartal?

Ashkan Kalantary: Ich denke, dass wir auch für das zweite Quartal weltweit stabile Wagniskapital-Investitionen erwarten können. Unser nächster Venture Pulse Report erscheint Ende Juli, dann wissen wir es genauer.

Zur Person

Ashkan Kalantary leitet den Bereich Venture Services der Unternehmensberatung KPMG. Der promovierte Wirtschaftswissenschaftler ist zugleich ausgewiesener Praktiker und begleitete im Zuge seiner Laufbahn knapp hundert Start-ups dabei, den richtigen Geschäftspartner zu finden, etablierte Unternehmen bei ihrem digitalen Wandel und viele Start-ups bei ihrer Wachstumsfinanzierung. Der Fokus liegt dabei auf Tech-Start-ups, Scale-Ups sowie Unicorns.

Welche Branchen liegen derzeit vorn in der Gunst der Investoren?

Was wir hören ist, dass erneut Künstliche Intelligenz, Robotik und Lösungen im Zusammenhang mit der Blockchain im Fokus der Wagniskapital-Investoren stehen. Ich bin gespannt, wann der Rebound der Travel-Start-ups kommt.

Mit 40 Prozent des VC-Volumens waren im ersten Quartal vor allem "Einhörner" die großen Gewinner - also Start-ups, die es auf eine Bewertung von mehr als einer Milliarde Dollar bringen. Schreibt sich dieser Trend fort?

Ja, das zeichnet sich ab. Dabei konnten wir in den vergangenen Wochen sehen, dass auch neue Einhörner aus Deutschland dazukommen. Insbesondere Unternehmen aus den Bereichen Software und Fintech boomen gerade. Sie spiegeln somit die europaweite Tendenz für den Aufstieg der Finanzdienstleistungen wider. Damit stoßen neben den üblichen B2C-Firmen wie Scalable Capital auch immer mehr B2B-Firmen in den Kreis der Einhörner vor: Celonis  etwa, das Unternehmenssoftware anbietet, stieg mit der letzten Finanzierungsrunde von einer Milliarde US-Dollar sogar zum Decacorn auf und ist damit jetzt mehr als zehn Milliarden Dollar wert. Und der schwedische Bezahldienst Klarna wiederum katapultierte seinen Unternehmenswert auf rund 46 Milliarden Dollar.

Das erinnert an den Teufel, der sich immer den größten Haufen sucht. Aber warum ist das so, warum spielen größere Start-ups, die ohnehin schon gut finanziert sind, proportional mehr Geld ein?

"Deutsche und europäische Investoren investieren lieber in 'sicherere' Unternehmen und weniger in riskante Phasen"

Frühphasen sind einfach riskanter, da das Geschäftsmodell noch nicht erprobt ist. Der Product-Market-Fit ist unsicher – also, ob das für einen bestimmten Markt gewählte Produkt oder die Dienstleistung sich auch dauerhaft verkaufen lässt. Deutsche und europäische Investoren sind weiterhin risikoaverser als ihre amerikanischen Pendants. Sie investieren lieber in 'sicherere' Unternehmen und weniger in riskante Phasen. Das zeigen auch unsere Zahlen: So wurden im ersten Quartal 2021 in Europa insgesamt rund 7,19 Milliarden US-Dollar in die Spät- und Endphase von Start-ups investiert, in die Frühphase floss mit knapp 5,3 Milliarden US-Dollar weniger Geld.

Big ist nicht immer beautiful, das zeigen die Geschichten von Wework und Uber. Auch diese beiden Unternehmen waren einst schwer gehypte Start-ups.

Das Wachstum von Wework ist abhängig von der Skalierung im Real Estate Markt. Die Expansion bei Uber hängt von den Fahrern und der Regulierung ab. Software skaliert schneller und einfacher, wie wir am Beispiel Celonis sehen. Dennoch sind Investoren vorsichtiger geworden.

Viele milliardenschwere Einhörner wie der deutsche Online-Broker Trade Republic, der kleinere Wettbewerber Scalable  oder das französische Krypto-Start-up Ledger profitieren vor allem vom Hype an der Börse. Die ist – Niedrigzinsen hin oder her – keine Einbahnstraße. Reiten Fintech-Investoren hier die Welle, wagen sie zu viel?

"Fintechs sind keine Nischen-Unternehmen mehr und für Investoren sehr attraktiv"

Das sehe ich nicht so. Die Fintech-Branche hat sich in den vergangenen Jahren zu einer der attraktivsten Start-up-Branchen entwickelt, nicht nur in Europa, sondern weltweit. Fintechs sind keine Nischen-Unternehmen mehr und für Investoren sehr attraktiv. Das sehen wir an großen Finanzierungsrunden wie zum Beispiel Klarna mit 640 Millionen US-Dollar, Lendinvest mit rund 682 Millionen Dollar oder Mambu mit rund 135 Millionen US-Dollar. Vor allem aber ist der Markt mittlerweile breiter aufgestellt: Während wir anfangs mit N26 und Co. eher Anbieter für Bankenlösungen sahen, haben wir es heute mit B2C-Tradingplattformen zu tun oder auch mit B2B-Lösungen. Gerade im Bereich B2B sehe ich noch großes Potenzial.

GP Bullhound hat mal nachgerechnet : 801 Milliarden Dollar sind die Tech-Start-ups in Europa derzeit wert. 52 Einhörner mit einer Gesamtbewertung von 95 Milliarden Dollar kamen allein dieses Jahr bis Mitte Mai hinzu. 18 Start-ups sind bereits Decacorn, Klarna bringt es wie gesagt auf 46 Milliarden Dollar. Bleibt bei solch hohen Bewertungen nur ein Börsengang als Exit?

Sicher, wir sehen immer die IPOs, da diese öffentlich bekannt sind. Im ersten Quartal 2021 gab es in Europa 34 solcher Börsengänge. Und in der Tat: Für die Großen bleibt nur der Börsengang. Unsere Zahlen zeigen aber, dass es bei Exits ganz überwiegend um Trade Sales geht – also Verkäufe oder Teilverkäufe an andere Unternehmen - von denen es im ersten Quartal 2021 in Europa knapp 50 gab. Hier kommt es zum Teil auch zu Downrounds …

… also zu Anschlussfinanzierungen mit einer niedrigeren Bewertung als in der vorangegangenen Finanzierungsrunde …

… ja genau, das kann passieren. Davon haben wir im ersten Quartal dieses Jahres etwa 15 solcher Finanzierungsrunden gesehen.

Welche Rolle werden Spacs als möglicher Käufer von Start-ups in Europa und Deutschland künftig spielen?

Start-ups benötigen Kapital, um stetig weiter wachsen zu können. Neben dem Kapital fehlt vielen Unternehmen oft Expertise und die Kraft, einen Börsengang durchzuführen. Bei manchen Geschäftsmodellen ist die Auswahl an internationalen Wagniskapitalgebern zudem knapp. Spacs-Börsengänge könnten diese Lücke schließen. Gerade aus den USA haben wir einige stark befüllte Spacs, die ihr Kapital platzieren müssen, da die Sponsoren sonst auf ihren Kosten sitzen bleiben. Hier erwarten wir rege Investitionen.

Werden wir also künftig mehr angelsächsische Investoren sehen, die nach Start-ups in Europa und vielleicht auch in Deutschland greifen?

Kalantary: Ich denke, ja. Denn Start-ups aus Europa bringen Investoren im Vergleich zu den USA und China aktuell höhere Renditen pro investiertem Euro. Und wie gesagt: Prallgefüllte Spacs aus den USA suchen gute Übernahmeziele.

"Prallgefüllte Spacs aus den USA suchen gute Übernahmeziele"

Deutsche Firmen haben in den ersten sechs Monaten so viel Geld wie nie zuvor in einem ersten Halbjahr an der Börse eingesammelt – nicht wenige davon Start-ups. Was glauben Sie, wo stehen wir am Jahresende was Volumina und Anzahl der IPOs angeht?

Kalantary: In der Tat haben wir seit Jahresbeginn im Wirtschaftsraum Europa, Naher Osten und Afrika mehr als 100 Börsengänge gesehen, und damit so viele wie seit Beginn des Jahrtausends nicht mehr. Die Investorennachfrage ist hoch und es ist viel Liquidität im Markt. Davon profitierten einige namhafte deutsche Start-ups, zuletzt Bike24, About You, und Mr. Spex hat auch gerade gelauncht. Und die Pipeline für die zweite Jahreshälfte ist noch gut gefüllt.

Mit welchen weiteren Börsengängen rechnen Sie?

Viele der Börsengänge, die erwartet werden, sind noch nicht öffentlich, aber es gibt einzelne Hinweise und Anzeichen, darunter etwa Parship Meet, Utimaco, Mymüsli. Die genaue Anzahl lässt sich schwer voraussagen, denn ganz entscheidend ist, wie sich das Marktumfeld entwickeln wird. Wir sehen gerade, dass das Marktumfeld für IPOs tendenziell schwieriger wird, auch weil viele der zuletzt an die Börse gegangenen Unternehmen seit ihrer Erstnotierung eher eine durchwachsene Performance gezeigt haben. Ich denke, die Investoren sind mittlerweile wählerischer geworden.

Bei dem Hype um Einhörner gerät schnell aus dem Blick, dass es sehr junge Start-ups deutlich schwerer haben, an Geld zu kommen. Fallen sie hierzulande bei VC-Investoren durchs Raster? Wie stark fragen sie überhaupt Risikokapital nach?

Investitionen in sehr junge Unternehmen gelten als riskanter, da ihr Geschäftsmodell eben noch nicht erprobt ist. Vor allem in der Pandemiezeit erschienen die bereits etablierten Unternehmen mit einer hohen Bewertung spannender, da sie meistens für mehr Investitionssicherheit stehen. Kleinere Start-ups hatten und haben es daher schwerer, können aber von alternativen Finanzierungsmöglichkeiten profitieren, die bereits dieses Jahr anlaufen oder schon angelaufen sind.

Sie spielen auf den "Zukunftsfonds" des Bundes an. Auch einige regional ausgerichtete Fonds wollen verstärkt junge Unternehmen in der Gründungsphase unterstützen. Reicht das, um hierzulande mehr vielversprechende Start-ups auf den Weg zu bringen?

Das wird sich zeigen. Auf jeden Fall ist der Zukunftsfonds ein Schritt in die richtige Richtung, um Start-ups in Deutschland zu fördern und weiter zu entwicklen. Einige der Förderungen zielen auf eine bestimmte Art von Start-ups ab. So zum Beispiel der Deeptech Future Fonds, mit dem insbesondere innovative Technologien aus den Bereichen der Künstlichen Intelligenz und Biotech gefördert werden sollen. Auf diese Art und Weise lassen sich bereits Ideen unterstützen, die normalerweise lange Zeit benötigen, um rentabel zu werden. Insofern ist der Fonds eine sinnvolle Einrichtung, vor allem da wir gesehen haben, dass Investitionen in der Frühphase von Start-ups im ersten Quartal 2021 knapp waren.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren