Chargepoint-Chef Romano "Der Börsengang ist nicht mehr als ein Semikolon"

Neu an der Börse: Pasquale Romano führt Chargepoint seit 2011 und gründete zuvor unter anderem den Elektronik-Anbieter 2Wire
Foto: RAFAEL MARCHANTE / REUTERSPasquale Romano (55) führt seit 2011 den US-Elektro-Ladenetzspezialisten Chargepoint, der in diesen Tagen an der Börse gestartet ist. Das Unternehmen verkauft Ladestationen, Software und Dienstleistungen; nach eigenen Angaben hat Chargepoint bereits mehr als 114.000 Ladestationen aufgebaut. Zu den Investoren des im kalifornischen Campbell ansässigen Unternehmens gehören auch die deutschen Konzerne BMW, Daimler und Siemens.
Für den Weg an die Börse nutzte Romano die aktuell so übliche wie umstrittene Abkürzung über ein bereits notiertes Special-Purpose-Unternehmen (Spac); die theoretische Bewertung vor dem ersten Handelstag lag bei 2,4 Milliarden Dollar. Als CEO Romano mit manager magazin sprach (von zu Hause aus per Video, die erste Börsenglocke erlebte er Corona-bedingt nur am Bildschirm), waren aus den 2,4 Milliarden bereits neun Milliarden Dollar geworden - und seine eigenen Aktien waren fast 200 Millionen Dollar wert. Er habe die genaue Summe noch nicht ausgerechnet, kommentierte Romano; "uns interessiert hier weniger, wem wie viel an der Firma gehört; uns interessiert, wie groß wir Chargepoint noch machen können".
manager magazin: Herr Romano, Chargepoint hat 2020 mit seinen Ladestationen sowie Software und Services 135 Millionen Dollar umgesetzt. Aber nach den ersten Handelstagen ist Ihr Unternehmen an der Börse knapp 9 Milliarden US-Dollar wert. Fast das 70fache des Umsatzes. Wie wollen Sie das je rechtfertigen?
Pasquale Romano: Sie denken, das ist verrückt? Keinesfalls. Mal abgesehen davon, dass wir glänzend positioniert sind und schon für 2024 rund 1 Milliarde Dollar Umsatz erwarten: Die Investoren sehen einen rasant wachsenden Gesamtmarkt für Elektrofahrzeuge. Schauen Sie nur auf die Zahlen in Europa. Und auf all die fantastischen Autos, die von den deutschen Herstellern gerade auf den Markt gebracht werden.
Wer Chargepoint kauft, bekommt eine Art Indexfonds Elektromobilität; und das rechtfertigt diese gigantische Bewertung?
So ähnlich ist das, ja. Sie müssen das gewaltige Wachstumspotenzial in dieser Industrie sehen. Unternehmen wie wir profitieren da fast automatisch. Welcher Batteriehersteller sich am Ende durchsetzt, welcher Autokonzern die meisten Autos verkauft, ist für uns unerheblich. Wir sind in unseren Prognosen gerade für Europa sogar noch vorsichtig, weil wir uns auf die Annahmen großer Institute berufen. Es gibt optimistischere Ausblicke.
Sie sind mit Chargepoint bislang vor allem in Nordamerika aktiv, wollen aber bereits in vier Jahren ein Drittel des Umsatzes in Europa erwirtschaften. Wie wollen Sie das schaffen?
Europa ist kein einfacher Markt. Wir betrachten die Europäische Union nicht als ein einheitliches Zielgebiet, sondern als Bündel aus 27 unterschiedlichen Märkten. In 16 Ländern haben wir jetzt unsere Organisationen aufgebaut, uns auf die zum Teil sehr unterschiedlichen rechtlichen und ökonomischen Bedingungen vorbereitet. Jetzt können wir loslegen.
Ist es vielleicht schon zu spät? Unternehmen wie EVBox sind stark aufgestellt, die großen Netzbetreiber wie Ionity wollen expandieren.
Nein, wir sind rechtzeitig bereit. Der Markt für Elektrofahrzeuge in Europa wächst sehr schnell, unser Umsatz dort sollte dieser Entwicklung entsprechend anziehen. Wir sind deshalb sehr optimistisch, in Europa 2024/25 tatsächlich ein Drittel unseres Umsatzes zu erwirtschaften.
Worin unterscheiden sich die USA und Europa in Bezug auf die Ladeinfrastruktur am meisten?
In Europa leben viel mehr Menschen in Mehrparteienhäusern als in den USA. Es ist dort schwieriger, das eigene Fahrzeug zuhause aufzuladen. Außerdem haben in Europa und besonders in Deutschland viel mehr Menschen einen Firmenwagen. Das erleichtert es Leasingfirmen, Ladestationen für Arbeitsplatz und das Zuhause gebündelt zu koordinieren und anzubieten. Dazu kommt unter anderem, dass immer mehr Länder den Verkauf von Elektrofahrzeugen stark fördern und langfristig sogar ein Verbot von Verbrennermodellen in Betracht ziehen. Die Menschen werden sich also Gedanken über den Wert ihres Fahrzeugs machen und sich auch deshalb zunehmend für Elektroautos entscheiden. Das hilft uns; zumal wir nicht nur Hardware verkaufen, sondern auch Software und Dienstleistungen. Das ist langfristig ein viel nachhaltigeres Geschäft.
Schon 2016 war im Gespräch, dass Chargepoint der zentrale Technologiepartner von Ionity wird, dem Ladenetz-Joint-Venture, an dem unter anderem Audi, Porsche, BMW und Daimler beteiligt sind - und das damals gerade aufgesetzt wurde. Das ging schief. Ionity will künftig schneller expandieren. Gibt es entsprechende Pläne, wird das Thema Ionity für Chargepoint wieder akut?
Ionity gehört zu unseren Technologiepartnern und zu unseren Kunden, ...
..., nicht zu den großen...
..., es gibt einen sehr großen Markt abseits der großen Ladenetze; Ionitys Schnellladestationen passen längst nicht für alle Ladezwecke. Parkhäuser, Parkplätze von Einkaufszentren und Supermärkten, Plätze an Bahnhöfen, Flughäfen oder ganz normal an der Straße: das ist ein gewaltiger Markt, der noch erschlossen werden wird. Auch von uns. Aber es gilt natürlich weiter: wir würden uns freuen, unsere Beziehungen zu Ionity zu verstärken.
Auch in Asien wächst der Anteil der Elektromobilität. Gehen Sie bald nach China?
Aktuell haben wir da keine Pläne. Wir fokussieren uns weiter auf Nordamerika und Europa.
Was den Gewinn angeht, sind Sie nicht so ehrgeizig wie beim Umsatz. Die Autohersteller schauen bei Ladenetzen wie bei Ionity auch sehr auf die Aussicht, profitabel zu werden. Zählt für Sie nur Wachstum?
Unser Geschäftsmodell ist ein ganz anderes. Wir verkaufen Technik, Software und Dienstleistungen; und vor uns liegt ein gewaltiges Wachstumspotenzial. Da hat es höchste Priorität, diese Möglichkeiten nicht zu verschenken.
Sie erwarten, erst 2024 Gewinn auszuweisen.
Ja, wir könnten aber deutlich schneller profitabel werden, wenn wir nicht so massiv in Europa und in das Flottengeschäft investieren würden. Aber damit würden wir Wertzuwachs für unsere Investoren verschenken. Da bauen wir lieber unseren Marktanteil aus, ganz im Sinn unserer Aktionäre.
Herr Romano, Sie haben Ihre letzte Firma 2Wire verkauft; jetzt sind Sie mit Chargepoint an der Börse. Was ist Ihr nächstes Ziel?
Wir sind noch lange nicht fertig bei Chargepoint. Ich habe unseren Mitarbeitern heute morgen gesagt, dass der Börsengang für mich nicht mehr ist als ein Semikolon in einem Satz. Es ist jetzt Zeit, durchzuatmen und zu reflektieren. Wir können kurz feiern, was wir geschafft haben. Aber es ist nicht das Satzende. Wir sind hier ein Team geduldiger Unternehmertypen. Ich möchte mit Chargepoint einen Unterschied machen. Zur Lösung des Klimawandels beitragen.
Sie profitieren dabei natürlich auch persönlich sehr ordentlich. Falls Sie sich mit einem neuen Elektroauto belohnen würden, welches Modell würden Sie wählen? Eher den noblen Mercedes EQS oder den Silicon-Valley-Sportwagen Lucid Air?
Der EQS wird sicher phänomenal; der Lucid Air auch. Aber leider reicht der Platz in meiner Garage nur für zwei Autos. Und da stehen momentan mein Tesla Model Y und der Volvo Polestar 2 meiner Frau; zwei ziemlich neue Autos. Wenn wir uns in ein paar Jahren ein neues Fahrzeug zulegen, wird die Auswahl an E-Autos bestimmt riesig sein.