Corona-Vakzine im Vergleich Welcher Impfstoff ist der beste?

Kombilösung: Auch eine Kreuzimpfung von Astrazeneca als erster und Biontech als zweiter Impfdosis kommt mitunter zum Einsatz
Foto: Till Simon Nagel / dpaMan könnte es fast als vertrauensbildende Maßnahme sehen: Demonstrativ haben sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (65), Bundeskanzlerin Angela Merkel (66) und auch Gesundheitsminister Jens Spahn (41) mit dem Impfstoff von Astrazeneca gegen das Coronavirus impfen lassen. Umfragen zeigen ebenso wie Probleme bei der Terminvergabe, dass Astrazeneca zumindest in Deutschland ein Imageproblem hat (anders als in Großbritannien, wo dasselbe Mittel als Oxford Vaccine bekannt ist).
Biontech hingegen erscheint als das Unternehmen, dem alles gelingt: Biontech hat auch die Chance, den Durchbruch der neuartigen mRNA-Technologie für zukünftige Expansion zu nutzen. Die Aufhebung der Impfpriorisierung bei gleichzeitig verminderter Biontech-Lieferung verstärkt den Eindruck vom begehrten Gut noch.
Zugleich werden die Verantwortlichen in Bund und Weltgesundheitsorganisation nicht müde zu betonen: Alle verfügbaren, zugelassenen Impfstoffe bieten einen extrem hohen Schutz gegen das Virus, das Wirtschaft und Gesellschaft seit mehr als einem Jahr lähmt. Zugleich weise alle zugelassenen Impfstoffe vergleichsweise geringe Risiken auf.
Ein direkter Vergleich der Stoffe ist mit Vorsicht zu genießen. Schon die einfache Kennziffer "Wirksamkeit" kann nach unterschiedlichen Definitionen und unter verschiedenen Bedingungen zustande kommen. Dennoch gibt es spürbare Vor- und Nachteile der verschiedenen Produkte, ob aus Sicht der Geimpften, des Gesundheitssystems, der Staaten oder auch der Börsen. manager magazin gibt den Überblick - zunächst für die bisher EU-weit zugelassenen Mittel:
Biontech
Das von der Mainzer Firma Biontech und dem US-Konzern Pfizer entwickelte Serum Comirnaty hat die Pionierrolle als erster Covid-19-Impfstoff, der in klinischen Studien bestätigt wurde – und als erster zugelassener Impfstoff der mRNA-Methode überhaupt. Die wichtigsten Zulassungsdaten: 2.12.2020 UK, 11.12. USA, 21.12. EU, 31.12. WHO, inzwischen mehr als 80 weitere Länder
Mit sensationellen 95 Prozent Wirksamkeit wurde im November 2020 die Phase-III-Studie abgeschlossen – das heißt, mit Comirnaty Geimpfte haben ein gegenüber Ungeimpften um 95 Prozent gesenktes Risiko, an Covid-19 zu erkranken. Nach längerer Beobachtung der Probanden wurde der Wert zuletzt auf 91,3 Prozent korrigiert. Auswertungen der Daten aus der Gesamtbevölkerung nach Start der Impfkampagne bestätigten den extrem hohen Schutz: England meldete 91 Prozent, die USA 90, Israel 94 Prozent. Doch seit Juli wurden die Angaben drastisch nach unten korrigiert: auf bis zu 39 Prozent in Israel.
Liegt es an der Delta-Variante? Am kurzen Abstand von nur drei Wochen zwischen erster und zweiter Impfdosis, der das Immungedächtnis zu wenig anregen könnte? Oder lässt der Biontech-Impfschutz generell nach einem halben Jahr nach und es fällt in Israel zuerst auf, weil dort zuerst im großen Stil geimpft wurde? Sicher ist, dass sicherheitshalber zu einer dritten Dosis geraten wird. Und zur Beruhigung: Bezogen auf schwere Fälle, die im Krankenhaus landen oder gar zum Tod führen, ist die Wirksamkeit weiterhin sehr hoch.
Biontech hielt lange an der Legende fest, dass sich die Formel zwar schnell anpassen ließe, damit der Stoff auch gegen mutierte Virusvarianten wirkt – dies aber nicht nötig sei, weil die bisher bekannten Mutationen der Immunisierung nicht entkommen. Für die britische Alpha-Variante ist das bestätigt: Der Schutz sinkt allenfalls um wenige Prozentpunkte. Etwas deutlicher nimmt laut einigen Studien die Bildung von Antikörpern gegen die Variante Gamma (Brasilien) ab. Gegen die Delta-Variante aber werden deutlich schlechtere Werte gemeldet. Im Juli meldeten Biontech und US-Partner Pfizer, dass sie nun einen eigenen Impfstoff gezielt gegen Delta entwickeln.
Wie alle zugelassenen Covid-19-Impfstoffe löste auch Comirnaty unter den Zehntausenden Studienteilnehmern keine schweren Nebenwirkungen (abgesehen von Allergien und kurzzeitigen Impfreaktionen) aus. Da die gesetzten Spritzen inzwischen in die Milliarden gehen, tauchen auch sehr seltene Erkrankungen auf, für die ein Zusammenhang mit der Impfung geprüft wird. Im Fall von Herzmuskelentzündung (Myokarditis) besonders bei jungen Männern gilt ein Zusammenhang mit der Comirnaty-Spritze inzwischen als wahrscheinlich. Immerhin ließen sich diese Fälle gut behandeln oder verheilten binnen Tagen von allein.
Als erster Covid-Impfstoff ist Comirnaty schon für 12-bis 17-Jährige zugelassen, auch für Kinder läuft die Forschung an. Ein Nachteil ist die aufwändige Tiefkühllogistik mit Lagerung um minus 70 Grad, die anfangs aus Sorge um die Stabilität des Impfstoffs verlangt wurde. Inzwischen erwies er sich aber auch bei normaler Tiefkühlung und auch längere Phasen im Kühlschrank als haltbar.
Mit viel weniger Problemen als andere haben Biontech und Pfizer die Massenfertigung in kurzer Zeit hochgefahren. Dafür sorgt die mRNA-Technik, die mit geringen Rohstoffmengen und ohne lange Züchtung von Zellkulturen auskommt. Hinzu kommt die Organisation, die auf große eigene Anlagen wie das neue Biontech-Werk in Marburg und ein breites Netzwerk aus Partnerfirmen zugleich setzt. Das Produktionsziel wurde mehrfach in großen Schritten hochgesetzt, nun werden rund vier Milliarden Impfdosen im Jahr angepeilt.
Die reichen Staaten, die bislang den Löwenanteil der Comirnaty-Lieferungen bekommen, zahlen zwischen 15 und 20 Euro je Dosis, also 30 bis 40 pro geimpfter Person. Daraus ergeben sich bei der hohen Stückzahl zehnstellige Jahresumsätze. Für ärmere Länder gewähren die Hersteller einen Rabatt bis zum Selbstkostenpreis.
Die Biontech-Aktie ist einer der großen Stars der Covid-Ära. Seit dem Börsengang im Oktober 2019 hat sich der Kurs mit einigen Rücksetzern mehr als verzehnfacht, die frühen Investoren und Gründer Uğur Şahin wurden reich. Die Zahlen zum ersten Quartal 2020 zeigen, wie hoch profitabel die Impfkampagne sich für Biontech auszahlt: Gewinnmarge 55 Prozent. Und die Börsenfantasie reicht noch weiter – das Unternehmen soll mit weiteren mRNA-Produkten zur neuen Medizingröße aufsteigen.
Dieses Potenzial will auch Partner Pfizer abschöpfen und fühlt sich noch unterbewertet. Schließlich reiche schon der Pfizer-Anteil am Comirnaty-Geschäft, die bestverkauften Arzneien der Geschichte in den Schatten zu stellen. Dank Corona-Impfung dürfte der US-Konzern von Umsatzrang 8 an die Spitze der Pharmabranche zurückkehren.
Besonders in Deutschland genießt Biontech Heldenstatus als Lokalmatador. Als Lieblingslieferant der EU, mit US-Partner Pfizer, türkisch-griechischer Migrationsgeschichte der Chefs und einer weiteren Partnerschaft in China eckt das Unternehmen fast nirgendwo an – außer, wenn es um den Streit über eine Patentpause geht. Hier zeigt sich Uğur Şahin kompromisslos. Die offene Flanke der globalen Verantwortung versucht Biontech mit stärkeren Lieferzusagen an arme Länder zu schließen. Womöglich wird aber doch stärkere Hilfe beim Aufbau eigener Produktion (und damit weiterer Konkurrenten um das künftige Geschäft) verlangt.
Lesen Sie hier weitere Hintergründe zu Biontech: die Ehrung als Game Changer der Medizin , unsere Porträts der Gründer Uğur Şahin (55) und Özlem Türeci (54), die im Interview geäußerten Hoffnungen der Investoren auf einen neuen Global Player sowie die Geschichte von Projekt "Lightspeed": Wie der Impfstoff entwickelt wurde.
Moderna
Unmittelbar nach Biontech ist die US-Biotechfirma Moderna, ebenfalls mit einem mRNA-Vakzin, in die Impfkampagne gestartet. Die wichtigsten Zulassungsschritte: 18.12.2020 USA, 6.1.2021 EU, 31.3. UK, 30.4. WHO, bislang mehr als 25 weitere Länder
Die zum Abschluss der klinischen Studien gemeldete Wirksamkeit von 94 Prozent wurde im realen Einsatz in den USA mit rund 90 Prozent bestätigt.
Es gibt zwar weniger Daten, die verfügbaren Ergebnisse ähneln aber denen von Biontech: Der Moderna-Impfstoff bietet ausreichenden Schutz gegen die bekannten Virusvarianten, aber mit teils deutlich reduzierter Antikörperbildung vor allem bei der Beta-Variante (Südafrika) im Vergleich zum Wildtyp des Virus. Anders als Biontech hat Moderna schon Anfang des Jahres modifizierte Versionen des Impfstoffs für klinische Studien geliefert, vorsichtshalber.
Die kurzfristigen Impfreaktionen werden bei Moderna leicht häufiger gemeldet als bei Biontech. Ernste Risiken sind bislang kaum bekannt.
Moderna liefert seinen Impfstoff bereits fertig zum Spritzen, eine Verdünnung mit Kochsalzlösung als mögliche Fehlerquelle ist damit nicht nötig. Die Logistik erleichtert auch, dass Moderna von Anfang an für Lagerung bei herkömmlicher Tiefkühltemperatur von minus 20 Grad zugelassen wurde.
Moderna verlässt sich weitgehend auf Auftragsfertiger wie Lonza - und muss dann mit Fehlern wie beim spanischen Partner Rovi umgehen, wo Millionen für Japan bestimmte Impfdosen mit Edelstahlpartikeln verunreinigt wurden und dann zurückgerufen werden mussten. Das Produktionsnetz wird stark ausgebaut, 2021 dürfte mit bis zu einer Milliarde Dosen aber nur ein Bruchteil der Biontech-Fertigung erreicht werden. 2022 könnten die Amerikaner mit drei Milliarden Dosen gleichziehen. Sehr geholfen hat die Teilnahme am Regierungsprogramm "Operation Warp Speed", das notfalls mithilfe des US-Militärs Engpässe von Teilen und Rohstoffen beseitigte.
Moderna ist das teuerste Produkt auf dem Markt. Die EU zahlt 18 Dollar pro Dosis – immerhin halb so viel, wie Moderna-Chef Stéphane Bancel im Sommer 2020 angekündigt hatte, und das war aus seiner Sicht schon ein pandemiebedingter Sonderrabatt. Auch so rechnet Bancel mit mehr als 19 Milliarden Dollar Umsatz für 2021, trotz vergleichsweise geringer Menge.
Die Moderna-Aktie ist im Lauf der Impfkampagne ähnlich steil abgehoben wie die von Biontech. Auch hier wird die Aussicht auf weitere Forschungserfolge mit anderen mRNA-Impfstoffen eingepreist – vor allem aber das aggressive Verkaufstalent von Firmenchef Bancel, der selbst zum Multimilliardär aufgestiegen ist.
Der Schwerpunkt von Moderna liegt eindeutig in den USA, der Rest der Welt spielt bislang eine untergeordnete Rolle. Wegen "Operation Warp Speed" könnte man den Moderna-Impfstoff als Erfolg der Trump-Regierung sehen. Den Kern der Forschungsarbeit leistete aber das Staatsinstitut NIH, mit Köpfen wie Anthony Fauci oder Kizzmekia Corbett ein Aushängeschild des progressiven Amerika – das sich allerdings an den staatlich subventionierten Megaprofiten und dem Mangel an globaler Impfhilfe stört.
Lesen Sie hier weitere Hintergründe zu Moderna: unser Porträt des brachialen Verkäufers Stéphane Bancel (48) und die zentrale Rolle des Staats in Gestalt der Forscherin Kizzmekia Corbett (35), deren Name auf dem wichtigsten Impfpatent steht.
Astrazeneca
Der von der Universität Oxford entwickelte Vektorimpfstoff Vaxzevria galt lange als größter Hoffnungsträger, der Start wurde jedoch mit etlichen Pannen verstolpert. Die britische Zulassung kam trotzdem am 30.12.2020, es folgten die EU (29.1.2021) und die WHO (15.2.) sowie mehr als 100 weitere Länder. Die Freigabe der USA steht noch aus.
Schon die Ergebnisse der Phase-III-Studie lieferten wegen eines Dosierfehlers Verwirrung: 90 Prozent nach der versehentlichen Dosierung, 62 Prozent nach der geplanten, im fiktiven Durchschnitt 70. Die US-Ergebnisse wurden nach langer Studienpause nachgereicht und dann noch von 79 auf 76 Prozent korrigiert – alles extrem solide Werte. In der englischen Impfrealität wurde eine Wirksamkeit von 90 Prozent gemessen, gleichauf mit Biontech. Die öffentliche Wahrnehmung jedoch ist eine andere, vor allem nachdem Frankreichs Präsident Emmanuel Macron im Januar erklärte, "wir denken, dass es quasi unwirksam für Leute über 65 ist", für die es damals noch kaum Daten gab.
Verheerend wirkte der Eindruck nach vorläufigen Studiendaten von Februar, die südafrikanische Beta-Variante senke die Wirksamkeit von Vaxzevria unter 25 Prozent. Südafrika stoppte daraufhin die auf das Astrazeneca-Mittel gebaute Impfkampagne und bestellte um. Allerdings wurden nur milde Verläufe unter Jüngeren in einer kleinen Stichprobe untersucht. Inzwischen zeigen größere Untersuchungen, dass Vaxzevria teils befriedigend, teils gut gegen die Mutanten besteht. Am britischen Ursprungsort wurde die Alpha-Variante maßgeblich mit dem Oxford-Impfstoff in den Griff bekommen, Indien hofft auf denselben Effekt gegen Gamma. Katar meldete auch gegen Beta einen 75-prozentigen Schutz, ebenso wie für Biontech.
Die Impfreaktionen zumindest nach der ersten Dosis fallen bei Astrazeneca oft heftiger aus als bei den mRNA-Impfstoffen – soweit in der Regel noch harmlos. Für echte Bedenken aber sorgen die sehr seltenen Thrombosen vor allem in den Sinusvenen im Gehirn, die auch zu Todesfällen führten und vor allem bei jüngeren Frauen auftraten. Diese Effekte wurden erst nach millionenfacher Impfung bemerkt, weil sie so selten sind, inzwischen aber als Nebenwirkung dem Impfstoff zugeschrieben.
Empfohlen wird das Mittel nun vielerorts nur noch für Ältere, auf eigenes Risiko freigegeben aber für alle Erwachsenen. Länder wie Dänemark oder Norwegen verzichten ganz auf das Mittel – letztlich eine Frage der Abwägung der Risiken von Impfung und Infektion. Immerhin sind auch Diagnose- und Heilungswege für die Sinusvenenthrombosen beschrieben.
Vaxzevria ist bei Kühlschranktemperaturen haltbar und damit logistisch einfach zu handhaben, nicht nur für ärmere Länder, sondern auch für dezentrale Impfungen in Arztpraxen, Pflegeheimen oder Impfmobilen. Der lange Abstand zwischen Erst- und Zweitimpfung (empfohlen 12 Wochen) ist Vor- und Nachteil zugleich: Es dauert länger, bis der volle Schutz erreicht wird, aber er hält womöglich auch länger an. Neue Daten der Universität Oxford deuten an, dass ab vier Monate nach der vollen Impfung Astrazeneca besser schütze als Biontech.
Vaxzevria ist als Weltimpfstoff gedacht. Die Produktion war schon auf drei Milliarden Impfdosen pro Jahr angelegt, als Biontech noch in weit kleineren Dimensionen plante. Dabei produziert Astrazeneca gar nicht selbst, sondern bei verschiedenen Auftragsfertigern. Mit Abstand am wichtigsten ist das Serum Institute of India, das den Stoff in Lizenz fertigt. Von dort aus erhielt die globale Covax-Initiative das Gros ihrer Impfstoffe für arme Länder, bis Indien wegen des Gamma-Ausbruchs den Export stoppte. Auch bei den europäischen Auftragsproduzenten hakt es immer wieder gewaltig, weshalb die Lieferzusagen bei weitem nicht eingehalten werden.
Astrazeneca gehört zu den Pharmaunternehmen, die sich der Impfstofflieferung als Non-Profit-Projekt während der Pandemie verschrieben haben. Die Universität Oxford wollte ihr Rezept ursprünglich sogar als Open Source bereitstellen, ohne jeden Exklusivvertrag. Durchgesetzt hat sie eine Vermarktung zum Selbstkostenpreis – die EU zahlt weniger als zwei Euro pro Dosis. Kurioserweise sind die Preise in Entwicklungsländern höher, was wohl an einer anderen Kalkulation des indischen Produzenten liegt.
Es gibt keine Börsenstory. Der Aktienkurs von Astrazeneca hat zwar dann und wann mit ein paar Prozentpunkten auf die (meist schlechten) Nachrichten vom Impfstoff reagiert. Als Profitbringer taugt er ohnehin nicht, höchstens indirekt über das Image der Marke und die Beziehungen des Konzerns zu Staaten könnten die langfristigen Gewinnaussichten beeinflusst werden.
Mit der EU hat sich Astrazeneca auch dank der trotzigen Haltung von Konzernchef Pascal Soriot gewaltig verkracht, inzwischen wurde der Rechtsstreit um milliardenschweren Schadenersatz beigelegt, da beide Seiten nichts dabei zu gewinnen hatten. Wirkliche Rückendeckung hat der Konzern nur noch in der britischen Regierung, die gegen einen US-Partner für Oxford intervenierte, um ihre nationale Versorgung zu sichern. Die USA kümmern sich jetzt nicht weiter um die Milliarden, die sie selbst in Astrazeneca gesteckt haben. Sogar in Indien ist ein Low-Cost-Impflieferant als globaler Helfer in der Not nicht mehr angesagt.
Lesen Sie hier weitere Hintergründe zu Astrazeneca: die Chronik der zahlreichen Pannen und Probleme (Stand Mitte April) und die Rolle des deutschen Milliardärs Ernest Droege (36) als Auftragsfertiger im Auge des Astrazeneca-Sturms .
Johnson & Johnson
Auch dieses Produkt der belgischen Johnson & Johnson-Tochterfirma Janssen ist ein Vektorimpfstoff, ähnlich konzipiert wie der von Astrazeneca. Die wichtigsten Zulassungsdaten: USA 27.2., WHO 12.3., EU 20.4., UK 28.5., bisher mehr als 25 weitere Länder
Die internationale Phase-III-Studie ergab einen 66-prozentigen Schutz gegen eine Covid-Erkrankung – mit nur einer Impfdosis statt zwei Dosen wie bei den anderen zugelassenen Impfstoffen. Schwere Fälle unterhalb der Schwelle zum Krankenhaus wurden zu 82 bis 88 Prozent vermieden. In diesem Punkt weicht Johnson & Johnson von den anderen Vakzinen ab: Die erreichen durchweg annähernd 100 Prozent. Die ganz schweren Fälle, die im Krankenhaus landen oder zum Tod führen, kann der Impfstoff von Johnson & Johnson aber ebenso gut vermeiden wie alle anderen Vakzine. Da das Mittel noch nicht so lange und massenhaft im Einsatz ist, liegen bislang kaum Daten außerhalb der Studien vor.
Schon die unterschiedlichen Werte der an der Phase-III-Studie teilnehmenden Länder zeigen, dass die Wirkung von Johnson & Johnson nachlässt, aber oberhalb der 50-Prozent-Schwelle bleibt, wenn Mutanten im Spiel sind: Während in den USA 72 Prozent erreicht wurden, waren es in Brasilien während der Verbreitung der Gamma-Variante nur 68 und in Südafrika (Beta) 64 Prozent.
Johnson & Johnson hat mit Zeitverzug dasselbe Problem wie Astrazeneca mit seinem Vektorimpfstoff bekommen: Als sehr seltene Nebenwirkung treten auch hier Sinusvenenthrombosen auf, eher bei jüngeren Frauen.
Die Besonderheit, dass nur eine Dosis für die komplette Impfung vorgesehen ist, macht einen Riesenvorteil für die Impfkampagne aus: So geht es schneller zum Ziel, besonders für Bevölkerungsgruppen wie Wohnungslose, die schwer für einen Zweittermin zu erreichen sind. Auch das Problem, Dosen für die Zweitimpfung reservieren zu müssen, entfällt. Andererseits ist dies wohl auch der Grund für die nicht ganz so hohe Wirksamkeit – möglicherweise auch mit Blick auf den Langzeitschutz.
Was sollte beim umsatzstärksten Pharmakonzern der Welt mit all seiner Erfahrung schon schiefgehen? Wie sich herausstellt, leider eine Menge. Ein großer Auftragsfertiger in den USA hat Wirkstoffe von Johnson & Johnson und Astrazeneca vermischt und wurde für Monate geschlossen. Zudem hat der Konzern als einziger eine einheitliche, transatlantische Lieferkette aufgebaut, statt US- und EU-Produktion voneinander zu trennen. Das wird nun zum Problem, weil die Kette in den USA klemmt. Bis Ende 2021 soll noch eine Jahreskapazität von einer Milliarde Impfdosen erreicht werden, kurzfristig werden mehrere weitere Werke mobilisiert.
Mit zehn Dollar pro Dosis (und damit für die gesamte Impfung) steht Johnson & Johnson neben Astrazeneca am unteren Ende der Skala. Das liegt nicht nur an den vergleichsweise günstigen Produktionskosten der Vektorimpfstoffe, sondern vor allem an der erklärten Absicht, sie während der Pandemie zum Selbstkostenpreis abzugeben.
Johnson & Johnson könnte seinen Umsatz dank des Impfstoffs um rund zehn Milliarden Dollar ausbauen. Beim globalen Pharmakonzern Nummer eins fällt das aber kaum auf, der ansonsten üppige Gewinn wird dadurch nur verwässert. Auszahlen könnte sich aber ein besseres Image.
Pharmariese mit skandalreicher Geschichte beteiligt sich als selbstloser Helfer an der Rettung der Welt – so könnte Johnson&Johnson-Chef Alex Gorsky die Impf-PR nutzen. Doch dafür fehlt es bislang an Aufmerksamkeit. Die Lieferprobleme nähren Ungeduld in Europa, auch für die USA scheint Johnson & Johnson industriepolitisch keine Priorität zu genießen.
Lesen Sie hier weitere Hintergründe zu Johnson & Johnson: das Debakel um das Impfwerk des aus Hildesheim stammenden Pharmagründers Fuad El-Hibri (63) und der bislang erfolglose Versuch von Johnson & Johnson-Boss Alex Gorsky (61), nach zahlreichen Skandalen des weltgrößten Pharmakonzerns einmal der Good Guy zu sein.
Neben diesen vier Impfstoffen, die in der EU bereits zum offiziellen Angebot zählen aber längst nicht zur schnellen Impfung aller Erwachsenen reichen, stellt sich auch die Frage nach den Alternativen. Hier sind Impfstoffe, auf die Deutschland noch wartet:
Sputnik V
An den "Sputnik-Schock" im Kalten Krieg, als die Sowjetunion den ersten Satelliten ins All schoss und damit technologische Überlegenheit bewies, sollte die russische Notfallzulassung des Vektorimpfstoffs Sputnik V vom staatlichen Gamaleya-Institut bereits am 11.8.2020 erinnern - dies wurde viel kritisiert, da lange vor Abschluss der klinischen Prüfung. Inzwischen sind mehr als 70 weitere Länder gefolgt. Die EU-Behörde EMA prüft eine Zulassung bereits seit März, während die EU-Staaten Ungarn und Slowakei nationale Genehmigungen erteilten. Auch die Weltgesundheitsorganisation hat sich noch nicht festgelegt.
In der Phase-III-Studie wurde eine Wirksamkeit von 91,6 Prozent festgestellt - als einziger Vektorimpfstoff auf einem Niveau mit den mRNA-Vakzinen von Biontech und Moderna. Unter Millionen geimpften Russen soll der Effekt sogar über 97 Prozent gestiegen sein. Allerdings wird trotz zwischenzeitlicher Prüfung durch Wissenschaftler immer wieder Kritik an Qualität und mangelnder Transparenz der Daten laut.
Hierzu gibt es noch wenig Daten. Laut einer argentinischen Studie hat sich Sputnik V mit hoher Wirksamkeit gegen die aus Brasilien stammende Gamma-Variante bewährt. US-Forscher fanden in einer kleineren Studie hervorragenden Effekt gegen Alpha, weniger guten gegen Beta.
In der Phase III wurden keine ernsten Nebenwirkungen festgestellt. Für Furore sorgte die brasilianische Aufsichtsbehörde, die zeitweise eine Zulassung von Sputnik V verweigerte und erklärte, das als Vektor eingesetzte Adenovirus (ein eigentlich unschädlich gemachter Erkältungserreger) könne sich nach der Impfung im menschlichen Körper verbreiten. Träfe das zu, könnte man sich also den Schutz gegen Covid-19 mit einer Erkältung erkaufen. Inzwischen hat aber auch Brasilien grünes Licht gegeben.
Sputnik V nutzt zwei verschiedene Adenovirustypen als Vektoren, anders als der vergleichbare Impfstoff von Astrazeneca. Das soll verhindern, dass der Körper vor der zweiten Impfdosis eine Immunität gegen den Vektor entwickelt und diese dann weniger gut aufnimmt. Gegen Ebola, wo die Vektortechnik seit einigen Jahren erstmals zum Einsatz kam, hat sich diese Technik bewährt.
Wie bei allen Vektorimpfstoffen, ist die Produktion sehr aufwändig und komplex. Die ganz großen Mengen konnte Russland bisher noch nicht liefern, hat aber weltweit ein großes Netz an Produktionspartnern aufgebaut, die allmählich in die Massenfertigung einsteigen sollen. Auch ein bayerischer Hersteller ist darunter, der aber noch nicht produktionsbereit ist.
In Russland wird der Impfstoff seit Februar wird der Preis staatlich reglementiert auf 866 Rubel (knapp 10 Euro). Zuvor kostete er doppelt so viel. Für die Lieferung an andere Staaten wurde ein Preis unter 20 Dollar genannt. Indien beispielsweise zahlt 995 Rupien (gut 11 Euro).
Sputnik V ist eine staatliche Investition, der Staatsfonds RDIF hofft aber durchaus auf Rendite und beteiligt sich aktiv an der Vermarktung des Impfstoffs.
Die Wahrnehmung als politisches Mittel ist die große Hypothek von Sputnik V - als ginge es um eine Entscheidung für oder gegen Putin, obwohl der russische Präsident selbst gar nicht verraten will, ob er selbst sich mit Sputnik V impfen ließ. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder schimpfte, in der europäischen Zulassung werde "aus rein ideologischen Gründen getrödelt". Aus der EU-Kommission kamen harsch ablehnende Töne, während die Bundesregierung hier ein Feld der Zusammenarbeit mit Russland für einen guten Zweck trotz aller sonstigen Konflikte sah. Wenig deeskalierend wirkt, dass der Staatsfonds RDIF immer wieder Desinformationskampagnen gegen Sputnik V beklagt, während der eigene Twitter-Kanal die anderen Impfstoffe schlechtredet. Als Impfdiplomatie wirkt auch die Versorgung von Entwicklungsländern, die aus dem Westen bislang kaum rettenden Stoff bekommen. Bei den Liefermengen bleibt auch Russland aber weit hinter China zurück.
Curevac
Dieser zweite Impfstoff made in Germany sorgte zuletzt vor allem für Enttäuschung, weil die von Vorstandschef Franz-Werner Haas (51) für Ende Mai, Anfang Juni zugesagten entscheidenden Studiendaten für die Zulassung noch länger fehlen. Laut Medienberichten plant Bundesgesundheitsminister Spahn die Impfkampagne bis zum Sommer jetzt ohne Curevac. Mitte Juni legte Curevac dann höchst enttäuschende Zwischenergebnisse seiner zulassungsrelevanten Massenstudie vor.
Nicht den ersten, aber den besten Impfstoff liefern - diese Losung gab Curevac-Großaktionär Dietmar Hopp im Herbst 2020 aus. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Tübinger Unternehmen nach Hopps früheren Angaben schon auf dem Markt sein wollen. Bis heute fehlt der dritte mRNA-Impfstoff. Die zuletzt von Curevac versprochene EU-Zulassung im zweiten Quartal ist passé, stattdessen kamen ernüchternde Studienergebnisse. Ob das Unternehmen diese überhaupt noch anstrebt, war zunächst unklar. In der US-Impfkampagne noch eine Rolle zu spielen, hatte das Unternehmen schon länger aufgegeben.
In der Phase-III-Studie erzielte das Mittel nur eine Wirksamkeit von 48 Prozent. Das spricht gegen eine Zulassung. Curevac hofft, die Zulassungsbehörden doch noch überzeugen zu können. Für unter 60-Jährige ergab sich ein leicht besserer Wert von 53 Prozent - und ein 100-prozentiger Schutz gegen Krankenhausaufenthalt oder Tod. Außerdem macht das Unternehmen mildernde Umstände geltend wegen neuer Virusvarianten, die in der Studie auftraten, bei der Konkurrenz aber noch nicht. In jedem Fall bleibt in der öffentlichen Wahrnehmung, die Bestwerte der anderen mRNA-Impfstoffe zu verfehlen - auch wenn diese unter anderen Bedingungen erreicht wurden.
Die niedrige Wirksamkeit wird vor allem damit erklärt, dass Curevac gegen "mindestens 13 Varianten" bestehen musste, die während der klinischen Studie in zehn europäischen und lateinamerikanischen Ländern bereits dominierten. Darunter sind auch Varianten wie Lambda aus Peru oder B.1.621 aus Kolumbien, die von der WHO noch gar nicht als besorgniserregend eingestuft wurden. Hier fehlt der Vergleich, ob andere Impfstoffe gegen diese Mutationen bestehen. Wie Curevac gegen den ursprünglichen Wildtyp des Virus aus Wuhan bestehen würde, lässt sich kaum noch erheben.
Zusätzlich forscht Curevac längst an einem Impfstoff "der zweiten Generation", der bereits als Antwort auf die Mutanten formuliert ist. Nach Firmenangaben wurden in Laborversuchen "starke Immunantworten" erzeugt, die sich "maßgeblich" von der ersten Generation unterscheide. Dann könnte Curevac vor allem mit der zweiten Generation punkten. Wohlgemerkt: Vor der Zulassung steht zunächst die erste. Die klinische Studie der zweiten Generation soll im dritten Quartal beginnen, eine Zulassung wird für 2022 angepeilt.
Wegen stärkerer Nebenwirkungen hatte Curevac sich zu Beginn der Studien entschieden, den Impfstoff mit 12 statt bis zu 20 Mikrogramm Wirkstoff zu dosieren. In der Studie kam so ein "gutes Sicherheitsprofil" heraus - allerdings womöglich zu Lasten der Wirksamkeit. Selbst Studienleiter Peter Kremsner von der Universität Tübingen sieht die Schuld der vergleichsweise schlechten Daten in der Dosierung.
Mit natürlicher mRNA sollte der Impfstoff von Curevac die viralen Abwehrkräfte des Körpers besonders gut anregen - ein wesentlicher Unterschied zur modifizierten mRNA von Biontech und Moderna. Dafür musste das Unternehmen mit der geringeren Dosierung gegensteuern, damit das Mittel noch gut verträglich ist. Immerhin erlaubt die Dosierung eine größere Massenfertigung von Impfdosen bei gleicher Wirkstoffmenge erlaubt. Die Entwickler haben Wert darauf gelegt, dass das Curevac-Mittel zu Kühlschranktemperaturen gelagert werden kann - im Unterschied zu den anderen mRNA-Vakzinen von Biontech und Moderna. Allerdings ist fraglich, ob diese technischen Vorteile die Nachteile bei der Wirksamkeit je aufwiegen können.
Lange versuchte Curevac es im Alleingang ohne etablierten Pharmakonzern als Partner, dann wurde ein gewaltiges Netzwerk mit mehreren großen Namen wie Bayer, Novartis oder Glaxosmithkline aufgebaut. Große Mengen könnten schnell verfügbar sein, wenn doch noch die Erlaubnis kommt. Curevac selbst baut in Tübingen ein großes Impfstoffwerk mit Kapazität für eine Milliarde Dosen wie die bereits laufende Biontech-Fabrik in Marburg. Die von Curevac in Tübingen soll aber erst Mitte 2022 fertig werden.
Curevac positioniert sich mit rund 10 Euro je Dosis für die EU als Preisbrecher unter den mRNA-Herstellern, peilt aber im Gegensatz zu den Lieferanten der Vektorimpfstoffe durchaus einen spürbaren Gewinn an. Der Corona-Impfstoff wäre ja auch das erste kommerzielle Produkt für das Unternehmen.
Fulminant ist Curevac beim Börsengang an der New Yorker Nasdaq im August 2020 gestartet, danach ging es noch deutlich weiter in die Höhe. Das Warten auf die Zulassung und die Frage, ob Curevac in der Impfkampagne überhaupt noch gebraucht wird, machte die Anleger zwar immer wieder nervös. Ein mittelfristiger Erfolg war aber weiter eingepreist, und der langfristige Aufbau eines Portfolios aus weiteren mRNA-Produkten. Mit Dietmar Hopp und dem Bund hat Curevac geduldige Großaktionäre. Die Zwischenergebnisse allerdings ließen den Börsenkurs heftig einbrechen.
"Germany is not for sale" - diese markigen Worte von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier begründeten den Einstieg des Bunds bei Curevac, getrieben von der Angst, der damalige US-Präsident Donald Trump könne sich die große deutsche Impfstoffhoffnung unter den Nagel reißen. Der deutsche Einfluss dürfte auch mit dafür gesorgt haben, dass die EU anfangs das größte Kontingent bei Curevac bestellte, damit aber nicht schnell in die Impfkampagne starten konnte. "Sie sind die Frontrunner", legte sich die EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen schon im März 2020 auf die Tübinger fest. Für die zweite Generation hat das Unternehmen mit dem britischen Partner Glaxosmithkline auch die Londoner Regierung mit im Boot.
Lesen Sie hier weitere Hintergründe: wie Curevac seine Jahrhundertchance verspielte , ein Interview mit Firmengründer Ingmar Hoerr (53), sehen Sie die prominenten Köpfe hinter Curevac und die nun fragliche Hoffnung von Großaktionär Dietmar Hopp (81), nach dem Börsenschwergewicht SAP einen zweiten Coup zu landen.
Novavax
Der US-Hersteller Novavax hat eine weitere revolutionäre Technik im Angebot: einen Proteinimpfstoff. Wann genau das Mittel zum Einsatz kommt, ist aber unklar. Die Ergebnisse der klinischen Studien aus USA, Mexiko und Vereinigtem Königreich liegen vor. Die bisher für das zweite Quartal angekündigten Zulassungsanträge wurden Mitte Mai aber auf das dritte Quartal verschoben. Zuerst müsse die Kontrolle der Produktionsprozesse abgewartet werden. Die EU-Behörde EMA prüft das Vakzin seit Februar.
Die Phase-III-Studie ergab eine Wirksamkeit von 90,4 Prozent in Nordamerika, 89,7 Prozent in Großbritannien - also in der Spitzengruppe neben den mRNA-Impfstoffen von Biontech und Moderna sowie dem russischen Vektorimpfstoff Sputnik V. In Südafrika erreichte Novavax allerdings nur 60 Prozent.
In den Studien war die Wirksamkeit gegen Virusvarianten teils sogar höher als insgesamt: 93,2 Prozent in Nordamerika, allerdings dominierte dabei die Alpha-Variante, die gegen keinen Impfstoff nennenswerte Ausweichreaktionen zeigt. Bei der Beta-Variante ist das anders, und da erreichte auch Novavax nur 48,6 Prozent, was die insgesamt schwache Performance in Südafrika erklärt.
Laut Studienergebnissen wurden nur die üblichen, meist milden Impfreaktionen wie Müdigkeit, Muskel- oder Kopfschmerzen festgestellt. Insgesamt wurden sie seltener und auch schwächer festgestellt als bei den mRNA-Impfstoffen. Ein Fall einer Herzmuskelentzündung trat unter den Probanden auf, verheilte aber während der Studie wieder.
Ähnlich wie bei mRNA-Impfstoffen, soll der Proteinimpfstoff von Novavax schnell zu produzieren sein. Das Unternehmen arbeitet zudem an einem Kombiimpfstoff, der sowohl gegen Covid-19 als auch gegen die herkömmliche Grippe (Influenza) schützen soll. Dieses Mittel habe sich in Tierversuchen als erfolgreich erwiesen. Langfristig wäre dies praktisch, wenn der Schutz der Bevölkerung oder zumindest von Risikogruppen gegen beide Krankheiten regelmäßig aufgefrischt werden muss.
Novavax hat frühzeitig eine der größten Produktionskapazitäten aller Impfstoffproduzenten aufgebaut. Mit dem Serum Institute of India wurde eine Jahresproduktion von zwei Milliarden Impfdosen vereinbart. Das Unternehmen hatte jedoch Pech mit seinen Auftragsfertigern, nicht nur weil Indien akuten Eigenbedarf anmeldete und für die Versorgung der Welt ausfiel. Für die US-Produktion setzte Novavax zunächst auf dieselbe Fabrik, die Impfstoffe von Astrazeneca und Johnson & Johnson vermischte und damit mindestens 75 Millionen Dosen unbrauchbar machte. Auch die Novavax-Zulassung wurde durch das Debakel um Monate verzögert. Daneben setzt Novavax aber auf weitere Produktionsstätten, auch große eigene wie beispielsweise in Tschechien. Ende 2021 verspricht das Unternehmen 150 Millionen Impfdosen pro Monat.
Mit 16 Dollar pro Dosis liegt Novavax auch preislich auf einem Niveau der mRNA-Marktführer. Das Unternehmen hat allerdings von vornherein eine Mischkalkulation mit einer großen Zusage von 1,1 Milliarden Impfdosen für die globale Covax-Initiative - mit einer Obergrenze von drei Dollar pro Dosis - versucht. Und diese billigeren Chargen dürften nun den Großteil des Absatzes ausmachen.
"Creating Tomorrow's Vaccines Today", lautet das Motto der Firma, die schon 1987 gegründet wurde und seitdem nie einen Markterfolg landen konnte. Schon oft trieben neue Impfhoffnungen den Aktienkurs in die Höhe und anschließend wieder auf den Boden, wenn die Hoffnungen platzten. Noch 2019 drohte gar der Rausschmiss von der Technologiebörse Nasdaq. In der Corona-Pandemie wurde die Novavax-Aktie dann zur größten Kursrakete, mit in der Spitze mehr als 5000 Prozent Plus. Der Vorstand um Stanley Erck (72) konnte für 2020 neunstellige Boni einstreichen - und die Geschichte vom nach jahrzehntelanger Geduldsprobe doch noch erfolgreichen Start-up verkörpern.
Kein Unternehmen wurde so stark von Donald Trumps Impfoperation "Warp Speed" gefördert wie Novavax. Zugleich vermittelte die Bill and Melinda Gates Foundation das Vertrauen der Non-Profit-Impfallianz CEPI und damit den privilegierten Zugang zur Covax als Helfer der Armen. Die Rückendeckung von Großbritannien, Kanada und auch der EU sicherten das Unternehmen nach allen Richtungen politisch ab.
Sinovac
Das private chinesische Unternehmen Sinovac zählt zu den Pionieren der Covid-Impfung: Schon ab dem Frühjahr 2020 wurde das Mittel neben einigen weiteren von heimischen Produkten massenhaft mit Sondergenehmigung für bestimmte Gruppen wie Gesundheitsbeschäftigte oder Militärs eingesetzt. Die Notfallzulassung für das gesamte Volk folgte in China am 30.12.2020, die WHO empfahl das Mittel am 1.6.2021. Bisher mehr als 70 weitere Länder machen das Coronavac genannte Vakzin zu einem der meistgenutzten Corona-Impfstoffe, wenn nicht der Nummer eins. In der EU prüft die EMA eine Zulassung seit Mai.
Es handelt sich um einen Totimpfstoff, im Gegensatz zu den neuen, revolutionären Technologien der meisten Konkurrenten also eine jahrzehntelang bewährte Technik. Dabei wird das komplette Virus gespritzt, um eine Immunabwehr anzuregen, aber ohne dass das Virus sich im Körper vermehren kann.
Kein Impfstoff hat so widersprüchliche Daten aus den klinischen Studien geliefert wie Sinovac. Vor der entscheidenden Zulassung in Brasilien wurde - nach mehrmaliger Verzögerung - eine wissenschaftlich geprüfte Wirksamkeit von nur 50,7 Prozent gemeldet, also nur um ein Haar über der kritischen Schwelle von 50 Prozent. Anderswo gab es zeitgleich deutlich bessere Werte: 83,5 Prozent in der Türkei, 94 Prozent in Indonesien (nur bezogen auf symptomatische Erkrankungen). Spätere Untersuchungen aus dem massenhaften Einsatz zeigten Werte von 65 Prozent in Chile bis 90 Prozent in Bahrain. Schwere Erkrankungen und Todesfällen wurden in allen Studien annähernd komplett vermieden, so auch in der brasilianischen Stadt Serrana, in der alle Erwachsenen mit Ausnahme einer Impfverweigerin mit Sinovac geimpft wurden.
Eine Erklärung für die starken Unterschiede lieferte der Epidemiologe Eric Feigl-Ding - ein ähnliches Problem wie das von Curevac: Gerade in Brasilien sei Sinovac zu einer Zeit getestet worden, als die Gamma-Variante viele Menschen zum zweiten Mal erwischte. Das heißt, die Placebo-Kontrollgruppe habe zu einem hohen Anteil wegen voriger natürlicher Infektion schon Abwehrkräfte gegen das Coronavirus entwickelt. Die Wirksamkeit erfasse also nur noch, um wie viel besser die Immunisierung der Impfung im Vergleich zur natürlichen Abwehr sei.
Die Gamma-Variante, die den Schutz aller darauf getesteter Impfstoffe spürbar mindert, liefert bereits den Härtetest. Die brasilianische Studie fand nur minimal schlechtere Ergebnisse für Gamma im Vergleich zur Wirksamkeit insgesamt. Gegen Alpha und Beta hielt sich Coronavac ebenfalls stabil. Das staatliche Instituto Butantan vermutet einen Vorteil der einfachen Machart: Da der Impfstoff eine Immunantwort auf das gesamte Coronavirus und nicht gezielt auf eine bestimmte Struktur des Spike-Proteins erzeugt, lasse er sich durch Mutationen nicht so leicht ausschalten.
Schwere Nebenwirkungen wurden bislang nicht bekannt, auch die Impfreaktionen fallen vergleichsweise milde aus.
Für alle mit Experimentierscheu bietet ein Totimpfstoff den Charme des Altbekannten. Allerdings dürfen inzwischen auch die neuen mRNA- und Vektorimpfstoffe als etabliert gelten. Praktische Vorteile der Totimpfstoffe sind die günstige Massenproduktion und die einfache Logistik.
Sinovac hat schon Anfang 2021 eine Kapazität von zwei Milliarden Impfdosen pro Jahr aufgebaut, großteils in China, aber auch mit verschiedenen Produktionspartnern vor allem in Schwellenländern rund um die Welt.
Die Angaben zum Preis schwanken stark, von weniger als fünf bis zu rund 30 Dollar pro Dosis - der Höchstpreis wurde aus dem freien Verkauf ausgerechnet in China selbst gemeldet.
Ein Kuriosum: Sinovac Biotech ist an der US-Technologiebörse Nasdaq sortiert, aber seit Februar 2019 vom Handel ausgesetzt. Hintergrund war damit anscheinend ein Schachzug des Unternehmens, sich mit einer so genannten Giftpille für eine feindliche Übernahme unattraktiv zu machen. Zuvor hatte die Börse schon fehlende oder verspätete Geschäftsberichte moniert. Jedenfalls entging Sinovac so die Chance, die Corona-Rallye als Gelegenheit für frisches Kapital zu nehmen.
Schon die Herkunft aus China macht Sinovac in der aktuellen Konfrontation zwischen den Weltmächten zu einem politischen Impfstoff. Der Einsatz in Brasilien wäre fast dem heftigen politischen Streit zum Opfer gefallen: Der rechte Präsident Jair Bolsonaro mobilisierte Anhänger und Behörden gegen das China-Mittel, der Staat São Paulo unter dem konservativen Gouverneur João Doria erhob Sinovac zur Hoffnung im Kampf gegen die Corona-Krise - und setzte sich durch. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan ließ sich früh mit Sinovac impfen. Ungarn nutzt das Mittel ebenso wie das russische Sputnik V, um sich von der EU abzugrenzen.