Pharmakonzern im Zugzwang Warum Bayer neue Blockbuster braucht

Gerinnungshemmer Xarelto: In den ersten drei Quartalen 2020 erwirtschafteten bei Bayer allein zwei Medikamente mehr als fünf Milliarden Euro Umsatz. Der Umsatz der Pharmasparte insgesamt belief sich im gleichen Zeitraum auf 12,76 Milliarden Euro.
Foto: GEORGE FREY / REUTERSPatente für wichtige Umsatztreiber der Pharmasparte von Bayer laufen allmählich aus. Die Umsätze mit diesen Mitteln werden in den kommenden Jahren sinken. Ersatz muss her. Das weiß auch Pharma-Chef Stefan Oelrich (52). Auf der Suche nach neuen Erlösquellen verspricht sich der Manager dabei viel von der Gen- und Zelltherapie - neben eingigen neuen, eher klassischen Medikamenten.
Mediziner und Pharmaforscher setzen große Hoffnungen in die Gen- und Zelltherapie. Die Leverkusener selbst gaben hier bereits einiges Geld für Übernahmen aus, die das Wachstum des Unternehmens in der zweiten Hälfte der Dekade ankurbeln sollen. "Wir treiben die Transformation unseres Geschäfts voran und bauen unser vielversprechendes Entwicklungsportfolio zusammen mit unseren Partnern aus", sagte Oelrich bei einem Pharma-Medientag.
Gen- und Zelltherapien werden von vielen Pharmaunternehmen aktuell intensiv erforscht. Sie sollen gerade bei seltenen Erkrankungen Heilung bringen, statt nur Symptome zu lindern und bei weit verbreiteten Krankheiten wie etwa Herzinsuffizienz neue Therapieansätze ermöglichen. Bayer stärkte diesen Bereich zuletzt mit zwei hervorstechenden Deals: den Kauf der US-Biotechnologiefirma Bluerock Therapeutics 2019 und die Übernahme des US-Unternehmens Asklepios Biopharmaceutical (Askbio) im Herbst 2020.
Drei Blockbuster-Medikamente in der Pipeline
Der Stammzellspezialist Bluerock ist unter anderem auf neurologische und kardiologische Krankheiten fokussiert. Ein wesentliches Programm zielt auf die Parkinson-Erkrankung, bei der Nervenzellen langsam absterben. Die Entwicklung befindet sich noch in einer frühen Phase, kommt aber voran. Askbio forscht an Therapiekandidaten für die Behandlung von Herz-Kreislauferkrankungen und neuromuskulären Defekten, aber auch an Mitteln gegen Stoffwechselerkrankungen.
Um in den kommenden Jahren den Gegenwind durch den Wegfall von Patenten auf Kassenschlager zu kompensieren, setzt der Bayer-Konzern, der 2019 mit rund 104.000 Beschäftigten 43,5 Milliarden Euro umsetzte, daneben weiter auf hohe Erlöse mit anderen neuen Medikamenten. Allein drei dieser Mittel, die sich zum Teil noch im späten Stadium der Entwicklung befinden, sollen auf Jahresumsätze von jeweils mehr als einer Milliarde Euro kommen. Sie würden damit zu "Blockbustern".
Zudem haben die Leverkusener in der Frauengesundheit nach Übernahme der Biotechfirma Kandy Therapeutics einen Medikamentenkandidaten gegen Wechseljahrbeschwerden in der Pipeline. Auch für das Geschäft mit dem Hoffnungsträger Vericiguat gegen Herzinsuffizienz ist Pharma-Chef Oelrich optimistisch - wenngleich dies für Bayer erst einmal kein Blockbuster sei, denn die Erlöse werden mit dem Entwicklungspartner geteilt, der US-amerikanischen Merck & Co .
Bernstein Research sieht Wachstumsentwicklung skeptisch
Trotz der von Bayer reklamierten Fortschritte gibt es auch Skepsis unter Branchenkennern. Eine Reihe von Hoffnungsträgern, denen der Konzern hohe Umsätze zutraute, enttäuschte - so etwa das potenzielle Krebsmittel Anetumab. Im Geschäft mit Medikamenten gegen die Bluterkrankheit überholten Wettbewerber wie Roche die Leverkusener.
Pharmaexperte Wimal Kapadia vom Analysehaus Bernstein Research betont dann auch, dass der Konzern noch Einiges tun müsse. Noch sei das Pharmageschäft gut aufgestellt, doch sorgt sich der Analyst um die Langlebigkeit des Wachstums bei Bayer. Neue Medikamente und die in der Entwicklung befindlichen Mittel hätten aus heutiger Sicht einen eher begrenzten Einfluss. Daher werde sich der Konzern weiter nach Übernahmezielen umschauen müssen.
Neuer Erlösquellen sind umso wichtiger, als sich Bayer mit der Monsanto-Übernahme enorme Schadenersatzrisiken eingehandelt hat. Das bildet auch der Aktienkurs ab: Vor drei Jahren notierte das Papier bei rund 108 Euro, vor 1 Jahr bei 77 Euro. Im vergangenen Oktober ging es auf 40 Euro runter, zuletzt konnte sich die Aktie wieder auf 53 Euro hocharbeiten.
Eine stärkere Pharma-Sparte wird auch deshalb umso dringlicher, als Bayers Agrarsparte schwächelt und hohe Abschreibungen dem Gesamtkonzern zuletzt einen Milliardenverlust eingebrockt haben. Nicht wenige Investoren spekulieren auf eine Aufspaltung des Konzerns.
Für die Erlöse eher zweitrangig dürfte die Impfstoff-Allianz mit Curevac sein. Der Pharmariese und der Impfstoffentwickler hatten kürzlich einen Kooperations- und Servicevertrag geschlossen. Zwar prüfe Bayer noch eine Beteiligung an der Produktion, hieß es. Wahrscheinlich ist dies aber eher nicht, zumal Curevac im November mit Wacker Chemie beschlossen hatte, bei der Impfstoff-Produktion zusammenzuarbeiten.