Wölbern-Prozess in der Schlussphase Schultes Anwälte fordern Freispruch - und beklagen unfairen Prozess

Gemeinsam zum Schlussvortrag: Heinrich Maria Schulte (M.) mit seinen Verteidigern Römmig (r.) und Hauswaldt

Gemeinsam zum Schlussvortrag: Heinrich Maria Schulte (M.) mit seinen Verteidigern Römmig (r.) und Hauswaldt

Foto: Christian Charisius/ dpa

Es ist etwa 15 Uhr am Montagnachmittag, als Professor Schulte das Wort ergreift. Es ist das letzte Wort in diesem Prozess, der sich bereits seit knapp einem Jahr und beinahe 50 Verhandlungstagen hinzieht. Alle Zeugen sind befragt, alle Anträge beschieden, die Plädoyers gehalten. Es fehlt nur noch das Urteil.

Schulte, erneut im dunkelgrauen Anzug mit blauem Hemd und orangener Krawatte, spricht mit leicht belegter Stimme, offenbar erkältungsbedingt. Er wendet sich zunächst direkt an den Staatsanwalt. "Wenn ich in den Spiegel schaue", so Schulte, "erkenne ich nicht den Menschen, den Sie gezeichnet haben."

Staatsanwalt Heyner Heyen hatte sein Plädoyer am vorherigen Verhandlungstag vorgetragen. Darin hatte er dem angeklagten Medizinprofessor Heinrich Maria Schulte gewerbsmäßige Untreue in mehr als 300 Fällen vorgeworfen und ihm direkten Vorsatz unterstellt. Insgesamt 147 Millionen Euro soll Schulte als Chef des Fondshauses Wölbern Invest von 2011 bis 2013 unrechtmäßig aus geschlossenen Fonds des Unternehmens zweckentfremdet haben. Der Ankläger hat dafür eine Freiheitsstrafe von zwölf Jahren beantragt.

Schulte weist diese Beschuldigungen am heutigen Montag einmal mehr zurück. Insbesondere den Vorwurf des Vorsatzes zu strafbaren Handlungen will er nicht gelten lassen.

Schulte fühlt sich unfair behandelt

Stattdessen bleibt der Angeklagte bei der Darstellung, die er schon während des gesamten Prozesses gegeben hat: Er habe sich stets auf das Wort seiner juristischen Berater vor allem von der Kanzlei Bird & Bird verlassen und sei sich keiner Schuld bewusst. Wie zu Beginn des Prozesses im Mai vergangenen Jahres beteuert er mit Blick auf mögliche Verluste auf Seiten der Fondsanleger: "Ich stehe zu meiner Verantwortung und werde alles tun, um meiner Verpflichtung gerecht zu werden."

Am Ende wendet Schulte das Wort an die Richter. Es bleibe ihm nur noch, um eine faire Beurteilung zu bitten, sagt er. Doch besonders optimistisch klingt er dabei nicht. Wer auf Stimme und Tonfall achtet, weiß vielmehr: Ein aus seiner Sicht faires Urteil, das ist wohl so ziemlich das letzte, auf das sich Professor Schulte zum Abschluss dieses Prozesses nun gefasst machen wird.

Die Gründe für den Pessimismus hatten Schultes Verteidiger zuvor in ihren Plädoyers ausführlich dargestellt. Auch die Anwälte wiederholten dabei im wesentlichen, was sie bereits im Laufe des Verfahrens immer wieder bemängelt hatten.

Zusammengefasst lautet der Vorwurf: Das Verfahren gegen Professor Schulte sei von Beginn an nicht fair verlaufen. Die Massen an Daten und Unterlagen, die zu dem Prozess gehörten, hätten von keinem der Beteiligten ausreichend gesichtet und ausgewertet werden können.

Vielmehr habe sich die Staatsanwaltschaft sowie das Gericht bereits sehr früh eine Meinung gebildet und diese dann nur noch zu bestätigen gesucht. Es sei nicht einmal der Versuch unternommen worden, im Laufe des Verfahrens auch Entlastendes zu Tage zu fördern.

Sechs Millionen Emails, zwei Räume voll Kartons - wer hat das gelesen?

"Im Mittelpunkt eines Verfahrens sollte der Zweifel zugunsten des Angeklagten stehen", sagt Schultes Anwalt Wolf Römmig in seinem Plädoyer. "In diesem Verfahren ging es aber ausschließlich um die Bestätigung von Vorwürfen."

Um die Kritik zu untermauern, rechnet Römmig anschaulich vor, dass bei der Razzia im Hause Wölbern sowie in Privaträumen Schultes im September 2013 allein sechs Millionen Emails sichergestellt worden seien. Bei einer angenommenen Lesezeit von einer Minute pro Email brauche eine Person alleine knapp 4167 Tage für die Lektüre all dieser Dokumente, so Römmig.

Zudem befindet sich nach Angaben der Anwälte in zwei Räumen des Gerichtsgebäudes nach wie vor eine Vielzahl von Kartons mit Akten, die noch nicht annähernd vollständig gesichtet worden seien.

Die Konsequenz, so Schultes Verteidiger: Statt sich selbst ein vollständiges Bild von den Vorgängen zu machen, hätten sowohl Staatsanwaltschaft als auch Richter ausschließlich auf das vertraut, was bereits von der ermittelnden Polizei aus den Akten herausgefiltert und zu einer stimmigen "Story" zusammengefügt worden sei. In der Gesamtsicht aller Unterlagen könne sich aber ein völlig anderes Bild ergeben, so die Verteidiger.

Ein weiterer Kritikpunkt: Die Schadenshöhe, um die es bei diesem Prozess gehe, sei bis zuletzt nicht eindeutig bestimmt worden. Schultes Anwalt Thomas Hauswaldt führt aus, dass mit Staatsanwalt Heyner Heyen sowie einem Referenten der Staatsanwaltschaft, dem Insolvenzverwalter der Wölbern-Gesellschaften und dem Oberlandesgericht Hamburg allein vier Parteien zu vier unterschiedlichen Schadensgrößen gekommen seien.

"Fahrlässige Untreue" gibt es nicht

Statt diese Unklarheit von unabhängiger Seite auflösen zu lassen, traue sich das Gericht selbst zu, über den nötigen Sachverstand zu verfügen, so Anwalt Hauswaldt. Dass die Richter tatsächlich über diese Qualifikation verfügen, hatte der Schulte-Verteidiger bereits zuvor im Laufe des Prozesses mehrfach in Zweifel gezogen.

Schon aufgrund der fehlenden Klarheit über die Schadenshöhe kommt nach Ansicht der Verteidigung eine Verurteilung Schultes nicht in Betracht. Zudem sei es der Staatsanwaltschaft nicht gelungen, dem Angeklagten einen Vorsatz nachzuweisen. Angesichts der umfassenden anwaltlichen Beratung, die Schulte bei seinen Aktivitäten in Anspruch genommen habe, komme allenfalls Fahrlässigkeit in Frage ("In den Augen der Verteidigung: nicht einmal das.").

Da es eine "fahrlässige Untreue" als Straftatbestand aber nicht gebe, sei der Angeklagte freizusprechen, so Schultes Anwalt Arne Timmermann in seinem Schlussvortrag.

Damit trugen Schultes Verteidiger noch einmal an Argumenten und Kritik zusammen, was sie verteilt über die Verhandlungstage schon zuvor vorgebracht hatten. Und das vermutlich mit Wirkung: Am Ende des heutigen Verhandlungstages dürften selbst die größten Gegner Schultes - von denen sich mancher im Publikum befand - den Gerichtssaal einigermaßen nachdenklich verlassen haben.

Vor allem die Kritik an der Prozessführung erscheint zum Teil nicht von der Hand zu weisen. Wer die beinahe 50 Verhandlungstage bisher aufmerksam verfolgt hat, musste am heutigen Montag vielmehr erkennen: In einigen Punkten liegen Schultes Verteidiger wohl durchaus richtig.

Urteil wohl am 20. April - lange Freiheitsstrafe erscheint wahrscheinlich

Tatsächlich hatte der Angeklagte während des Prozesses deutlich seine Bereitschaft zu erkennen gegeben, Fragen des Staatsanwalts oder der Richter zu beantworten. Allein, weder dem einen noch den anderen fiel auch nur eine einzige substanzielle Frage zu den Vorgängen bei Wölbern Invest in den Jahren 2011 bis 2013 ein.

Ebenfalls auffällig: In den letzten Verhandlungstagen stellten Schultes Verteidiger reihenweise Beweisanträge - die vom Gericht ebenso reihenweise abgelehnt wurden. In manchen Fällen erfolgte der negative Bescheid dabei in einem Tempo, das auch für Außenstehende durchaus bemerkenswert erschien.

Schließlich die Kritik der Anwälte an der Person des vorsitzenden Richters Peter Rühle: Wie bereits am ersten Verhandlungstag im Mai beanstandet worden war, ist Rühle der Sohn jenes Richters am Oberlandesgericht Hamburg, der über eine Haftprüfung Schultes im Vorfeld des Prozesses zu befinden hatte.

Im Zuge seines Entscheids seinerzeit hatte Rühle senior, so geht es aus verschiedenen Äußerungen im Gerichtssaal hervor, Schulte bereits eine Freiheitsstrafe im zweistelligen Bereich in Aussicht gestellt, also zehn Jahre oder mehr. Die Frage, die Schultes Verteidiger nun bewegt, lautet: Wie frei ist der Sohn noch in seinem Urteil, wenn der Vater eine solche Vorgabe gemacht hat?

Eine Antwort darauf wird es auch am 20. April kaum geben, wenn im Landgericht Hamburg voraussichtlich die Urteilsverkündung im Schulte-Prozess ansteht. Wer den Prozess beobachtet hat, dürfte kaum etwas anderes als eine mehrjährige Freiheitsstrafe für Professor Schulte erwarten. Kommt es tatsächlich dazu, hieße das allerdings nicht, dass der Prozess, der zu dem Urteil geführt hat, vollständig fair verlaufen ist.

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