Die außerordentliche Karriere des Roland Decorvet "Ich habe den besten Job der Welt"

Roland Decorvet vor seinem Krankenhaus-Schiff.
Foto: Toni Rasoamiaramananamanager-magazin.de: Herr Decorvet, Sie haben vor drei Jahren eine vielversprechende Karriere beim größten Nahrungsmittelkonzern der Welt weggeworfen, um ein schwimmendes Hospital zu leiten. Warum?
Roland Decorvet: Der Preis, den man für eine steile Karriere zahlt, ist hoch, auch familiär. Jeder, der sehr lange in einer Firma arbeitet, bräuchte eine Auszeit, um seinen Kopf freizubekommen. Das öffnet einen neuen Horizont. Zudem habe ich heute eine viel bessere Beziehung zu meiner Frau und meinen Kindern. Auch das macht einen Manager stärker.
mm.de: Was haben Sie an Bord gelernt?
Roland Decorvet: Wenn man ein internationales Team aus 430 freiwilligen Helfern führt, die man nicht mit der Aussicht auf Boni und Karriere motivieren oder anbrüllen kann, weil man der Boss ist, lernt man zuzuhören und anders zu kommunizieren. Hinzu kam das Krisenmanagement. Als ich anfing, sollte das Schiff von der Werft auf den Kanaren zum Einsatz nach Guinea aufbrechen. Doch dann brach Ebola aus. Jeder Monat im Hafen kostete 1,5 Millionen Euro, die Besatzung an Bord wollte Menschen helfen, nicht untätig rumsitzen. Doch gegen Ebola wären die auf chirurgische Eingriffe spezialisierten Ärzte an Bord machtlos gewesen. Am Ende sind wir nach Madagaskar gefahren.
mm.de: Wie haben Ihre früheren Kollegen reagiert?
Roland Decorvet: Mir gegenüber hat niemand etwas Negatives gesagt. Im Gegenteil: Einige Top-Leute würden gerne meinem Beispiel folgen, haben aber Angst, ihre Karriere zu gefährden. Ich hatte zwischenzeitlich sogar überlegt, dem Wirtschaftsleben den Rücken zu kehren und mich weiterhin ausschließlich sozial zu engagieren, aber letztlich war es mein Ziel, die perfekte Kombination von Wirtschaft und sozialem Engagement zu finden und ein solches Unternehmen als CEO zu leiten.
mm.de: Sie sind fast eineinhalb Jahre an Bord geblieben. Das war durchaus riskant.
Roland Decorvet: Zwei Monate bevor ich Mercy Ships verlassen habe, habe ich begonnen mit Headhuntern zu sprechen. Die Resonanz war durchweg positiv. Mein Marktwert sei gestiegen, weil ich Charakter bewiesen habe, hieß es. Nur wenn ich noch länger geblieben wäre, wäre ich kaum mehr vermittelbar gewesen.
mm.de: Hatten Sie viele Angebote?
Roland Decorvet: Ja. Ich wollte aber weder zu einem Wettbewerber von Nestlé, noch zurück nach Asien. Dann kam das Angebot von Lonrho...
mm.de: ...einem Mischkonzern mit Sitz in Südafrika, an dem auch BMW-Erbin Susanne Klatten beteiligt ist.
Roland Decorvet: Haupteigner Rainer-Marc Frey hatte mich angerufen und schnell überzeugt. Wir haben die Vision geteilt, Afrika durch nachhaltige Investitionen in die Nahrungsmittelproduktion zu ändern...
mm.de: ...nach neun Monaten war allerdings Schluss.
Roland Decorvet: Leider hatte sich gezeigt, dass wir nicht in allen Fragen einer Meinung waren und haben uns im gegenseitigen Einvernehmen getrennt. Damit hatte ich die Chance, neue Investoren für meinen Traum zu finden.
mm.de: Sind Sie inzwischen fündig geworden?
Roland Decorvet: Ja. Ich habe den besten Job der Welt.
"Jeder Idiot kann eine Fabrik in Afrika bauen"
mm.de: Dann hat sich Ihr Experiment ja gelohnt.
Roland Decorvet: Auf jeden Fall. Das wichtigste im Leben ist, eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn zu haben, ganz egal, wie diese Antwort aussieht. Und diese Frage stellen sich immer mehr Menschen. Sie wollen für Unternehmen arbeiten, die eine Vision haben und Produkte kaufen, die verantwortungsvoll hergestellt werden. Auf diese Herausforderungen muss die Wirtschaft reagieren.
mm.de: Sie haben mit Hilfe des kanadischen Versicherungskonzerns Fairfax die Nahrungsmittelproduktion des südafrikanischen Konzerns Afgri übernommen und sind nun Miteigner und CEO des im April neugegründeten Unternehmens Philafrica Foods. Was macht das Unternehmen so besonders?
Roland Decorvet: Wir haben 12 Fabriken von Afgri übernommen, die vor allem Getreide, Öle und Tierfutter herstellen. Damit kommt Philafrica auf 400 Millionen Dollar Umsatz. In 10 Jahren wollen wir 2 bis 3 Milliarden Dollar umsetzen, vor allem aber, das Leben unzähliger Kleinbauern verbessert und damit einen Beitrag zur Transformation Afrika geleistet haben.
mm.de: Wie?
Roland Decorvet: Früher haben europäische Großgrundbesitzer Afrika ausbluten lassen, heute erinnern die riesigen chinesischen Farmen stark an diese Zeit. Wir wollen einen Pull-Effekt setzen, indem wir afrikanische Rohstoffe von entlegenen kleinen Farmen kaufen, die keinen Zugang zu Absatzmärkten haben. Zudem zahlen wir sehr gute Preise und bieten Schulungen an. Wir wollen Profit machen, aber nicht um jeden Preis.
mm.de: Schulungen bieten auch unzählige NGOs an.
Roland Decorvet: Ja, aber nicht auf einem solchen Level. Wir werden allein in den nächsten Monaten Fabriken in Mosambik, Simbabwe, Kenia, Nigeria und der Elfenbeinküste eröffnen. Statt, wie es bisher in Afrika meist der Fall ist, diese Rohstoffe zu exportieren, werden wir sie hier verarbeiten und weiterverkaufen, in Afrika und die ganze Welt.
mm.de: Wird man Produkte von Philafrica also bald in Europa finden?
Roland Decorvet: Ja, aber sie werden sie nicht als solche erkennen. Wir verkaufen die verarbeiteten Rohstoffe an Markenartikelkonzerne weiter und schließen damit eine Marktlücke. Jeder Idiot kann eine Fabrik in Afrika bauen, aber mit der schlechten Rohstoffversorgung umzugehen, ist schwierig. Viele Länder hier bauen Tomaten an, trotzdem stammen 90 Prozent des Tomatenmarks aus China. Solche Probleme wollen wir lösen.
mm.de: Das wird nicht einfach.
Roland Decorvet: Sicher, dafür brauchen wir neue Wege. Es wird auch darum gehen, Produkte wie Stärke statt mit typisch europäischen Rohstoffen mit afrikanischen wie Maniok herzustellen.
mm.de: Woher rührt eigentlich Ihre Liebe zu Afrika?
Roland Decorvet: Ich bin im Kongo aufgewachsen. Mein Vater war Missionar, meine Frau stammt aus Madagaskar. Ich bin glücklich, etwas zurückgeben zu können.
mm.de: Manager stehen oft in der Kritik, zu viel Geld zu verdienen. Was hält jemand wie Sie von diesem Diskurs?
Roland Decorvet: Ich halte es mit dem englischen Prediger John Wesley: "Verdiene so viel wie du kannst, spare so viel wie du kannst und gebe so viel wie du kannst." Niemand sollte sich schämen, wenn er viel Geld verdient, solange sich das Unternehmen gut entwickelt und ethisch handelt.