Staat lässt Fluggesellschaft fallen
Norwegian-Chef: "Wir müssen beatmet werden"
Die norwegische Regierung verweigert neue Staatshilfe für die Fluggesellschaft Norwegian Air Shuttle. Vorstandschef Jacob Schram zeigt sich verzweifelt.
Klatsche von der Regierung: Norwegian-Air-Chef Jacob Schram sagt, "es fühlt sich an wie ein Schlag in die Magengrube"
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Die norwegische Regierung hat weiteren Finanzhilfen für die von der Corona-Pandemie schwer getroffene Billigairline Norwegian Air Shuttle vorerst eine Absage erteilt. In der derzeitigen Situation sei eine zusätzliche Unterstützung in Milliardenhöhe "keine vertretbare Verwendung von Geld der Steuerzahler", erklärte Wirtschaftsministerin Iselin Nybø (39) am Montag. Die von der Airline beantragte Hilfe könnte sogar verfassungswidrig sein, fügte die Liberale hinzu.
Das Luftfahrtunternehmen reagierte entsetzt auf die Entscheidung. Die Entscheidung sei "sehr enttäuschend und fühlt sich an wie ein Schlag in die Magengrube", sagte der zu Jahresbeginn angetretene Norwegian-Chef Jacob Schram (58). Das Unternehmen verwies darauf, dass seine internationalen Konkurrenten ebenfalls Milliardenhilfen von den jeweiligen Regierungen erhalten hätten. Der deutsche Staat stellt sich derzeit auf eine zweite Hilfsrunde für dieLufthansa ein, sogar die britische Firma Easyjet wird in Berlin vorstellig. Ohne die Hilfe sei die Zukunft von Norwegian Air Shuttle dagegen ungewiss. Damit stünden die verbliebenen 2300 Arbeitsplätze und die Luftanbindung zahlreicher norwegischer Orte auf dem Spiel.
Die im Jahresverlauf ohnehin schon fast völlig entwertete Norwegian-Aktie fiel in Oslo um ein weiteres Viertel auf ein Rekordtief von 0,49 Kronen.
"Das Unternehmen und der Aufsichtsrat werden jeden Stein umdrehen, um diese Situation zu überstehen", versprach Schram. Einen Insolvenzantrag wollte er ausdrücklich nicht ausschließen. Man prüfe alle Alternativen und sei auf jedes Szenario vorbereitet. Als eine Option nannte er, die Flugzeugleasingfirmen um mehr Geld zu bitten, oder Flugzeuge zu verkaufen. In jedem Fall müsse eine Lösung noch im Winter gefunden werden. "Wir müssen beatmet werden." Norwegian Air verfüge noch über Barmittel, betonte Schram. Diese genügten jedoch nur, um einen Teil des Winters zu überstehen. Zuvor hatte das Unternehmen bereits mitgeteilt, die Reserven dürften bis zum ersten Quartal 2021 reichen.
Ungarische Wizz Air macht Norwegian ersetzbar
Wirtschaftsministerin Nybø räumte ein, dass sie eine "harte Botschaft" abgab. Norwegian Air habe jedoch eine so riskante Finanzstruktur, dass weitere Unterstützung mit Staatsmitteln "nicht vertretbar" wäre. Verkehrsminister Knut Arild Hareide (47) von der Christlichen Volkspartei fügte hinzu, die Airline habe schon in der Vergangenheit großes Geschick bewiesen, finanzielle Schwierigkeiten zu überstehen. Er wolle nicht darüber spekulieren, ob dies auch diesmal gelingen werde. In jedem Fall gebe es immer noch genügend Wettbewerb in der Luftfahrt des Landes. Die norwegische Regierung betont den Willen, sich aus der Wirtschaft herauszuhalten. Ihren verbliebenen Anteil von 10 Prozent am Norwegian-Wettbewerber SAS hatte sie 2018 verkauft.
Neben SAS gilt der ungarische Billigflieger Wizz Air als Hauptkonkurrent. Die Pläne der Ungarn zu Inlandsflügen in Norwegen könnten eine Rolle gespielt haben bei dem Beschluss der Regierung, "kein gutes Geld mehr schlechtem hinterherzuwerfen", erklärte Daniel Röska, Analyst von Bernstein Research.
Norwegian Air hat bereits Garantien der Regierung in Höhe von drei Milliarden Kronen (277 Millionen Euro) erhalten. Die Airline schreibt seit Jahren rote Zahlen. Wegen der Corona-Krise vervierfachten sich die Verluste im ersten Halbjahr dieses Jahres. Weltweit ist der Luftfahrtsektor wegen der massiven Reisebeschränkungen schwer von der Pandemie getroffen. Norwegian als zuvor aggressiv expandierte Billigflugfirma, die bereits im Vorjahr in finanzielle Turbulenzen geriet und dann auch noch vom Grounding der Absturzmaschine Boeing 737 Max besonders betroffen war, hat es jedoch außergewöhnlich schwer erwischt.
Der Betrieb wurde schon länger praktisch komplett eingestellt. 80 Prozent der Beschäftigten sind beurlaubt oder entlassen. Im Mai übernahmen Gläubiger die Kontrolle, indem ein Teil der Schulden in Eigenkapital umgewandelt wurde. Die Anteile der Altaktionäre wie Gründer Bjørn Kjos (74) wurden dadurch fast völlig entwertet, die Leasingfirma Aercap und die Leasingtochter der Bank of China stiegen zu den größten Anteilseignern auf. Zur Jahresmitte beliefen sich die Schulden noch auf acht Milliarden Dollar.