Patente In Deutschland erdacht - im Ausland gemacht
Hamburg - Apple hat Grund zum Feiern. Mehr als zwei Milliarden digitalisierte Songs hat die US-Firma bereits über ihren Onlineshop iTunes verkauft. Der Gewinn kletterte 2006 auch dank des überragenden Erfolgs des MP3-Players iPod auf 1,3 Milliarden Dollar. Beim Fraunhofer-Institut in Erlangen, das an der Entwicklung der MP3-Technik maßgeblich beteiligt war, fällt die Feier verhaltener aus: Die deutschen Forscher verbuchen zwar jährlich Lizenzgebühren in Millionenhöhe, doch die zahlen Apple , Microsoft und andere MP3-Nutzer weltweit aus der Portokasse.
Oder der Hybridmotor. Das erste Auto, das wechselweise mit Elektro- und Verbrennungsmotor fuhr, war 1973 ein umgebauter VW Bully. Die Ingenieure der Technischen Hochschule Aachen holten sich mit ihrem Prototyp jedoch eine Abfuhr bei deutschen Autobauern. Heute beherrscht Toyota mit dem Modell Prius diesen Markt, und deutsche Autohersteller mühen sich in hektisch geschmiedeten Allianzen, ihren Rückstand aufzuholen.
Oder das Fernsehen. Die erste vollelektronische Fernsehübertragung entwickelten Siegmund Loewe und Manfred von Ardenne im Jahr 1931. Der AEG-Techniker Walter Bruch setzte 1963 mit dem Farbfernsehstandard PAL noch eine Innovation drauf. Inzwischen ist AEG pleite, und dass deutsche Unternehmen im Bereich Fernsehelektronik nur noch eine Nebenrolle spielen, kann man in jedem Media-Markt besichtigen. Die Serie der verpassten Chancen lässt sich fortsetzen (siehe Bildergalerie).
Deutsche Tüftler sind Weltmeister nach Ideen, aber Amateure in der Umsetzung. "Amerikaner und Asiaten sind immer noch besser, was die Umsetzung in marktfähige Produkte betrifft", sagt Karsten Müller, Vorstandschef der Beratungsgesellschaft für Patentbewertung und -verwertung IP Bewertungs AG (IPB). Beim Europäischen Patentamt in München reichten deutsche Einzelpersonen und Unternehmen im vergangenen Jahr knapp 26.000 Anmeldungen ein - gemessen an der Einwohnerzahl ist kein Land kreativer. Nach Anzahl der bei der Weltorganisation für geistiges Eigentum in Genf eingereichten internationalen Patente rangiert Deutschland mit 17.000 hinter Japan (27.000) und den USA (50.000).
Doch das Land der Ideen weist auch alarmierende Daten auf.
Milliardenwerte nicht genutzt
Milliardenwerte nicht genutzt
Deutschland offenbart nicht nur Schwächen bei der Umsetzung von der Idee zum Produkt. Jedes vierte Patent in Deutschland wird gar nicht erst auf den Markt gebracht, wie eine Umfrage des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) unter 2600 Betrieben ergab. Zahllose Prototypen verstauben in den Regalen, weil sie nach Auffassung ihrer Schöpfer "noch nicht reif für den Markt sind", oder weil schlicht das nötige Eigenkapital fehlt, um eine Idee weiterzuentwickeln und zu vermarkten. Nach Schätzungen des IW sitzt die deutsche Wirtschaft damit auf nicht realisierten Vermögenswerten von mindestens acht Milliarden Euro.
Mit dieser Nachlässigkeit riskiert Deutschland seine Zukunft. Denn in der globalen Wissensgesellschaft gewinnt der Handel mit Patenten und Patentlizenzen eine immer größere Bedeutung: 1990 wurden weltweit noch zehn Milliarden Dollar für Patentlizenzen gezahlt - nach einer Studie der Deutschen Bank werden es im Jahr 2010 bereits 500 Milliarden Dollar sein.
Der Marktwert der 500 größten US-Unternehmen hängt laut der Studie bereits zu drei Vierteln von immateriellen Werten ab. Werte wie Grundbesitz, Immobilien oder Maschinen werden im Vergleich zu Patenten und anderen immateriellen Werten künftig weiter an Bedeutung verlieren.
Nur innovative Unternehmen überleben
"Innovationen sind die einzige Chance, Arbeitsplätze in Europa zu schaffen und zu erhalten", sagt Oliver Gassmann, Direktor des Instituts für Technologiemanagement an der Universität St. Gallen. "Sobald wir darauf verzichten und uns auf einen Wettlauf um niedrigere Arbeitskosten einlassen, haben wir schon verloren." Die Konsequenz: Nur innovative Unternehmen werden in Europa langfristig überleben.
Es geht also nicht darum, möglichst viele Ideen zu haben, sondern diese auch gewinnbringend zu nutzen. Kein Unternehmen kann es sich leisten, Patente lediglich zu verwalten - es muss diese aktiv managen und sich gegenüber Partnern öffnen, um Ideen weltweit in Profit zu verwandeln.
Dies hat Konsequenzen nicht nur für deutsche Konzerne, sondern auch für mittelständische Unternehmen und Universitäten.
Nicht mehr alles selber machen
Nicht mehr alles selber machen
In der Vergangenheit haben deutsche Unternehmen weltweit Erfolge gefeiert, weil sie sich technologisch eingemauert haben. In einer Art Wagenburgmentalität wurden Patente vor allem als Eigenschutz verstanden: "Wir lassen uns das schützen" hieß es in den Forschungsabteilungen - um die Idee dann zu gegebener Zeit weiterzuentwickeln und zu vermarkten, am besten selbst.
Mit der Globalisierung, schnellerem Wissenstransfer, kürzeren Produktzyklen und immensen Forschungsinvestitionen weltweit, haben sich die Verhältnisse jedoch geändert. Deutsche Ingenieure operieren nicht mehr aus einem komfortablen Technologievorsprung heraus, sondern müssen auf wachsende Konkurrenz und sich verändernde Marktbedingungen reagieren.
"Heute muss bereits die Idee als eine handelbare Ware begriffen werden", sagt IPB-Chef Müller. Es gehe nicht nur darum, eine Idee zu schützen, sondern sie möglichst effizient an den Markt zu bringen. Dies setze ein striktes Patentmanagement sowie eine Öffnung gegenüber Partnern voraus: "Man muss nicht alles selber machen, sondern sollte sich auf seine Stärke konzentrieren und sich gegebenenfalls auch von Projekten trennen." Weiterer Schritt sei die Analyse, welche Leistungen von extern hinzugezogen werden müssen, um aus einer Idee eine Innovation und aus einer Innovation ein marktfähiges Produkt zu entwickeln.
Öffnung für Partner - Patente als Container
Die Globalisierung hat jedoch nicht nur die Wettbewerbsbedingungen verändert - sie kann Deutschland auch aus der Patent-Patsche helfen. "Schon die Idee ist ein handelbares Gut - es muss nicht der komplette Prozess bis zum weltweit vermarkteten Produkt in einer Hand bleiben", betont Müller. Die Globalisierung ermögliche nicht nur eine Arbeitsteilung bei der Gewinnung von Wissen - sie erlaubt auch, eine Wertschöpfungskette aus verschiedenen Partnern zu knüpfen. Damit die Idee sicher auf Partnersuche gehen kann, bedarf sie eines stabilen Transportcontainers: "Das Patent schützt das Wissen auf Reisen", sagt Müller. Beim Patentschutz zu sparen, kann teuer werden: Ideenklau oder äußerst spärliche Lizenzeinnahmen können die Folge sein.
Öffnung als Rettung: Die Devise "Innovation lokal, Exekution global" klingt zwar griffig, bedeutet in der Realität aber einen teuren und langwierigen Prozess. Beratungs- und Bewertungsgesellschaften bieten hier ihre Dienste an, um eine Brücke zwischen Patent- und Kapitalmarkt zu bauen. "Vielen Unternehmen fehlt es an Geld oder an Know-how, um eine Idee zu einer Innovation zu veredeln und anschließend Vermarktungspartner für das neue Produkt zu finden", weiß Müller. Zu den Entwicklungs- und Suchkosten kommen Kosten für die gegenseitige Prüfung (Due Diligence) sowie Verhandlungskosten hinzu: "Kaum ein Mittelständler hat die Zeit und Geduld, um Lizenzverhandlungen mit einem Partner in Asien zu führen."
Schnittstellen und Transfers nutzen
Schnittstellen etablierter Industrien nutzen
Ein mühsamer Prozess. Wer sich jedoch keine professionelle Hilfe holt und keine Partner in die gemeinsame Wertschöpfung einbindet, zahlt möglicherweise einen noch höheren Preis. Er riskiert, dass eine Idee ungenutzt liegen bleibt und früher oder später von anderen verwertet wird.
Viele Unternehmen beschränken sich zudem zu sehr auf den aktuellen Markt und auf ihre Kernkompetenz. Dabei lohnt sich ein Blick auf andere Branchen, die bestimmte Probleme möglicherweise schon gelöst haben.
"80 Prozent der Innovationen sind Rekombinationen", sagt Gassmann. Man müsse nicht selbst alles neu erfinden, betont der Technologieexperte der Universität St. Gallen: Die Transferbereiche, die an der Schnittstelle etablierter Industrien entstehen, böten genug Raum für Neues.
Ein Automobilbauer, der zum Beispiel die Aluminium-Leichtbauweise perfektioniert hat, kann dieses Wissen durch Partnerschaften auch im Maschinenbau oder der Luftfahrtindustrie gewinnbringend einsetzen.
Schuhdämpung aus der Formel 1
Die Fähigkeit, über die eigene Branche hinaus zu blicken, beweist auch das Forschungsteam des bayerischen Autobauers BMW .
Das in neuen BMW-Modellen genutzte Steuerungssystem "iDrive" nutzt Navigationselemente aus der Computerspielbranche. Der an einen Joystick erinnernde Drehknopf in der Mittelkonsole ist für viele Kunden zwar gewöhnungsbedürftig, aber dennoch ein Beispiel für eine fruchtbare Übernahme aus anderen Bereichen.
Erfolgreich im Schnittstellenbereich bewegt sich auch der Sportschuhhersteller Nike , der seine "Shox"-Laufschuhe nach dem Vorbild von in der Formel 1 genutzten Stoßdämpfern gedämpft hat. Wer bei der Entwicklung neuer Produkte jedoch lediglich an das Produkt an sich denkt, greift zu kurz: Regulierungsvorgaben sowie die Finanzierung sind in Deutschland noch immer hohe Hürden auf dem Weg zu einem neuen Produkt - besonders für die Hochschulen steht in diesem Bereich viel auf dem Spiel.
Regulierungsblockaden ausräumen
Regulierungsblockaden ausräumen
Vor allem die Hochschulen leiden nach Ansicht von Gassmann an einer zu starken Regulierung. Enge Zielvorgaben, ein ausuferndes Berichtswesen und detaillierte Vorschriften, auf welche Weise ein Vorhaben anzugehen sei, bremsten in vielen Bereichen die Kreativität.
Der Föderalismus in der deutschen Forschungspolitik erschwere zudem die notwendige Bündelung der Ressourcen, ergänzt Peter Strüven, Partner bei der Boston Consulting Group. Statt den Wettbewerb zwischen Bundesländern und Hochschulen zu fördern, sollte Deutschland besser mit geballter Kraft der Forscherkonkurrenz in USA, Japan und zunehmend auch China und Indien die Stirn bieten.
Die Maxime, dass alle an einer Hochschule entwickelten Patente grundsätzlich der Hochschule gehören, ist nach Einschätzung von Gassmann kontraproduktiv: "In der Praxis führt das dazu, dass Industrieunternehmen nicht mehr ihre Topvorhaben, sondern nur noch drittklassige Forschungsprojekte mit einer Hochschule teilen".
Austauschmöglichkeiten blockiert
Die Einbindung einer Hochschule diene dann vorrangig dem Zweck, Forschernachwuchs zu rekrutieren. Bei den wirklich wichtigen Projekten sei dagegen die Befürchtung zu groß, dass man durch eine Forschungskooperation in einen zähen Rechtsstreit mit einer Hochschule über Intellectual Property geraten könnte.
"Wenn ein Unternehmen treibende Kraft einer Entwicklung ist, sollten ihm auch die Verwertungsrechte gehören", meint Gassmann. Anderenfalls werde der Austausch zwischen Hochschule und Unternehmen, die sich hervorragend ergänzen könnten, blockiert.
Wege für Risikokapital ebnen
Wege für Risikokapital ebnen
Mehr als die Hälfte der vom IW befragten Unternehmen fehlt es nach eigenen Angaben an Eigenkapital, um ihre Patente weiterzuentwickeln. Dass Deutschland bei der Finanzierung junger Technologieunternehmen abgeschlagen ist, mag kaum jemand bestreiten.
Nicht nur Hochschulen und Mittelständlern fehlt häufig das Geld, um ihre Ideen zu veredeln: Selbst innerhalb großer Konzerne sind die Budgets begrenzt, erst recht beim Risikokapital.
"In den USA gibt es dagegen eine ausgeprägte Venture-Capital-Kultur, die für Unternehmen gute Finanzierungsmöglichkeiten bietet", meint Müller. Während bereits zahlreiche ausländische Firmenjäger auch in Deutschland auf der Suche nach Anlagezielen sind, gebe es im Bereich Risikokapital noch nationale und kulturelle Barrieren: Man müsse schon sehr dicht an einem Unternehmen dran sein, um das Potenzial einer Idee oder eines Patents beurteilen zu können. Ein von der Politik reguliertes Subventionssystem wie in Deutschland könne flexibles, privates Risikokapital nicht ersetzen.
Steuerreform birgt Risiken
Die Unternehmensteuerreform in Deutschland könnte sich als weiterer Bremsklotz erweisen. Die geplante Abgeltungsteuer stellt Aktionäre schlechter als Anleihenbesitzer und erschwert damit die Versorgung mit Eigenkapital. Das Vorhaben, Verlustvorträge künftig schneller wegfallen zu lassen, könnte sich nach Ansicht der Grünen-Politikerin Christine Scheel zum "Desaster für innovative Start-up-Unternehmen" entwickeln.
Sorgen bereiten ihr auch die neuen Steuerpläne bei sogenannten "Funktionsverlagerungen": Der Gesetzgeber hatte geplant, hier ein Steuerschlupfloch zu schließen. Doch in der Praxis könnte es dazu führen, dass junge Unternehmen künftig auch ihre Forschungsabteilungen ins Ausland verlagern, um Steuernachteile zu vermeiden.
Auch an Dienstleistungen denken
Auch an Dienstleistungen denken
Riskant ist außerdem, bei der Verwertung von Patenten lediglich an die Hardware und nicht an damit verbundenen Dienstleistungen zu denken. Vor allem US-amerikanische Unternehmen sind fleißig dabei, auch reine Dienstleistungen zu patentieren.
Deutsche und Schweizer Banken haben es schmerzhaft zu spüren bekommen, als die Citigroup ein Patent auf ein automatisiertes Verfahren zur Wechselkursabsicherung geltend machte. "In diesen Bereich kommt auch in Deutschland Bewegung", sagt Gassmann. Vor allem Versicherungsgesellschaften hätten die Patentierung von Dienstleistungen inzwischen auf die Agenda gesetzt.
Wer nicht nur bei Ideen, sondern auch bei der Wertschöpfung führend sein will, muss branchenübergreifend denken und Dienstleistungen im Blick behalten. Die Kaffeehauskette Starbucks zum Beispiel erzielt nicht deshalb Spitzenpreise, weil sie den Kaffee neu erfunden hat. Kunden zahlen bereitwillig auch für die Wohlfühlatmosphäre, die gedämpfte Musik und angenehme Möblierung erzeugen: Inzwischen schlägt sich Starbucks in China mit Kopisten herum - ein verlässliches Signal, dass die Geschäftsidee etwas taugt.
Selbst der Fall MP3 ist für Patentexperten eher ein zukunftsweisendes als ein warnendes Beispiel. "Das Fraunhofer Institut wird niemals mit der gleichen Macht eine Innovation vermarkten können wie die Firma Apple. Es sollte sich weiter auf Forschung konzentrieren und weltweites Marketing den Amerikanern überlassen, das können die besser", meint Müller. Nicht auszudenken allerdings, wenn die Erlanger Forscher schon in einer frühen Phase Produkt- und Vermarktungspartnerschaften mit Apple, Microsoft oder gar mit Siemens geschlossen hätten: Dem Innovationsstandort Deutschland hätte solch ein Patentmanagement nicht geschadet.