Dreiländer-Vergleich Was die neue Kanzlerin von den Nachbarn lernen kann
Hamburg - Die nötige Mehrheit für Reformen hat Angela Merkel durchaus. Die Kanzlerin muss auch nicht weit schauen, um Beispiele für gelungene Reformen zu erblicken. "Österreich - das bessere Deutschland" titelte das manager magazin im Frühjahr dieses Jahres. Ein Dreiländervergleich über die Reformfähigkeit von Österreich, Deutschland und der Schweiz gibt dieser These Recht: Die Alpenrepublik erzielte in einer gemeinsamen Studie der Schweizer Stiftung Avenir Suisse, des Instituts der deutschen Wirtschaft und der Wirtschaftskammer Österreich die meisten Punkte für ihre Reformkraft.
Ermutigend: Deutschland folgt in dem Vergleich, der Reformen seit dem Jahr 2003 berücksichtigt, noch vor der Schweiz bereits an zweiter Stelle. Die von Merkels Vorgänger Gerhard Schröder angeschobene Agenda 2010 und erste Schritte auf dem Weg zu einer Rentenreform bringen Deutschland Reform-Pluspunkte ein. Die Schweiz wirkt mit Blick auf die wirtschaftlichen Rahmendaten zwar wie eine Insel der Seligen, doch zeigen sich die Eidgenossen reformmüde.
Schweiz: Spitzenstellung in Gefahr
"Reformen der Sozialversicherung und der Krankenversicherung wurden in Volksabstimmungen abgelehnt, obwohl sie vergleichsweise harmlos waren", erklärt Thomas Held von Avenir Suisse das schwache Ergebnis der Eidgenossen.
Mit einer Arbeitslosenquote von 3 Prozent und Sozialabgaben in Höhe von nicht einmal 8 Prozent des BIP weist die Schweiz zwar wirtschaftliche Rahmendaten auf, von denen Deutschland nur träumen kann.
Doch auf lange Sicht laufen die Eidgenossen Gefahr, ihre Spitzenstellung an das Nachbarland zu verlieren - wenn sie sich auf den eindrucksvollen Erfolgen der Vergangenheit ausruhen.
Österreich - Blaupause für Kanzlerin Merkel?
Österreich: Blaupause für Kanzlerin Merkel?
Neuer Champion im Dreiländervergleich dürfte dann Österreich werden, dessen Reformfreude und Wirtschaftswachstum manch deutschen Nachbarn neidvoll gen Süden blicken lässt. Deutschland hat mit der frisch gewählten Kanzlerin Angela Merkel (CDU) noch einen weiten Weg vor sich - welche Schritte möglich sind, zeigt die Alpenrepublik eindrucksvoll.
Bereits im Frühjahr 2003 hat sich Österreich mit Reformen auf dem Arbeitsmarkt einen Reformvorsprung erarbeitet. Die Beiträge zur Sozialversicherung wurden gesenkt, der Zuzug von ausländischen Spitzenkräften erleichtert und - mit dem wenig wohlklingenden Gesetz "Abfertigung neu" - der Kündigungsschutz gelockert.
So wird im Fall einer Kündigung zum Beispiel der Anspruch auf eine Abfindung in eine betriebliche Altersvorsorge umgewandelt. Diese kapitalgedeckte Altersvorsorge bleibt Beschäftigten auch erhalten, wenn sie von sich aus den Arbeitgeber wechseln.
Mit niedrigen Steuern Unternehmen locken
Weiteren Schub - und verstärkten Zuzug deutscher Unternehmer - gewann felix Austria dadurch, dass man mit der Steuerreform zu Jahresbeginn 2005 die Unternehmensteuern deutlich von 36 auf 25 Prozent senkte.
Damit reagierte man auf den verschärften Niedrigsteuerwettbewerb innerhalb der EU - und ist für viele ausländische Manager im Vergleich zu Deutschland (40 Prozent Körperschaftsteuer) attraktiv.
Zusätzliche Lockstoffe für Investoren legten die Steuerreformer aus, indem sie Unternehmen die Möglichkeit gaben, Verluste von ausländischen Tochtergesellschaften mit inländischen Gewinnen zu verrechnen. Besonders die Lenker großer Holdings schauen sich seitdem Österreich genauer an: Nach Berechnungen des manager magazins werden sich im Jahr 2010 mehr als 20 Regionen Österreichs in den Top 100 der besten EU-Regionen finden.
Auch der Bereich Forschung und Entwicklung wurde in Österreich bereits im vergangenen Jahr durch das "Universitätsgesetz" gestärkt. Die Verbeamtung von Professoren wurde abgeschafft und die Autonomie der Hochschulen betont. Ein Blick auf die Innovationskraft der angesiedelten Unternehmen wird in einigen Jahren zeigen, ob sich diese Schritte gelohnt haben. In allen vier von der Studie untersuchten Bereichen - Arbeitsmarkt, Wissenschaft und Forschung, Steuern und Finanzen sowie soziale Sicherheit konnte Österreich punkten.
Deutschland - was noch zu tun ist
Deutschland: Altkanzler Schröder schob einiges an
Deutschland gilt zwar vielen noch als der Patient Europas - doch dieser befindet sich laut der Studie auf dem Weg der Genesung. Altkanzler Gerhard Schröder hat mit der Agenda 2010 wichtige Reformen angeschoben, auch wenn handwerkliche Fehler und hohe Mehrkosten insbesondere bei der Hartz-IV-Reform die Bilanz trüben.
Der Entschluss, einen "Nachhaltigkeitsfaktor" in die Rentenversicherung einzuführen und faktisch mehrere Nullrunden bei der Rente zu fahren, war angesichts der desolaten Lage der Rentenversicherung überfällig, ebenso wie die Einführung und Förderung einer kapitalgedeckten privaten Altersvorsorge (Riester-Rente).
Im Bereich Wissenschaft und Forschung konnte Deutschland mit einem Ganztagsschulprogramm und der Initiative zur Förderung der Forschung Pluspunkte sammeln.
Deutsches Staatsdefizit äußerst bedrohlich
Im Bereich Finanzen ist Deutschland dagegen zurückgefallen und weist sogar schlechtere Bedingungen auf als noch im Jahr 2002: Schuld ist die steigende Staatsverschuldung, die dazu führen wird, dass Deutschland in diesem Jahr bereits zum vierten Mal eine Neuverschuldung von mehr als 3 Prozent des BIP aufweisen und damit das Stabilitätskriterium der EU verfehlen wird.
Im Jahr 2006 droht der fünfte Defizitverstoß in Folge, was die Bundesbank zu scharfer Kritik an der Budgetplanung animierte. Erst 2007 will die große Koalition das Maastrichter Defizitkriterium wieder einhalten - und nimmt dafür unter anderem eine Mehrwertsteuererhöhung auf 19 Prozent in Kauf.
Die von der großen Koalition geplanten Reformen - unter anderem eine Lockerung des Kündigungsschutzes - sind jedoch nicht mehr in der Dreiländerstudie berücksichtigt.
Was Merkel noch auf dem Zettel hat
Eine Unternehmensteuerreform scheint in Deutschland eine wichtige Angelegenheit zu sein - wenn man den deutschen Steuersatz von 40 Prozent mit Österreich (25 Prozent) und der Schweiz (kantonal verschieden, durchschnittlich bei 24 Prozent) vergleicht. Während des "Jobgipfels" im März 2005 wurde zwar eine Senkung der Unternehmensteuer vereinbart - im Zuge des Wahlkampfes jedoch wieder kassiert.
"Immerhin können Österreich und die Schweiz von Deutschland lernen, wie man die durch die alternde Gesellschaft entstehenden Probleme der Rentenkasse zumindest angeht", sagt ein Sprecher des Instituts der deutschen Wirtschaft. Ein "demografischer Faktor" in der Rentenversicherung ist in Österreich und der Schweiz unbekannt.
Um die Rentenversicherung zu stabilisieren, bedient sich die Große Koalition in Deutschland zunächst eines Taschenspielertricks, indem sie 2006 durch eine Vorverlegung der Auszahlungstermine einmalig 13 statt zwölf Monatsbeiträge von Unternehmen und Arbeitnehmern einzieht. Weitere Veränderung im nicht mehr finanzierbaren deutschen Umlagesystem sind jedoch erforderlich - und dabei darf Deutschland nicht dem Beispiel Schweiz folgen.
Schweiz: Musterland auf Zeit
Schweiz: Alles super, doch wie lange?
Die Schweiz läuft Gefahr, sich zu lange auf ihren Lorbeeren auszuruhen. Die volkswirtschaftlichen Rahmendaten sind besonders im Vergleich zu Deutschland beeindruckend und verweisen auch das aufstrebende Österreich auf die Plätze.
Mit 7,7 Prozent des BIP waren nach einer Berechnungsmethode der OECD die Sozialabgaben in der Schweiz im Jahr 2002 etwa nur halb so hoch wie in den Nachbarländern (Deutschland 14,2, Österreich 14,5). Die Arbeitslosenquote von 3 Prozent lag deutlich unter der Quote Österreichs (4 Prozent) und meilenweit unter der Arbeitslosenquote in Deutschland, die von 8,6 Prozent im Jahr 2002 inzwischen auf mehr als 10 Prozent gestiegen ist.
Mit einem Bruttoinlandsprodukt von 30.170 Dollar je Einwohner verweist die Schweiz Österreich knapp auf den zweiten Platz, während Deutschland nur auf ein durchschnittliches BIP von 27.280 Dollar je Einwohner kam (siehe Grafik). Die Angaben wurden von den Autoren der Studie um die Kaufkraftunterschiede in den jeweiligen Ländern bereinigt. Damit erwirtschafteten die Schweizer im Jahr 2002 pro Einwohner rund 3000 Dollar mehr als die Deutschen.
Österreich greift die Eidgenossen an
Dennoch konnten die Schweizer im Vergleich nur die wenigsten Reformpunkte sammeln. Zwar haben sie ihr Binnenmarktgesetz geändert und damit den Marktzugang innerhalb der Schweiz erleichtert, doch wurden in der staatlichen Erwerbsunfähigkeitsversicherung die Beiträge erhöht.
Die Schweiz plant zudem eine Senkung der Unternehmensteuer: Die Gewinnbesteuerung der Unternehmen liegt je nach Kanton zwischen 17 und 30 Prozent, doch droht Österreich mit seinen einheitlichen 25 Prozent sowie den großzügigen Verlustverrechnungsregeln, der Schweiz den Rang als Niedrigsteuerland abzulaufen.
In Deutschland bleiben der Arbeitsmarkt und die Staatsfinanzen die größten Baustellen: Im Vergleich zu den beiden Nachbarländern hinkt die größte Volkswirtschaft Europas hier meilenweit hinterher.
Mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer und dem Streichen zahlreicher Steuervorteile will die neue Bundesregierung den Haushalt entlasten - ob sie auch die Arbeitslosigkeit senken kann, bleibt offen.
Die Entwicklung auf dem deutschen Arbeitsmarkt wird nach Einschätzung von Volkswirten aber darüber entscheiden, ob Deutschland seine Aufholjagd fortsetzen kann, die mit der Agenda 2010 und jahrelanger Lohnzurückhaltung begonnen hat. Für Angela Merkel bleibt viel zu tun.