Standort Deutschland Gewerbesteuer - Strafe ohne Sünde
Hamburg - Ungleichbehandlung von Einkünften, überkomplizierte Regeln, wirtschaftsfeindliche Besteuerung - hat man all das bei der Einkommensteuer unter die Lupe genommen, kommt man geradezu zwangsläufig zur Gewerbesteuer, einer Extra-Abgabe auf gewerbliche Einkünfte, die zusätzlich zur Einkommensteuer anfällt. Also, Kurs Steuerbord! Die Sache wollen wir uns mal etwas genauer angucken.
Die Gewerbesteuer wird von den Gemeinden erhoben und zwar auf die Gewinne von Unternehmen. Was dabei zusammenkommt, wird zwischen Bund, Ländern und Gemeinden geteilt. Bund und Länder bekamen 2003 gut 7,1 Milliarden Euro ab.
Die Gewerbesteuer steht bei ihnen auf Platz 8 der Steuereinnahmen. Die Gemeinden kassierten 2003 insgesamt zirka 17 Milliarden Euro vom Gewerbesteueraufkommen.
In ihren Haushalten ist die Gewerbesteuer eine entscheidende Größe. Das Grundgesetz garantiert den Gemeinden das Recht, eine Steuer auf Basis der örtlichen Wirtschaftskraft zu erheben und die Sätze dafür selbst festzulegen.
So gibt es einen von Ort zu Ort unterschiedlichen "Hebesatz". Grundlage ist zunächst der "Gewerbesteuermessbetrag", das sind (nach gesetzlich vorgeschriebenem Tarif) 5 Prozent des Unternehmensgewinns, wie er für die Gewerbesteuer ermittelt wird.
Dann kommt der örtliche Hebesatz, der noch im Jahr 2003 von 0 Prozent (in der legendären Gewerbesteueroase Norderfriedrichskoog in Schleswig-Holstein) bis zu 490 Prozent (in Frankfurt, München, Bochum) reichen konnte. Die Gewerbesteuer auf den Gewinn lag also je nach den örtlichen Gegebenheiten zwischen 0 und 24,5 Prozent.
"Merkwürdige Konsequenzen"
"Merkwürdige Konsequenzen"
Gewerbesteueroasen waren dem Bund und auch den Ländern ein Dorn im Auge, seit 2004 ist ein Mindesthebesatz von 200 Prozent vorgeschrieben. Wär' ja auch noch schöner, wenn einige Kommunen meinen, ihre Unternehmer nicht mit Sondersteuern belasten zu müssen.
Die Gewerbesteuer beträgt nun zwischen 10 und 24,5 Prozent des Gewerbeertrages. Im Bundesdurchschnitt liegt der Hebesatz bei etwa 430 Prozent, was einem durchschnittlichen Steuersatz von 21,5 Prozent entspricht. Bis hierher noch vergleichsweise einfach, aber jetzt geht es los.
Der Unternehmensgewinn, der gewerbesteuerpflichtig ist, unterscheidet sich von dem Unternehmensgewinn, der für die Einkommensteuer (oder die Körperschaftsteuer) ermittelt wird. Es gibt zehn Positionen, um die dieser Gewinn gekürzt wird (Kürzungen) und zehn Positionen, um die er erhöht wird (Hinzurechnungen).
Zu Kürzungen kommt es etwa bei Gewinnen von Auslandsniederlassungen oder Anteilen am Gewinn anderer Unternehmen, die bei den anderen Gesellschaften bereits der Gewerbesteuer unterliegen. Außerdem bei Einnahmen, die anderswo schon zu Hinzurechnungen geführt haben; denn eine doppelte Belastung derselben Einkünfte mit Gewerbesteuer soll vermieden werden. Gewinnerhöhend, jeweils zur Hälfte der anfallenden Beträge, wirken insbesondere Zinsen für langfristige Kredite des Unternehmens oder Mieten für Maschinen und Anlagen, falls nicht auch der Vermieter Gewerbesteuer zahlt.
Diese Vorschriften haben, vor allem durch die Gewinnerhöhung um die Hälfte der betrieblichen Zinsen, mitunter merkwürdige Konsequenzen: Echte Kosten werden beim Unternehmen wie Gewinne besteuert. Arbeitet ein Betrieb mit viel Kredit und zahlt hohe Zinsen - was gerade dann oft der Fall ist, wenn das Geschäft schlecht läuft - kommt es praktisch zu einer Besteuerung von roten Zahlen.
"Rasend komplizierte Regeln"
"Rasend komplizierte Regeln"
Fantasievollerweise gibt es noch eine "erweiterte Kürzung" des Gewerbeertrages bei bestimmten Immobilienunternehmen. Eine "gekürzte Hinzurechnung" blieb uns - bis jetzt - erspart. Im Einzelnen sind die Regeln natürlich wieder rasend kompliziert mit diversen Ausnahmen und Befreiungen, Ausnahmen von Ausnahmen, Freibeträgen, niedrigeren Eingangssätzen und dergleichen mehr.
So gibt es spezielle Ermäßigungen "bei Hausgewerbetreibenden und ihnen nach Paragraf 1 Absatz 2 Buchstabe b und d des Heimarbeitsgesetzes in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 804 - 1, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Artikel 4 des Gesetzes vom 13. Juli 1988 (BGBl. I S.1034), gleichgestellten Personen". Steuervorteile für Menschen, die zu Hause ein Gewerbe betreiben?
Die Vergünstigung geht vielleicht verloren, wenn sie das Haus verlassen; wer weiß das schon so genau? Auf unserer Kreuzfahrt haben wir jedenfalls noch keine getroffen.
Wer seine Gewerbesteuer berechnen will, stößt auf eine besondere Kuriosität: Vom steuerpflichtigen Unternehmensergebnis muss die Gewerbesteuer selbst wie eine Ausgabe abgezogen werden.
Es gilt also, das Kunststück zu vollbringen, vom Gewinn die Gewerbesteuer abzuziehen, obwohl sie ja auf Basis dieses Gewinns erst noch berechnet werden soll. Dafür gibt es natürlich wieder Zauberformeln. Bei der Schätzung der Steuerlast für das Unternehmen stiftet es aber erst einmal gehörige Verwirrung.
Würde die Gewerbesteuer mit ihren bis zu 25 Prozent einfach auf die Einkommensteuer aufgeschlagen, hätten wir eine krasse steuerliche Benachteiligung von Unternehmenseinkünften. Deswegen wird die Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer der Unternehmen angerechnet.
Könnten die Unternehmen die gezahlte Gewerbesteuer dabei einfach von der fälligen Einkommensteuer abziehen, hätten sie zwar allerhand Rechnereien mit der Steuererklärung, eine Zusatzbelastung gäbe es jedoch nicht. Aber so einfach will es das Steuerrecht nicht. Angerechnet wird das 1,8fache des Gewerbesteuermessbetrages, also 1,8 mal 5 Prozent des Unternehmensgewinns, wie er für die Gewerbesteuer ermittelt wird, unabhängig vom tatsächlichen Gemeindehebesatz.
Können Sie noch folgen? Bei einem Einkommensteuersatz von 42 Prozent entspricht der Faktor 1,8 einem Hebesatz von 341 Prozent. Eine Gemeinde mit einem Hebesatz von 341 Prozent gibt es allerdings nicht.
"Was soll dieser Unfug?"
"Was soll dieser Unfug?"
163 der 165 vom Bund der Steuerzahler aufgelisteten Städte liegen über 341 Prozent, und bei einem Bundesdurchschnitt von 430 Prozent bleibt es bei einer echten Mehrbelastung von Unternehmenseinkünften durch die Gewerbesteuer.
Wenn Politiker ein ums andere Mal beteuern, die Gewerbesteuer führe nicht zu Mehrbelastungen, fühlt man sich an Sätze erinnert wie: "Die Renten sind sicher!"
Es geht, in Ausnahmefällen, aber auch andersrum: Liegt der Hebesatz unter 341 Prozent, etwa in Coburg, Alteglofsheim oder Wettringen, wird unter Umständen mehr Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer angerechnet, als tatsächlich gezahlt wird. Mit einem Mal werden unternehmerische Einkünfte niedriger besteuert als andere. Macht ein Unternehmen Verlust, wird das auch bei der Gewerbesteuer berücksichtigt.
Ein Verlustrücktrag, um die Steuerlast des Vorjahrs zu senken, ist jedoch, anders als bei der Einkommensteuer, nicht möglich. Der Verlustvortrag für die Folgejahre funktioniert dagegen mit Einschränkungen ähnlich wie bei der Einkommensteuer.
Da der Unternehmensgewinn, wie er für die Gewerbesteuer ermittelt wird, aber erheblich vom einkommensteuerpflichtigen Gewinn abweicht, führt auch der Verlustvortrag bei dieser Steuer ein munteres Eigenleben.
Und das ist bei der Berechnung der Steuerlasten eines Unternehmens immer wieder für Überraschungen gut. Wer mit der Gewerbesteuer noch nicht vertraut war, wird sich spätestens jetzt die Frage stellen: Was soll dieser Unfug eigentlich?
Überall auf der Welt gibt es die verrücktesten Steuern; an die Skurrilität unserer Gewerbesteuer reicht jedoch kaum eine heran. Der Ausgangspunkt war, den Gemeinden eine eigene Einkommensquelle zu verschaffen, die sie über die Festlegung des örtlichen Hebesatzes auch selbst regulieren dürfen.
Klingt gut, birgt aber auch Risiken. Gibt es in der Gemeinde nur wenige große Unternehmen, kommt es zu massiven Steuereinbrüchen, wenn bei ihnen das Geschäft schlecht läuft. Angesichts der Gewinnrückgänge bei Volkswagen in den vergangenen Jahren kann die Stadt Wolfsburg ein paar wehmütige Shanties davon singen.
Unlängst klagte ein verzweifelter Stadtkämmerer im Fernsehen, in Sachen Gewerbesteuer müsse etwas geschehen: Seine Gemeinde sei darauf angewiesen, mit verlässlichen Einnahmen zu planen und zu wirtschaften.
"Akuter Argumentemangel"
"Akuter Argumentemangel"
Ein Wunsch, den die meisten Gewerbesteuerzahler sicher gut verstehen; so etwas hätten sie auch gern. Um den Kommunen bei diesem Problem entgegenzukommen, waren für 2004 neue Hinzurechnungen vorgesehen.
Der Trick: Höhere Gewerbesteuer durch fiktiv erhöhte Unternehmensgewinne. Noch mehr Unternehmen in der Verlustzone wären zur Kasse gebeten worden.
Glücklicherweise konnte das in letzter Minute verhindert werden. Die Befürworter der Gewerbesteuer befinden sich bereits in der Defensive.
Aktuell besteht akuter Argumentemangel nicht nur für deren Erweiterung, sondern bereits für den Status quo. Jüngstes Highlight der Kampagne "Nicht ohne meinen Hebesatz": Die Steuer sei unternehmensfreundlich, weil sie die Gemeinden dazu zwinge, sich ins Zeug zu legen, um für die Gewerbesteuerzahler attraktiv zu werden.
Das klingt erst einmal plausibel.
Auch die Rolling Stones müssen eine gute Show liefern, um bei ihren gesalzenen Ticketpreisen ein Stadion mit Zuschauern zu füllen, und die Zuschauer kommen, weil sie eine gute Show erwarten. Der Vergleich hinkt aber erheblich.
Der Zuschauer, dem das Stones-Konzert nicht gefällt, ist zwar ärmer, aber er geht am Ende - oder auch davor - nach Hause und kommt bei der nächsten Tournee einfach nicht wieder. Ein Unternehmen, das sich in einer Gemeinde angesiedelt hat, ist da schon festgelegter.
Eine Firma auf die Beine zu stellen, dauert eben nicht zwei Stunden, die Show ist auf viele Jahre angelegt. Außerdem können selbst die Stones nicht während des Konzerts plötzlich die Preise erhöhen - obwohl dazu bei einem langen Gitarrensolo durchaus Gelegenheit wäre.
"Diverse Rechenspiele möglich"
"Diverse Rechenspiele möglich"
Die Gewerbesteuer kann über eine Erhöhung der Hebesätze im Laufe der Zeit hingegen ganz schön ansteigen. Das Argument, die Gemeinden könnten sich mit dem Geld aus der Gewerbesteuer besonders hübsch machen für ihre Unternehmen, läuft darauf hinaus, dass sie ihr Steueraufkommen dazu verwenden sollen, bestimmte Wirtschaftszweige zu fördern.
Abgesehen davon, dass auch das zu einem Großteil von Steuerzahlern bezahlt werden muss, die nicht gefördert werden, sollten Unternehmen eigentlich selbst am besten wissen, was ihnen gut tut, und das dann auch selbst bezahlen. Die einzige sinnvolle Unternehmensförderung über die Gewerbesteuer ist ein niedriger Hebesatz.
Bei dem Mindestsatz von 200 Prozent fällt die Steuerlast auf die Gewinne (auf Grund der günstigen Anrechnung auf die Einkommensteuer) am Ende gut 2 Prozent niedriger aus als ohne Gewerbesteuer; Unternehmer zahlen dann auch weniger Steuern als Kapitalanleger, Vermieter, Selbstständige und Angestellte.
Die Gewerbesteuer macht diverse Rechenspiele möglich: Hat die Nachbargemeinde einen Hebesatz von 450 Prozent, zahlen die Betriebe dort 6 Prozent mehr Steuern als nebenan und 4 Prozent mehr als andere Einkommensteuerzahler vor Ort.
Die Sache wird bei näherer Betrachtung immer bizarrer. Vielleicht hilft eine historische Information, diesen Geist wieder ganz in die Flasche zurückzubekommen.
Während der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland wurde die Gewerbesteuer als urdeutsche Besonderheit gefeiert und gepflegt. Mit ihren eigentümlichen Methoden zur Gewinnermittlung galt sie den Nationalsozialisten als wegweisende Abkehr vom - von ihnen so genannten - "jüdisch-kapitalistischen Profitdenken".
In unsere Zeit jedenfalls passt die gesonderte Berechnung des Unternehmensgewinns für die Gewerbesteuer nicht; man sollte sie ein für alle Mal einstellen. Dafür spricht auch das Urteil der fünf Wirtschaftsweisen zur Gewerbesteuer: "Sie vereint alle schlechten Eigenschaften, die Steuern überhaupt aufweisen können." Hoffentlich ist unser Winken zur Gewerbesteuer ein Abschiedsgruß.