Nach zehn Jahren Strukturkrise sind viele deutsche Unternehmen zu Übernahmekandidaten geworden vom Chemiekonzern Celanese bis zur Deutschen Bank. Ist das wirklich so schlimm?
Die Antwort auf die Frage, ob es vorteilhaft oder nachteilig für ein Unternehmen oder ein Land ist, wenn Ausländer einsteigen, hängt natürlich davon ab, welche Motive der Übernehmer verfolgt. Die Übernahmewelle der zweiten Hälfte der neunziger Jahre, so der Kieler Forscher Henning Klodt, hatte vor allem zwei Antriebskräfte: die Globalisierung und die Deregulierung.
Globalisierung bedeutet, dass die Märkte wachsen. Die Unternehmen folgen tendenziell diesem Trend und wachsen mit.
Warum? Weil sie glauben, ihre vorhandene Produktionsbasis besser ausnutzen zu können: Wenn sie ein erfolgreiches Geschäftsmodell international ausdehnen, können sie die Produktivität steigern und somit mehr Geld verdienen (man bezeichnet das als steigende Skalenerträge oder "Economies of Scale").
Diese Größenvorteile können sowohl auf der Vertriebs- als auch auf der Produktionsseite liegen. Manchmal will ein Unternehmen vor allem den lokalen Markt im Zielland bedienen; manchmal geht es darum, Teile der Produktion ins Ausland zu verlagern; häufig vermischen sich bei Firmenübernahmen beide Motive.
Bei der großen Welle der Investitionen in den USA, deren markantester Fall die Fusion von Chrysler mit Daimler war, stand der Zugang zum großen US-Markt im Zentrum des Interesses. Wer wachsen will, muss auf dem wichtigsten Verbrauchermarkt der Welt präsent sein.
Mehr noch: Er muss dort eine führende Rolle anstreben, in einem fremden Land, einer fremden Kultur mit anderen Geschmäckern und Gepflogenheiten - Hürden, die es ratsam erscheinen lassen, nicht mit einer neu gegründeten Tochterfirma an den Start zu gehen, sondern ein etabliertes dortiges Unternehmen zu übernehmen.
Die Gründe der Auslagerung
Wer auf einem ausländischen Markt verkaufen will, der muss meist auch einen Teil seiner Produktion dorthin verlagern. Aus drei Gründen:
Zum ersten, weil es aus der Ferne schwierig ist, den Geschmack der heimischen Käuferschaft genau zu beurteilen (so bauen Mercedes und BMW ihre vor allem auf den US-Markt zielenden Geländewagenmodelle M und X5 in Amerika).
Zum zweiten, weil handelspolitische Konflikte den Absatz erschweren könnten.
Zum dritten, weil eine Aufwertung der heimischen Währung dafür sorgen kann, dass die Produkte auf dem ausländischen Absatzmarkt nicht mehr konkurrenzfähig sind.
In einigen Branchen, insbesondere bei Strom, Verkehr und Transport, eröffnete die Liberalisierung und Privatisierung in den neunziger Jahren Möglichkeiten zum Einstieg in Großunternehmen. So haben sich der schwedische Stromkonzern Vattenfall Europe und der französische Staatsmonopolist Electricité de France (EDF) inzwischen als bedeutende Anbieter auf dem deutschen Strommarkt etabliert.
Unternehmen, die ausschließlich ihre Produktion internationalisieren wollen, aber kein besonderes Interesse am fremden Absatzmarkt haben, bauen eher eigene Firmen im Ausland auf, als dortige zu übernehmen. So hat die deutsche Autoindustrie meist eigene Werke in Ungarn, Tschechien, der Slowakei und Polen errichtet - Investments auf der grünen Wiese, ohne eingesessene Firmen zu übernehmen. Die Konzerne kombinieren so heimisches Know-how mit den niedrigen Kosten des ausländischen Standorts.
Der Nutzen für die Wirtschaft
Die positiven Effekte von Übernahmen spiegeln sich in den Statistiken wider. Eine Untersuchung der OECD zeigt, dass Töchter von ausländischen Konzernen in allen Ländern deutlich produktiver sind und höhere Löhne zahlen als Firmen unter heimischer Herrschaft und dass sie, auch in Deutschland, mehr Technologien erhalten, als sie an die ausländischen Mütter liefern.
Der Nutzen, den Ausländer für die heimische Wirtschaft stiften, geht weit über das einzelne übernommene Unternehmen hinaus. Typischerweise kommt es zu einem "Überschwappen" ("Spill-over"), das die positiven Effekte weiter trägt.
Magnus Blomström, Professor an der Stockholm School of Economics, hat die Ergebnisse diverser Fallstudien zusammengetragen. Demnach haben ausländische Direktinvestitionen folgende Wirkungen:
Sie bringen neue Technologien ins Gastland und qualifizieren die dortigen Beschäftigten, die diese Kenntnisse und Fähigkeiten nach einem späteren Jobwechsel in anderen Firmen anwenden.
Sie erhöhen den Wettbewerbsdruck im Gastland, was zu Preissenkungen und Produktivitätsverbesserungen führt.
Die Investoren bringen Standards zur Kostenkontrolle und zur Qualitätssicherung mit und drängen ihre örtlichen Zulieferer, diese ebenfalls einzuführen - wodurch diese ihre Absatzchancen auf dem internationalen Markt erhöhen.
Der höhere Wettbewerbsdruck durch die Präsenz der Multis bewirkt, dass heimische Unternehmen ihr Marketing verbessern, so dass sie auf dem heimischen und/oder dem Weltmarkt wettbewerbsfähiger werden.
Der Motor der Globalisierung
Volkswirtschaftlich betrachtet ist auch die Zunahme des internationalen Handels zwischen den Multis und innerhalb dieser Konzerne sehr vorteilhaft. Ausländische Direktinvestitionen und grenzüberschreitende Übernahmen sind der Motor der Globalisierung.
Während Wirtschaft und Handel seit Anfang der achtziger Jahre etwa um das Dreifache gewachsen sind, haben sich die internationalen Firmentransaktionen im gleichen Zeitraum verdreißigfacht.
Internationaler Handel findet zum großen Teil innerhalb internationaler Großkonzerne statt oder wird von ihnen über Zulieferverflechtungen angeregt - mit den bekannten produktivitätssteigernden Folgen.
Während diese Effekte besonders stark zutage treten, wenn Konzerne aus reichen in ärmeren Ländern investieren, so sind sie doch auch bei Übernahmen zwischen hoch entwickelten Ländern spürbar.
Schließlich sind es in aller Regel die besten Unternehmen - die hocheffizient gemanagten, die produktivsten, die technologisch weit fortgeschrittenen -, die schwächere Firmen aufkaufen.
Manch angeschlagenes Unternehmen wäre denn auch froh, wenn es von einem potenten ausländischen Wettbewerber übernommen würde; das gilt beispielsweise für einige der extrem ertragsschwachen deutschen Großbanken.
Sie sind jedoch so unattraktiv, dass sich nicht einmal ein ausländischer Investor findet.