Branchenprognose verdüstert sich
Airlines befürchten mehr als 150 Milliarden Dollar Corona-Verlust
Fluggesellschaften in aller Welt müssen in der Corona-Krise voraussichtlich noch höhere Verluste überstehen als bisher gedacht. Der Airline-Verband IATA rechnet branchenweit mit einem Minus von 157 Milliarden Dollar innerhalb von zwei Jahren.
Leerer Berliner Flughafen Berlin: Airport TXL Anfang November, wenige Tage vor Abflug der letzten Maschine
Foto: Omer Messinger / imago images/ZUMA Wire
Angesichts der heftigen zweiten Welle der Corona-Pandemie rechnet der Weltluftfahrtverband IATA mit noch höheren Verlusten als bisher. Für dieses und das kommende Jahr zusammen prognostizierte die International Air Transport Association (IATA) ein Defizit von insgesamt 157 Milliarden Dollar.
Im Juni hatte die Luftfahrtlobby für 2020 noch einen Fehlbetrag von 100 Milliarden Dollar taxiert - jetzt geht sie von 118,5 Milliarden Dollar im Jahr eins der Pandemie aus und von weiteren 38,7 Milliarden Dollar im Jahr zwei. Damit fiele das Minus fast zweieinhalb Mal so hoch aus wie im Juni vorhergesagt. Und 2021 würde zum zweitschwersten Verlustjahr in der Geschichte der Luftfahrt, hieß es von der IATA.
Eine Erholung des Geschäfts durch Corona-Impfstoffe, die bald auf den Markt kommen sollen, werde sich erst Mitte 2021 bemerkbar machen, glaubt IATA-Generaldirektor Alexandre de Juniac (58).
Die Fluggesellschaften weltweit müssen nach der IATA-Prognose mit einem Einbruch der Passagierzahl um 60 Prozent auf 1,8 Milliarden rechnen. Der Umsatz im Passagierluftverkehr werde um 69 Prozent auf 191 Milliarden Dollar absacken. Für 2021 sagt die Lobby 2,8 Millionen Fluggäste voraus.
Die Luftfracht trifft die Corona-Krise nicht so hart: Die angesichts verknappter Kapazitäten gestiegenen Preise begrenzen den Umsatzrückgang auf ein Minus von 15 Prozent oder von knapp 118 Milliarden Dollar.
Willie Walsh wird neuer Lobby-Chef
Die Airline-Lobby trifft sich am Dienstag zu ihrer Jahreshauptversammlung per Videokonferenz. Als Nachfolger von de Juniac, der im März sein Amt niederlegen will, soll dann Willie Walsh (58) gekürt werden, bis vor Kurzem Chef des britisch-spanischen Airlinekonzerns IAG.
Die Corona-Krise habe die große Bedeutung des IATA als Stimme der internationalen Luftfahrtindustrie noch einmal verdeutlicht. "Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um die IATA-Führung für die lange Phase der Erholung zu übergeben", wird Juniac zitiert. Juniac war im September 2016 von Air France/KLM zur IATA gekommen. Walsh hatte die IAG-Führung im März dieses Jahres aufgegeben und angekündigt, dass er in den Ruhestand gehen werde.
Erholung in weiter Ferne
"Wir brauchen die sichere Wiedereröffnung der Grenzen ohne Quarantänevorschriften, sodass die Leute wieder fliegen", sagte IATA-Chef de Juniac. Der Verband hofft, dass Corona-Schnelltests für Reisende und Impfstoffe gegen das Virus ab dem Sommer zu einer spürbaren Erholung der Nachfrage und damit zu einem gewissen Aufschwung im Flugverkehr führen.
Das Geschäftsvolumen aus der Zeit vor der Krise wäre aber auch dann noch weit entfernt. Nach Schätzung der IATA dürfte der Umsatz der Luftfahrtbranche im kommenden Jahr mit 459 Milliarden Dollar zwar die jetzt für 2020 erwarteten 328 Milliarden Dollar übertreffen. Das wäre allerdings immer noch nur gut halb so viel wie die 838 Milliarden Dollar aus dem Vorkrisenjahr 2019.
"Ohne die Finanzhilfen der Regierungen in Höhe von 173 Milliarden Dollar hätten wir Insolvenzen in einem massiven Ausmaß gesehen", sagte de Juniac. Nach Ansicht von Lufthansa-Chef Carsten Spohr (53) könnte allerdings auch diese Summe nicht ausreichen, um Fluggesellschaften weltweit durch die Krise zu bringen. "Wir waren immer gegen Staatsgeld in unserer Branche", sagte er. In dieser außergewöhnlichen Krise gebe es jedoch keinen anderen Weg.
Dabei dürfte die Krise vielen Fluggesellschaften in Europa noch schwerer und länger zu schaffen machen als Konkurrenten in anderen Regionen der Welt. So seien Airlines auf dem alten Kontinent in hohem Maß von Einnahmen aus dem Auslandsgeschäft abhängig. Zudem bremse die zweite Infektionswelle das Geschäft. So dürfte die Nachfrage nach Flugreisen in Europa 2021 der IATA zufolge zwar fast anderthalbmal so hoch ausfallen wie im laufenden Jahr, wäre damit aber immer noch weniger als halb so hoch wie 2019.
Für 2020 sagt die IATA den europäischen Airlines einen Nettoverlust von 26,9 Milliarden Dollar voraus. Im kommenden Jahr dürfte es mit 11,9 Milliarden Dollar noch einmal fast halb so viel werden. Fluggesellschaften in Nordamerika dürften ihre Verluste nach Schätzung des Verbands 2021 hingegen um rund drei Viertel im Vergleich zu 2020 eindämmen können. So habe sich der Inlandsflugverkehr in den USA früher von der Krise erholt. Zudem hätten die dortigen Airlines bereits früher ihre Kosten gesenkt.