Die Makroökonomie des Fußballs Was Fußballvereine von Entwicklungsländern lernen können

Von Sascha L. Schmidt
DFB-Pokalsieger Eintracht Frankfurt: Innovativ genug, um die Bayern dauerhaft zu ärgern?

DFB-Pokalsieger Eintracht Frankfurt: Innovativ genug, um die Bayern dauerhaft zu ärgern?

Foto: TOBIAS SCHWARZ/ AFP

Mit der neuen Bundesligasaison startet mit großer Zuverlässigkeit auch wieder die Debatte um das Leistungsgefälle zwischen den Teams. Kann außer den Bayern überhaupt noch ein anderer Verein Meister werden? "Geld schießt Tore" heißt es oft, und da ist etwas Wahres dran. Gerade im Fußball hängen der ökonomische und sportliche Erfolg entscheidend voneinander ab.

Wer sportlich am besten abschneidet, bekommt die höchsten Prämien, welche wiederum in den sportlichen Bereich investiert werden können. Dies ist ein sich selbst verstärkender Mechanismus, daher ist es selbst für aufstrebende Teams schwer, zur absoluten Spitze aufzuschließen. Aufgeben sollten sie trotzdem nicht, denn die Lücke nach ganz oben kann geschlossen werden. Anschauungsunterricht hierfür liefert die Makroökonomie.

Sascha L. Schmidt
Foto: Falco Peters

Sascha L. Schmidt  ist Lehrstuhlinhaber und Leiter des Center for Sports and Management (CSM)  an der WHU - Otto Beisheim School of Management. Dort widmet er sich der "Zukunft des Sports" als einem seiner zentralen Forschungsschwerpunkte. Zudem ist er akademischer Leiter der "SPOAC - Sports Business Academy by WHU" , die sich als Weiterbildungsinstitution für künftige Führungskräfte im Sportbusiness etabliert hat. Schmidt studierte, promovierte und habilitierte an den Universitäten Essen, Zürich, St. Gallen, der EBS Universität in Oestrich-Winkel sowie an der Harvard Business School in Boston und war danach Strategieberater bei McKinsey und Unternehmer.

Forscher der Universitäten Michigan (USA) und Hamburg haben vor einiger Zeit den sportlichen Aufschwung der US-amerikanischen Fußball-Nationalmannschaft seit den 1960er-Jahren mit dem Volkseinkommen im Aufschwung befindlicher Entwicklungsländer verglichen. Dabei stellten die Wissenschaftler fest, dass aus der Makroökonomie bekannte Mechanismen auf den Fußball übertragen werden können. Genauer gesagt geht es um die aus der Volkswirtschaftslehre bekannte "Middle Income Trap".

Lernen durch nachahmen

Diese "Mittlere-Einkommen-Falle" ist ein volkswirtschaftliches Phänomen, wonach Entwicklungsländer deutlich schneller wachsen können als wohlhabende Länder. Der Grund liegt darin, dass Nachahmung leichter zu bewerkstelligen ist als Innovation, denn Entwicklungsländer können sich zunächst viel von führenden Industrienationen abgucken. Wenn sie zum Beispiel die neusten Computer und modernsten Maschinen importieren, die bereits in führenden Nationen zum Einsatz kommen, werden ihre eigenen Wertschöpfungsprozesse mit hoher Wahrscheinlichkeit schnell wesentlich produktiver. Im Gegensatz dazu müssen wohlhabende Länder, wenn sie wachsen wollen, innovativ sein. Sie müssen neue Wege finden, Best Practices erarbeiten.

Derselben Logik folgend wird sich das Wachstum eines aufstrebenden Landes aber über die Zeit natürlich verlangsamen, da sich der Abstand zu den führenden Volkswirtschaften verringert und die Produktivitätsgewinne durch Nachahmung drastisch abnehmen. Meist ist dies der Fall, wenn ein mittleres Einkommensniveau in der Bevölkerung erreicht ist. Um dann Produktivität und Wachstum weiter steigern zu können, sind neue, innovative Ideen nötig. Und genau hier liegt der Knackpunkt, an dem viele aufstrebende Nationen nicht mehr weiter kommen: Sie landen in der "Middle Income Trap", aus der man nur sehr schwer entkommen kann.

Die Großen ärgern

Im Grunde geht es vielen aufstrebenden Fußballteams ähnlich wie aufstrebenden Ländern. Sieht man sich die US-amerikanische Nationalmannschaft in den 1960er-Jahren an, lag sie fußballerisch weit hinter den führenden Nationen. Niederlagen mit mehr als fünf Toren Differenz waren an der Tagesordnung. Um zu den spielstarken Mannschaften aufzuschließen, hat das US-Team einen Prozess durchlaufen, der durchaus vergleichbar mit dem beschriebenen Pfad von Entwicklungsländern ist.

Es begann damit, dass man sich Taktiken und Spielweisen von führenden Nationalmannschaften abschaute. Zunächst fokussierten sich die US-Boys darauf, in der Abwehr sicherer zu stehen, denn effizientes Verteidigen ist einfacher zu lernen, als kreatives Offensivspiel. Das zahlte sich aus: Das US-Team kassierte weniger Tore und verlor so auch weniger Spiele. Ein ähnlicher Mechanismus konnte übrigens bei der diesjährigen Weltmeisterschaft beobachtet werden, wo einige "fußballerische Entwicklungsländer", wie zum Beispiel Russland, mit solider Abwehrarbeit die arrivierten Teams ärgern konnten.

Als nächstes konzentrierten sich die US-Strategen auf die Offensivarbeit. Auch hier wurde mit Hilfe ausländischer Trainer und systematischer Spielbeobachtungen schnell Boden auf die großen Fußballnationen gut gemacht. Plötzlich begannen die US-Amerikaner Tore zu schießen und immer mehr Spiele zu gewinnen. Zu Beginn des neuen Jahrtausends war der prozentuale Sieganteil des US- Teams gegenüber den 1960er-Jahren um 66 Prozent gestiegen. Die US-Nationalmannschaft war auf einmal nahe dran an der Spitze des Weltfußballs.

Innovation statt Stagnation

Was danach folgte und bis heute anhält, ist bestenfalls mit Stagnation zu beschreiben. An Fußballnationen wie Deutschland, Brasilien, Italien oder Argentinien führt für die USA noch immer kein Weg vorbei. Die US-Boys hängen in der "Middle Income Trap" fest, weil es ihnen an Innovationsvermögen mangelt. Analog zum beschriebenen Entwicklungspfad aufstrebender Länder reicht es nicht, andere Nationen zu kopieren, um an die Spitze zu gelangen. Vielmehr müssen neue Spielsysteme und innovative Taktiken entwickelt werden, auf die sich der Gegner nicht so leicht einstellen kann.

Die Lücke vom Mittelfeld zur Spitze zu schließen ist auch das Problem, dem sich das Gros der Bundesligavereine ausgesetzt sieht. Denn in der höchsten deutschen Spielklasse gibt es zahlreiche Teams, die in einer Art "Middle Income Trap" festsitzen und sich nur mit Mühe daraus befreien können. Die Gefahr dabei ist, dass die Lücke zwischen den führenden Teams und dem Mittelfeld auf Dauer größer wird.

Denn mit bleibendem sportlichen Erfolg bekommen Mannschaften wie der FC Bayern, Borussia Dortmund oder Schalke 04 immer mehr finanzielle Möglichkeiten, um damit auch Innovationen auf und auch neben dem Platz voranzutreiben und ihre Spitzenstellung zu untermauern.

Folgt man der Makroökonomie, geht die größte Wertschöpfung letztlich immer an Innovatoren. Folglich besteht der Ausweg aus der "Middle Income Trap" auch für Mannschaften aus dem Mittelfeld der Bundesliga darin, innovativ zu werden - sowohl im sportlichen Bereich als auch im wirtschaftlichen, wo neue Geschäftsmodelle dazu beitragen, neue Erlösquellen zu erschließen, über die andere Vereine (noch) nicht verfügen.

Über dauerhafte Innovationen ist es auch für Mannschaften, die sich etatmäßig im Mittelfeld bewegen, möglich, zur Spitze aufzuschließen und sich dort zu halten. Deshalb blicken wir gespannt zum Beispiel nach Hoffenheim, Gladbach oder Frankfurt. Sind Vereine wie diese innovativ genug, haben sie das Potenzial, dauerhaft zur Spitze aufzuschließen.

Sascha L. Schmidt ist Professor an der WHU - Otto Beisheim School of Management und Mitglied der MeinungsMacher von manager-magazin.de. Trotzdem gibt diese Kolumne nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion des manager magazins wieder.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren