Jens-Uwe Meyer

Ist auch Ihr Job bedroht? Hilfe, ich werde wegdigitalisiert!

Willkommen in der neuen Welt: Ein Roboter zur Patientenbetreuung in einem Krankenhaus im belgischen Ostend.

Willkommen in der neuen Welt: Ein Roboter zur Patientenbetreuung in einem Krankenhaus im belgischen Ostend.

Foto: FRANCOIS LENOIR/ REUTERS
Jens-Uwe Meyer

Dr. Jens-Uwe Meyer ist Vorstandsvorsitzender der Innolytics GmbH, Autor und internationaler Keynote Speaker. Mit 13 Büchern (u.a. "Digitale Gewinner", "Digitale Disruption") und mehr als 250 Artikeln zählt er zu den Vordenkern für Digitalisierung und Innovation in Europa.
www.jens-uwe-meyer.de 

Sie sind im Transportwesen oder in der Logistik tätig? Dann wissen Sie schon, dass autonome Autos und Lieferwagen den Fahrern in den kommenden Jahren möglicherweise die Jobs wegnehmen werden. Sie sind arbeiten in der Produktion?

Dann sind Sie den Anblick von Robotern bereits gewöhnt und wissen: Dieser Trend wird in den nächsten Jahren zunehmen. Sie sind Anwalt oder Arzt, Steuerberater oder Führungskraft in einer Versicherung? Dann machen Sie sich vermutlich weniger Sorgen, dass Ihnen die Digitalisierung gefährlich wird. Das sollten Sie aber.

Der digitale Wandel wird Aufgabenbereiche von Menschen ersetzen, die heute nicht im Entferntesten damit rechnen, dass ihr Job durch einen Computer ersetzt werden könnte. Bei den Recherchen zu meinem neuen Buch "Digitale Disruption"  bin ich auf fünf Kriterien gestoßen, anhand derer sich relativ leicht erkennen lässt, ob auch der eigene Arbeitsplatz von dieser neuen industriellen Revolution bedroht ist. Ich nenne es das Prinzip der Kompetenzstandardisierung.

Kompetenz ist standardisierbar So, Sie wurden geblitzt? Sie können ruhig nicken, während Sie diesen Artikel lesen, sieht das keiner. Und was haben Sie anschließend getan? Haben Sie kleinlaut bezahlt oder Sie sind zum Anwalt gegangen? Ein kluger Rechtsberater würde Ihnen dann ein paar ziemlich banale Fragen stellen: Ist Ihr Gesicht zu erkennen? Welche Art von Blitzgerät wurde eingesetzt? Wo genau wurden Sie geblitzt? Auch wenn der Anwaltsberuf zum Teil ein sehr kreativer ist - für die Beurteilung eines solches Falls braucht es nicht wirklich tiefgreifende Fachkenntnisse. Das können heute bereits Algorithmen.

Auf der Online-Plattform geblitzt.de  können Bußgeldbescheide schon heute kostenlos eingereicht werden; ein Algorithmus entscheidet dann, ob es sich lohnt, zu klagen. Auch die Verfahren werden so weit automatisiert, dass ein einziger Anwalt bis zu 100 Fälle am Tag schafft. Auf dieselbe Art und Weise kann auch das Know-how von Ärzten digitalisiert werden - zumindest im Bereich der Diagnostik.

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Überall dort, wo es darum geht, auf eine Vielzahl möglicher Fragen eine Vielzahl möglicher Antworten zu generieren, wo Wissensfragmente nach einem vorgegebenen Muster zusammengestellt werden, haben wir es mit standardisierbaren Aufgaben zu tun. Und die sind durch Algorithmen ersetzbar. Damit können bestimmte Aufgaben von Anwälten und Ärzten ebenso digitalisiert werden, wie die von Kraftfahrern und Fabrikarbeitern.

Standardisiertes Wissen besteht aus einer Vielzahl von "Wenn-Dann-Beziehungen": Wenn Hindernis, dann bremsen, lautet eine Regel für ein autonom fahrendes Auto. Auf das Blitzerbeispiel angewendet lautet der Algorithmus für den Anwalt: Wenn Gerät nicht geeicht, dann hohe Erfolgswahrscheinlichkeit beim Einspruch. Oder beim Arzt: Wenn bestimmte Blutwerte hoch, dann Verdacht auf Krankheit.

Mehr und mehr Unternehmen nutzen die technologische Entwicklung, um traditionellen Berufen digitale Konkurrenz entgegenzusetzen. Der französische Kleinbus-Hersteller Navya  ersetzt das Know-how von Berufskraftfahrern. Preventicus  aus Jena digitalisiert Teile des ärztlichen Know-hows. Und das Mainzer Unternehmen Lexalgo  hat eine klare Vision: "Automating the law".

Kann auch Ihr Know-how standardisiert werden?

Beantworten Sie die nachfolgenden fünf Fragen und Sie kennen die Antwort.

1. Rufen Sie bestehendes Wissen und bestehende Regeln ab? Für einen Steuerberater gibt es eine Zahl X möglicher Einkommenssituation von Steuerpflichtigen, der eine Zahl Y von Steuervorschriften gegenübersteht. Falls er nicht gerade Experte für kreative Schlupflöcher ist, ist dies ein Musterbeispiel für Aufgaben, die durch digitale Technologien ersetzt werden können. Andersherum gefragt: Warum gibt es überhaupt Steuerberater? Würde bei jedem Zahlungsvorgang automatisch die fällige Steuer berechnet und eingezogen - hätte sich die Zunft der Steuerberater jemals etabliert? Falls Sie also in einem Beruf tätig sind, bei dem der situative Abruf von bestehendem Wissen oder von bestehenden Regeln im Vordergrund steht, seien Sie sich bewusst: Ihre Aufgabe kann digitalisiert werden.

2. Üben Sie sich häufig wiederholende Tätigkeiten aus?Der Kreditsachbearbeiter einer Bank prüft vor jeder Entscheidung, ob ein Unternehmen kreditwürdig ist oder nicht, die gleichen Unterlagen. Viele dieser Unterlagen werden manuell angefordert, jedem Kunden wird wieder und wieder erklärt, welche Unterlagen benötigt werden. Oder nehmen Sie einen Trainer, der Menschen die Grundlagen des Programmierens beibringt. Durch die hohe Wiederholung des immer Gleichen sind beide Berufe stark anfällig für die Digitalisierung. Glauben Sie nicht? Das Unternehmen AFB  bewirbt seine Produkte offensiv mit der "automatisierten Kreditentscheidung". Die Online-Plattform Codedemy  bietet Programmierkurse ohne Trainer an. Probieren Sie es aus: Bereits nach einer Stunde sind Sie in der Lage, erste einfache Programmierungen vorzunehmen.

3. Führen viele andere die gleichen Tätigkeiten aus? Digitalisierung lebt von Skalierung. Warum hat sich geblitzt.de ausgerechnet auf Bußgeldbescheide und nicht den Einspruch gegen Baugenehmigungen in der Nachbarschaft spezialisiert? Weil viel mehr Menschen geblitzt als in baurechtliche Auseinandersetzungen verwickelt werden. Sind Sie die einzige Person in Ihrem Unternehmen oder in Ihrer Branche, die Ihre Tätigkeit ausführt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie digitalisiert werden, relativ gering. Wenn Sie aber das Gleiche tun wie Tausende andere, besteht ein hohes Risiko, dass Ihr Job digitalisiert wird.

4: Übertragen Sie manuell Daten? Nehmen wir an, Sie sind in der Bestellannahme eines Großhändlers tätig. Warum existiert Ihr Job? Weil das IT-System des Kunden aktuell noch nicht mit dem IT-System des Großhändlers korrespondiert. Im Prinzip sind Sie das, was Programmierer eine "Schnittstelle" nennen: Sie übertragen Daten von Papier in ein Computersystem. Mit hoher Wahrscheinlichkeit sitzt auf der Kundenseite eine andere Person, die eine Bestellung aus einem IT-System auf Papier ausdruckt und Ihnen schickt. Sobald die Systeme miteinander kommunizieren können, werden gleich zwei Jobs wegdigitalisiert.

5. Kann Ihr Arbeitgeber Ihre Leistung problemlos anderswo einkaufen? Grafiker, die Bilder für Werbebroschüren bearbeiten, Webanimationen oder Erklärvideos erstellen, unterliegen möglicherweise dem Glauben, dass man Kreativität nicht digitalisieren könne. Das stimmt. Es gibt jedoch ein weiteres Prinzip digitaler Disruption: "Crowdification". Aufgaben, die früher eine festangestellte Person innerhalb eines Unternehmens erledigt hat, werden an sogenannte "Crowdworker" herausgegeben: Menschen, die weltweit vergleichbare Ergebnisse abliefern. Auf dem Internetmarktplatz fiverr.com  können Sie ein Video in Rumänien schneiden, eine Webanimation in Südafrika oder Neuseeland anfertigen oder Artikel rund um Ihre Produkte in den USA schreiben lassen.

So sichern Sie Ihren Job In den nächsten Jahren werden eine Reihe von Arbeitsplätzen durch die Digitalisierung wegfallen. Aufgaben wie die beschriebenen werden mehr und mehr durch Algorithmen ersetzt.

Es gibt drei Strategien, mit denen Sie Ihren Job sichern können:

1. Treiben Sie die Digitalisierung aktiv voran!

Jede Entwicklung hat zwei Seiten: die technische und die inhaltliche. Selbst wenn Sie von digitalen Technologien wenig Ahnung haben: Als Anwalt wissen Sie, welche Entscheidungskriterien bei bestimmten Fällen zugrunde gelegt werden. Als Sachbearbeiter kennen Sie Ihr Aufgabengebiet wie niemand sonst. Auch wenn es sich am Anfang merkwürdig anfühlt: Tragen Sie aktiv dazu bei, Ihren Job zu kannibalisieren. Sie entwickeln sich dabei weiter und sammeln wertvolles neues Wissen. Das macht Sie für Ihren Arbeitgeber oder künftige andere Arbeitgeber umso attraktiver.

2. Spezialisieren Sie sich!

Die Chance, dass der Fachanwalt für die Erarbeitung deutsch-chinesischer Handelsverträge durch einen Algorithmus ersetzt wird, ist relativ gering. Der Facharbeiter, der als hochqualifizierter Know-how-Träger die gesamte Produktionsanlage von vorne bis hinten kennt, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls nicht wegdigitalisiert. Und der Steuerberater, der Unternehmen bei ihren Wachstumsstrategien und im Cash-Flow Management berät, ist deutlich schwerer zu ersetzen als der, der die Belege bucht.

3. Schaffen Sie neues Wissen!

Ob im Bereich Recht, Steuern, Sachbearbeitung, Verwaltung oder Management - überall entsteht neues Wissen. Es werden neue Prozesse und Abläufe erarbeitet, neue Wertschöpfungsmodelle entwickelt und neue Arbeitsmodelle ausprobiert. Schlagen Sie sich auf die Seite derer, die Veränderungen aktiv vorantreiben. Auch wenn diese zunächst wenig mit Digitalisierung zu tun haben.

Je früher Sie sich auf die anstehenden Veränderungen in der Arbeitswelt einstellen, desto besser. Vielleicht warten Sie auch einfach auf den Tag, an dem eine gute Abfindung lockt. Und dann tun Sie das, was Sie schon immer tun wollten: ein eigenes Hotel eröffnen, Schafe züchten oder Romane schreiben. Sie müssen nur darauf achten, dass Sie nicht in die nächste Falle tappen: Die Digitalisierung wird über kurz oder lang auch den Rezeptionisten im Hotel ersetzen. Schafe werden zunehmend von Robotern kontrolliert werden. Ach ja, und der Blogger Jürgen Geuter prognostiziert: "Roboter schreiben bald besser als Ihr!" 

Jens-Uwe Meyer ist Mitglied der MeinungsMacher von manager-magazin.de. Trotzdem gibt diese Kolumne nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion des manager magazins wieder.

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