Der innere Jammerlappen Früher Freund, heute Feind

Trauern gehört dazu: Aber es kann auch das Aufstehen erschweren
Foto: Kamil Krzaczynski/ dpamm: Eigentlich hat die Evolution doch vieles richtig gemacht - warum also haben wir immer mit unserem inneren Jammerlappen zu kämpfen?
Fischedick: Die Evolution sorgt dafür, dass sich Pflanzen und Lebewesen optimal an den jeweiligen Lebensraum anpassen. Nur leider ändert sich unsere heutige Welt so schnell, dass die Natur nicht mithalten kann. Unsere Smartphones bekommen pro Jahr mehr Updates als unser Gehirn in den letzten 100.000 Jahren hatte. Und so leben wir im wahrsten Sinne des Wortes mit einem steinzeitlichen Gehirn in einer modernen Welt. In der Steinzeit hatte unserer "innerer Jammerlappen" noch eine andere Stellenbeschreibung, da war er Lebensretter. Durch seine Denkmuster hat er dafür gesorgt, dass wir nicht leichtsinnig unser Leben aufs Spiel setzen. Damals war es zum Beispiel eine sehr gute Überlebensstrategie, nicht freudig auf alles Neue zu zustürmen, sondern lieber auf bekanntem Terrain zu bleiben. Man konnte schließlich nicht wissen, ob die köstlich aussehende, fremde Frucht giftig ist oder das plüschige, unbekannte Tier gefährlich. Heute wendet unser Gehirn noch dieselben Überlebensstrategien an, obwohl unsere Welt nicht mehr so gefährlich ist wie zu Urzeiten. Durch diesen unbewussten Widerstand gegenüber Neuem, stehen wir uns heute manchmal selbst im Weg, wenn es darum geht die gewohnte Komfortzone zu verlassen. Und so wurde der einstige Lebensretter in unserem Kopf zum kleinen Jammerlappen, der wie eine zu empfindlich eingestellte Alarmanlage bei den kleinsten Veränderungen unser Leben in Gefahr sieht und uns davon abhalten möchte etwas anders zu machen als sonst.
mm: Lässt sich der Jammerlappen so einfach zurücktreiben?
Fischedick: Entscheidend ist zunächst, dass uns bewusst ist, dass wir so etwas wie einen urzeitlichen "Jammerlappen" in unserem Kopf haben. Und wann immer wir einen Widerstand fühlen, wenn wir etwas anders machen wollen als sonst oder uns hilflos fühlen, dann ist das ein Zeichen, dass unser Jammerlappen uns darauf hinweisen möchte, dass wir gerade dabei sind unsere Komfortzone zu verlassen. Mit dem Wissen, dass er überempfindlich ist und schon reagiert, wenn unser Leben noch lange nicht in Gefahr ist, können wir dann bewusst entscheiden, ob wir auf ihn hören und alles beim Alten lassen oder unseren Horizont erweitern, in dem wir trotz innerem Widerstand unsere Komfortzone verlassen.
mm: Etliche Ihrer Konkurrenten stellen auf Sport ab (den Schweinehund bekämpfen) - und Sie?
Fischedick: Natürlich hört es sich kernig und männlich an, wenn man sagt "Mein Erfolgsrezept ist Willenskraft! Ich habe meinen inneren Schweinehund besiegt!". Für mich geht es nie darum eigene Gedanken zu "bekämpfen" oder zu verdrängen. Aus meiner Erfahrung als Mental Coach und Führungskräfteentwickler ist es wesentlich zielführender genauer hinzuschauen, wenn wir Gedanken oder Verhaltensweisen haben, die uns selbst nicht gefallen. Was stecken für Motive dahinter, was verrät unser eigenes Verhalten darüber, welche Werte wir haben? Wenn uns das bewusst ist, dann können wir im wahrsten Sinne des Wortes "selbstbewusst" und erfolgreich handeln. Wenn einem Manager zum Beispiel Harmonie extrem wichtig ist, er aber meint, er müsse den harten Kerl raushängen lassen, da "man" das als Topmanager so macht, dann wird er nicht sonderlich erfolgreich sein und schon gar nicht zufrieden. Da kann er noch so viel Willenskraft einsetzen, er wird langfristig nur sich selbst schaden. Viel zielführender wäre es, wenn er sich bewusst damit beschäftigt, wie er so führen kann, dass sein innerer Wunsch nach Harmonie erfüllt wird, er aber gleichzeitig die nötige Klarheit hat, um zielgerichtet zu führen. Die eigenen Fähigkeiten und Stärken zu erkennen und zu nutzen ist in meinen Augen wesentlich gewinnbringender, als mit aller Gewalt zu versuchen sich selbst zu verbiegen.
"In den Hintern treten"
mm: Jeder kann sich selbst in den "Hintern treten" - doch wie schafft man das nachhaltig?
Fischedick: Sich selbst "in den Hintern treten" ist eine Art von der Stelle zu kommen. Das impliziert, dass man keine Lust hat sich zu bewegen, dass es keinen inneren Wunsch gibt los zu gehen. Viel spannender und in meinen Augen wirkungsvoller ist es, sich selbst ein so attraktives Ziel zu setzen, dass man wie magisch davon angezogen wird und sich wie von selbst darauf zu bewegt. Auch hier ist es wieder entscheidend die eigenen Werte zu kennen, denn nur dann kann man Visionen entwickeln, die anziehend sind. Entscheidend ist hierbei zu erkennen, was wirklich die eigenen Ziele sind und welche wir von anderen übernehmen, weil "man" solche Ziele haben muss. Je konkreter, greifbarer und bildhafter wir uns unser Ziel ausmalen, desto anziehender wirkt es. Niemand anderes kann uns langfristig motivieren außer wir selbst. Im Wort "Motivation" steckt die Essenz dessen, was ich eben beschrieben habe, es ist das Wort "Motiv". Wenn wir ein für uns attraktives Motiv haben ein Ziel zu erreichen, dann werden wir es schaffen -ganz ohne uns in den Hintern zu treten.
mm:Welche Rolle spielt dabei der Alltag - auch Entscheider haben ja bestimmte Routinen, die nerv tötend sein können.
Fischedick: Routinen sind nur nerv tötend, wenn wir den Sinn nicht sehen. Als Kind finden wir es lästig jeden Abend die Zähne zu putzen. Wenn wir dann die ersten Löcher hatten und uns klar wird, dass wir durch regelmäßiges Zähneputzen schmerzhafte Zahnarztbesuche vermeiden können, dann putzen wir uns vielleicht nicht gerne die Zähne aber wir finden es zumindest nicht mehr ganz so nervig. Es ist deshalb durchaus sinnvoll Routinen immer wieder zu hinterfragen: Gibt es bestimmte Arbeitsabläufe, weil sie tatsächlich Sinn machen oder ist das einzige Argument dafür "das haben wir schon immer so gemacht!". Wenn es keinen erkennbaren Sinn gibt, dann sollten die entsprechenden Routinen angepasst oder sogar ganz abgeschafft werden.
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