Personalauswahl - Konsequenzen aus der Germanwings-Katastrophe Wenn der Falsche eingestellt wird

Von Christian Scholz
Wer trägt die Verantwortung für die Personalauswahl? Beim Gedenken an der Absturzstelle von Flug 4U9525 mit Germanwings-Geschäftsführer Thomas Winkelmann (links) und Lufthansa-Chef Carsten Spohr stand diese Frage noch nicht im Mittelpunkt. Jetzt schon.

Wer trägt die Verantwortung für die Personalauswahl? Beim Gedenken an der Absturzstelle von Flug 4U9525 mit Germanwings-Geschäftsführer Thomas Winkelmann (links) und Lufthansa-Chef Carsten Spohr stand diese Frage noch nicht im Mittelpunkt. Jetzt schon.

Foto: REUTERS

Kommt das Gespräch auf die Personalabteilung, so scheinen sich alle einig zu sein. Egal ob personalwirtschaftliche Fachzeitschrift oder Personalkongress, egal ob manager magazin oder brand eins: Überall wird die Personalabteilung als verstaubtes und inkompetentes Relikt aus der Steinzeit beschrieben, von dem es sich möglichst rasch zu verabschieden gilt. Vertreter der Personalabteilung treten danach allenfalls als unverbindlich-beratende "Business Partner" auf, beklatschen die eigene Demontage und bejubeln sich auf brillant inszenierten Red-Carpet-Veranstaltungen.

Immer mehr Befugnisse werden an Führungskräfte und Mitarbeiter verschoben. Letzteres nennt man inzwischen "Demokratisierung": Mitarbeiter sollen ihren eigenen Chef wählen, zudem über Gehälter, Neueinstellungen und Arbeitsverteilung entscheiden. Auch sonst gilt es als chic, sich von der Personalabteilung zu distanzieren und sogar nach der Politik zu rufen, weil die Personalabteilungen versagt hätten.

Christian Scholz
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Christian Scholz ist Experte für Personalwirtschaft und war bis 2018 Professor an der Universität des Saarlandes . Sein Schwerpunkt ist die Erforschung der Arbeitswelt, 2003 entstand die Trendstudie "Spieler ohne Stammplatzgarantie", 2014 das Nachfolgebuch zur Generation Z . Der Titel seines aktuellen Buches lautet "Mogelpackung Work-Life-Blending: Warum dieses Arbeitsmodell gefährlich ist und welchen Gegenentwurf wir brauchen¿.

Also: eine schöne Unternehmenswelt - ohne irgendeine störende Personalabteilung.

Doch wer trägt am Ende die Verantwortung? Wenn falsche Leute eingestellt werden? Wenn wegen einer fehlenden Sicherheitskultur eine Ölplattform explodiert? Wenn Persönlichkeitsrechte und andere strafrechtlich relevante Vorschriften verletzt werden, weil Mitarbeiter beispielsweise Sanktionsvorschriften gegen den Iran einfach als irrelevant einstufen? Wenn Beschäftigte in Zulieferbetrieben in menschenverachtenden Umständen arbeiten müssen - aber das Unternehmen damit ja nichts zu tun hat?

Sind dafür Führungskräfte verantwortlich? Oder irgendjemand anders?

Offenbar ist dabei aber am wenigsten die Personalabteilung verantwortlich - denn weder will sie diese Verantwortung tragen, noch traut man ihr diese Verantwortung zu.

Was wir in Personalabteilungen nicht brauchen: den Chief Happiness Officer und den Finanzcontroller

In der Dokumentation "Mein wunderbarer Arbeitsplatz" auf ARTE erklärt die Personalchefin Laurence Vanhée, sie sei nicht mehr für die Human Ressourcen (HR) zuständig, sondern ab jetzt "Chief Happiness Officer". Ist das die Zukunft für HR? Geht es wirklich darum, als "CHO" Mitarbeiter glücklich zu machen?

Ist Glück der universelle Maßstab? Offenbar schon, wenn jüngst eine personalwirtschaftliche Fachzeitschrift sogar ihre redaktionelle Vision als "Wir machen Personaler glücklich" propagiert. Oder aber wenn man sich Seminarangebote anschaut, die HR durch ein "Feel-Good-Management" ersetzen - gleichzeitig damit werben, dass neue Mitarbeiter nicht mehr durch Recruiter der Personalabteilung ausgesucht werden, sondern durch Algorithmen.

Damit das jetzt nicht falsch verstanden wird: Natürlich soll nicht dafür plädiert werden, Mitarbeiter gezielt unglücklich zu machen. Ganz im Gegenteil: Das Betriebsklima ist zweifelsohne wichtig und viel zu oft ein viel zu großes Problem. Und natürlich kann man zu Recht darauf hinweisen, dass glückliche Mitarbeiter auch weniger Depressionen haben. Nur greift die Selbst-Definition als Chief-Happiness-Officer über "Feel-Good-Management" wesentlich zu kurz.

Und wenn man sich in der HR-Community umsieht, so steht der Jubel über diese neue hippe Personalarbeit zudem in scharfem Kontrast zur Realität. Denn viele Besetzungen speziell an der Spitze von HR verlaufen nach einem anderen Muster: Gesucht und gefunden werden Manager, die sich in Rationalisierungsprojekten bewährt haben, die Finanzen und Controlling beherrschen, vor allem sehen, dass letztlich Mitarbeiter primär Kostenfaktor sind. Fachwissen in Personalmanagement gilt als unnötig, wenn nicht sogar als störend ("Kaminkarriere").

Warum tolerieren eigentlich Aufsichtsräte die permanente Besetzung des Personalvorstands mit Quereinsteigern? Würde man einen Technikvorstand akzeptieren, der den Unterschied zwischen Gleichstrom und Wechselstrom nicht kennt? Würde man sich von einem Chirurgen operieren lassen, der als einzige Referenz eine Tätigkeit im Catering bei Bushido aufweist? Das alles nicht. Aber im Personalressort reicht offenbar das Wissen um Finanzen und Controlling.

Grenze zur Fahrlässigkeit erreicht

Um es jenseits politischer Korrektheit zu formulieren: Wo bleibt beim tragischen Absturz der Germanwings-Maschine die vorurteilsfreie Diskussion darüber, ob im Vorfeld die Personalabteilung alles richtig gemacht hat? Wenn wir die Verantwortung irgendwie im diffusen Raum zwischen Führungskraft, CEO und externem Dienstleister verschwinden lassen, kommen wir nicht weiter. Wir brauchen eine Personalabteilung, die Verantwortung übernimmt, basierend auf echten Befugnissen und klarer Befähigung.

Dass nach einem Flugzeugabsturz personalwirtschaftliche Konsequenzen gezogen werden können, hat der tödliche Absturz der Korean Air 8509 gezeigt: Hier wurden verhaltensbezogene Fehler in Unternehmenskultur sowie im Kommunikationsverhalten lokalisiert und konsequent korrigiert. Ob der Konzern BP nach Deepwater Horizon analoge Konsequenzen hinsichtlich der Sicherheitskultur gezogen hat, steht nicht so eindeutig fest.

Die Liste personalwirtschaftlicher Themen, die einem Unternehmen plötzlich um die Ohren fliegen können und bei denen die Personalabteilung frühzeitig aktiv werden muss, ist wesentlich länger, als man auf den ersten Blick glaubt:

Big Data ist eine fundamentale Diskussion um Mitarbeiterdaten. Aussagen wie "Wir sollten die Chancen sehen und nicht Risiken diskutieren" sind gefährlich. Big Data gilt es ganz schnell personalwirtschaftlich zu verstehen und die Personalabteilung muss dazu offensiv agieren: beispielsweise mit einer transparenten und verbindlichen Big Data Policy.

Big Data Policy: Diskussion um Mitarbeiterdaten

Personalentwicklung wird noch überlebenskritischer, denn gerade in Zeiten von Automatisierung und Digitalisierung stehen fundamentale Veränderungen vor der Tür. Die Personalabteilung muss dabei auch die vielen Mitarbeiter auf die Zukunft vorbereiten, die kaum noch Bindung an das Unternehmen haben.

Personalauswahl und Betreuung müssen neu definiert werden. Wenn es keine Prozeduren gibt, die sich substanziell mit dem psychischen Zustand von Kandidaten und Mitarbeitern beschäftigen, die in sicherheitsrelevanten Bereichen und im Top-Management arbeiten, könnte die Grenze zur Fahrlässigkeit erreicht sein.

Das Konzept "Mitarbeiter" verändert sich drastisch, weil immer mehr als externe Workforce bei Zuliefern, als Leiharbeiter oder mit Werkverträgen arbeiten. Hinzu kommen alle diejenigen, die irgendwie als "Cloud Worker" im lockeren Umfeld des Unternehmens arbeiten. Bis jetzt ignorieren die Personalabteilungen weitgehend diese Beschäftigtengruppen und damit das veränderte "Betriebssystem 4.0" der neuen Arbeitswelt - eine Nachlässigkeit, die sich bald als fatal erweisen dürfte.

Natürlich kann und soll die Personalabteilung sich mit Zufriedenheit und mit Zahlen auseinandersetzen. Sie muss aber auch die zentralen zukunftsbezogenen HR-Themen offensiv suchen und angehen. Letztlich soll die Personalabteilung nicht nur irgendetwas "partnerschaftlich unterstützen", was sich andere ausgedacht haben. Sie muss in hoheitlicher Funktion proaktive Trends setzen und das Unternehmen sicher in eine neue, positive Zukunft führen.

Christian Scholz ist Mitglied der MeinungsMacher von manager-magazin.de.

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