Führungskultur Die Wahrheit ist guten Chefs zumutbar

Den Rücken gerade machen: Das bringt Unternehmen weiter als Rumduckerei.
Foto: Corbis"Kick their asses until they hate you". Dieses interessante Zitat war 2014 im manager-magazin zu lesen über den Chef eines großen börsennotierten Konzerns. Mitarbeiter hatten geplaudert, mit welcher Weltanschauung ihr Boss die Truppe so ans Laufen bringt. Von einem Angst-Regime war die Rede, von zuverlässig tränenfeuchten Augen gestandener Mitarbeiter beim Verlassen des Vorstandsbüros.
Der Herr regiert den Konzern zwar inzwischen nicht mehr, aber der Aufsichtsrat hat lange gezögert, ihn vor die Tür zu setzen - offenbar mit Rücksicht auf die Aktionäre und mit Blick auf die schwierige Lage in der Branche. Unterdessen hatten, wie man lesen konnte, jede Menge begabte Führungskräfte die Firma auf Nimmerwiedersehen verlassen. Der Rest verharrte offensichtlich in Schockstarre. Derweil brach der Markt, den dieses Unternehmen bediente und der sich in einem radikalen Wandel befand, immer schneller in sich zusammen.
Den Schatz der intrinsischen Motivation heben
In meiner eigenen Industriekarriere habe ich erlebt, wie oft in unseren Unternehmen immer noch über den Hebel "Angst" geführt wird - und welche Lähmung das erzeugt. Ich finde diese Art Führung ist menschenverachtend. Denn gerade bei Führungskräften kann man doch von vornherein auf eine intrinsische Motivation vertrauen. Sie wollen nichts sehnlicher, als einen Beitrag leisten, echten Sinn stiften, ihren Ziegelstein zur Vollendung der Kathedrale herbeischleppen und an der richtigen Stelle einsetzen.
Angst bringt die intrinsische Motivation zum Erliegen und die Menschen zum Verstummen. In meinen Coachings höre ich immer wieder. "Dem Chef sagt doch eh keiner die Wahrheit, das will er auch nicht hören". Umgekehrt fürchten die Führungskräfte im Vieraugengespräch mit mir: "Die Informationen, die ich bekomme, sind fast immer weichgespült".
Dabei sind gerade Chefs, die große Veränderungen managen müssen, darauf angewiesen, ein authentisches Bild zu bekommen. Wenn ihre Leute Angst haben, das Falsche zu sagen, verhindert das gute Ideen. Angst, seine Meinung zu äußern, begräbt andere Perspektiven, die für komplexe Lösungsfindungen aber notwendig sind. Angst, dem Vorgesetzten zu widersprechen, verschenkt die Chance, dass er sich als Führungskraft fachlich weiterentwickelt.
Starallüren unter Alphatieren?
Ich weiß, es ist schwer. Um eine offene Kultur der Rückmeldung zu gestalten, muss man zunächst mal ehrlich mit sich selber sein. Wir Führungskräfte glauben ja gerne, wir könnten über Wasser gehen. Selbst wer nicht das Krankheitsbild des Narzissten erfüllt, läuft doch nach Jahren steiler Karriere mit dem auch unbewussten Gefühl herum, dass er es einfach "drauf" hat, dass für ihn nicht mehr dieselben Regeln gelten wie für normale Sterbliche. Das Zurücknehmen fällt vielen schwer.
Ich war glücklicherweise immer ziemlich geerdet - durch meinen Sohn und durch unsere Freunde, die überwiegend Künstler sind. Aber auch ich habe mich schon dabei ertappt, einem Mitarbeiter nur zugehört zu haben, um sofort zu erwidern, statt um zunächst zu verstehen. Und ich habe erlebt, wie selbst auf oberster Führungsebene Einwände und Kommentare harsch weggebügelt wurden, wie sie als "Schwachsinn" abgetan oder mit Hohn bedacht wurden. Solche selbst überschätzenden Machtdemonstrationen werden sofort weitererzählt und bewirken im ganzen Unternehmen absolut nichts Gutes.

Heidi Stopper war zuletzt Vorstandsmitglied bei der Prosiebensat1 Medien AG. Die Juristin aus Ravensburg hat zuvor im Airbus-Konzern Karriere gemacht. Heute arbeitet sie selbstständig von München aus, und zwar als Business- und Karrierecoach und als Unternehmensberaterin für Transformationen und Digitalisierung.
Zuhören, Abwarten
Für eine Kultur der angstfreien Kommunikation kann man einiges tun. Eine gute Methode ist, in Meetings erst die Meinung aller Team-Mitglieder abzufragen, und zwar auch der eher introvertierten, und dann erst die eigene Sicht zu schildern, und zwar ohne eine der anderen Meinungen herabzuwürdigen. Leicht gesagt, aber nicht ganz leicht getan. Und die Minuten des Schweigens, die dabei entstehen dürften, muss man erstmal aushalten.
Man kann zu einem Thema oder Projekt auch einen Advocatus Diaboli ins Team nehmen, der die Gegenposition offensiv vertritt. Wenn man eine solch offene Diskussion zulässt, mag einen das ganz schön ins Schwitzen bringen. Aber es zwingt die Teilnehmer, Position zu beziehen. Und es ist schlauer zu verstehen, woher die andere Meinung rührt, als sie abzuwürgen.
Keine Bauernopfer
Doch Worte allein machen es nicht. Es reicht nicht, die Mitarbeiter aufzufordern, sich kritisch zu äußern. Viel wichtiger ist, wie die Chefs sich benehmen. Wer hat nicht schon erlebt, dass eine Führungskraft einen Mitarbeiter öffentlich abstraft oder sogar entlässt, wenn in seinem Bereich ein Fehler passiert ist? Der Fall "Bauernopfer" also.
Dabei müssen Führungskräfte den Schirm aufspannen, wenn es auf einen Mitstreiter regnet, und sich schützend vor die Mannschaft stellen, wenn das Team Druck von weiter oben bekommt. Wer will für Führungskräfte arbeiten, die feige sind und andere klein machen? Für gefühlte Halbgötter, die ihre eigene Angst eins zu eins nach unten weitergeben? Wie viel Wagnisbereitschaft und Ideen für Innovationen wird es in ihren Teams wohl geben?
An alle Chefs, die nachhaltig erfolgreich sein wollen kann ich nur appellieren: Schauen Sie hin, wie Ergebnisse zustande kommen und nicht nur ob. Denn wer Angst hat, funktioniert vielleicht eine Weile, aber Kathedralen werden so nicht fertig.
Heidi Stopper ist Mitglied der MeinungsMacher von manager-magazin.de.