

Hamburg - Lob und Anerkennung erntet Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger für sein Coming-out, auch von prominenten Kollegen. Der stets beschworene Bann, als Fußballprofi dürfe man sich nicht zum Schwulsein bekennen, scheint sich aufzulösen. War die Sorge vor der öffentlichen Reaktion unberechtigt? In Politik und Showbusiness gibt es doch längst reichlich Beispiele erfolgreicher Schwuler und Lesben.
Die Führungsetagen der Unternehmen dagegen erscheinen noch als Bastion des alten Männlichkeitsideals. "In der Wirtschaft ist Homosexualität oft noch ein großes Tabu, ähnlich wie im Profisport", sagt Bernd Schachtsiek. Der Unternehmer ist Vorsitzender des Völklinger Kreises, der als Bundesverband schwuler Führungskräfte neben dem lesbischen Netzwerk Wirtschaftsweiber die Interessen homosexueller Manager vertritt.
"Es gibt natürlich auch schwule Dax-Vorstände", sagt Schachtsiek. Seit dem ehemaligen Manager des inzwischen von Bayer übernommenen Pharmakonzerns Schering Ulrich Köstlin vor zehn Jahren hat aber keiner mehr seine sexuelle Identität öffentlich gemacht. "Ich kenne einige, die sich ausdrücklich nicht outen wollen."
Dabei gilt längst als allgemein akzeptiert, dass die Unternehmen mit größerer Vielfalt nur gewinnen können. Viele schmücken sich mit Programmen zum "Diversity Management", einige wie IBM, SAP oder Deutsche Postfördern betriebliche Homosexuellen-Netzwerke.
Mehr Angst vor wirtschaftlichen Folgen als vor dem Echo der Kollegen
Laut einer McKinsey-Studie sind vielfältige Belegschaften besonders innovativ; ähnlich argumentiert der US-Ökonom Richard Florida, dessen "Gay Index" belegen soll, dass die Wirtschaftskraft in Städten mit hohem Schwulenanteil wegen der Attraktivität für die "Creative Class" besonders groß sei.
Dazu kommt: Die Organisation eines Doppellebens frisst Zeit - und damit möglicherweise auch Arbeitseinsatz. Der Psychologe und Berater Dominic Frohn ermittelte in einer Studie, dass 15 Prozent der homosexuellen Beschäftigten einen Partner vom anderen Geschlecht vortäuschen. Schachtsiek berichtet von einem ehemaligen Dax-Vorstand, der über sein gesamtes Berufsleben fern des Arbeitsortes gewohnt habe, damit sich die beiden Leben verwischen. Er selbst war verheiratet und hat ein Kind. "Wir haben es auch noch mit einer Generation zu tun, die aufgewachsen ist, als Homosexualität noch strafbar war. Da spielt Unbehagen eine Rolle."
Die Auswahl von Führungskräften folge dem Idealbild eines verheirateten Mannes mit zwei Kindern, dessen Ehefrau ihm zu Hause den Rücken freihalte - auch, weil viele sich lieber mit Menschen umgeben, die genauso sind wie sie. Dass ein homosexueller Manager, da in der Regel kinderlos, mehr Zeit und Engagement für die Firma aufbringen kann, wird dann ausgeblendet. Wegen dieser Auslese meint Schachtsiek, in den Führungsetagen sei der Homosexuellenanteil geringer als die für die Gesamtbevölkerung geschätzten rund 10 Prozent.
Angst vor Mobbing, was auf unteren Rängen der Belegschaft durchaus noch eine große Rolle spielt, hält er bei Topmanagern ebenso wie bei Sportprofis für oft vorgeschoben. In ihrem Berufsumfeld oder eben im Verein gingen die meisten offen mit ihrer sexuellen Identität um. "Das Problem liegt eher in der Angst vor Unruhe in der Öffentlichkeit und den wirtschaftlichen Folgen eines möglichen Imageschadens", sagt Schachtsiek. Für Manager komme hinzu, dass sie generell nicht mit ihrem Privatleben in der Presse erscheinen wollen. "Die Gesellschaft ist aber weiter, als viele denken."
Deshalb appelliert der Völklinger Bund auch an die Sponsoren von Sportvereinen, mit einem klaren Bekenntnis auf das Coming-out von Thomas Hitzlsperger zu antworten. Nur wenn die Angst vor wirtschaftlichen Konsequenzen weg sei, könnten auch aktive Sportprofis dem Beispiel folgen.
Apple-Chef Tim Cook gilt dem Magazin "Out" als der mächtigste Schwule der Welt. Ein ausdrückliches Coming-out hatte er nicht, lässt aber auch keinen Zweifel daran, dass sich niemand für seine sexuelle Identität schämen dürfe. Im Dezember 2013 sprach Cook vor den Vereinten Nationen gegen Diskriminierung und erwähnt als persönliche Erfahrung aus der Jugend, einmal eine Kreuzverbrennung des rassistischen Ku-Klux-Klans erlebt zu haben, "was mein Leben für immer veränderte".
Ihr eigenes Privatleben machen Topmanager selten zum Thema - schon gar nicht, wenn sie negative Marktreaktionen befürchten. Die "Top 50 Outstanding in Business List" der "Financial Times" kommt ohne Prominente aus. Nummer 1 der offen schwulen Manager ist der Portugiese António Simões, bei den lesbischen Managerinnen steht Beth Brooke vorn. Die Vizechefin der Politikabteilung der Beratungsgesellschaft Ernst & Young brauchte Jahrzehnte, um vor der Kamera für ein Firmenvideo "I'm gay" zu sagen. Danach sei ihr Leben viel leichter geworden, berichtete sie dem "Wall Street Journal".
In Deutschland sind offen homosexuelle Manager noch rarer gesät. Bekannt ist Harald Christ, der 2009 im SPD-Wahlkampf als Schattenwirtschaftsminister benannt wurde (hier mit Manuela Schwesig, die auch eine Wahlperiode später noch als ministrabel galt). Nach verschiedenen Stationen bei mehr oder weniger erfolgreichen Kapitalanlagegesellschaften führt Christ heute die Finanzberatung der Postbank. Immerhin gab es einmal das Coming-Out eines Dax-Vorstands:
Ulrich Köstlin vom Berliner Pharmakonzern Schering (im Bild rechts neben Arthur Higgins, seinem Chef nach der Übernahme durch Bayer) erklärte sich 2003 öffentlich als schwul. 2011 wechselte er in den Ruhestand. Einige Dax-Konzernchefs sind im kleinen Kreis als schwul bekannt, wollen aber ausdrücklich nicht in der Öffentlichkeit geoutet werden. Ihre Sorge ist durchaus begründet:
Spektakulär war der Fall von Lord Browne, der 2007 überhastet vom Chefposten des britischen Ölmultis BP zurücktrat, obwohl er bis dahin als Managertalent gefeiert wurde. Ein junger ehemaliger Liebhaber hatte ihre Affäre enttarnt. Browne verstrickte sich in Gerichtsverfahren und Lügen über seine Lebensgeschichte. Nach dem Rücktritt war er aus heutiger Sicht "befreit". Nun setzt Browne sich selbst für Homosexuelle ein.
Dass Homosexuelle auch heute noch Häme ausgesetzt sind, bewies Guido Barilla, Chef des gleichnamigen italienischen Pastafabrikanten. Im September 2013 erklärte er in einem Fernsehinterview, er werde nie Schwule als Werbefiguren auswählen, weil "das Konzept der heiligen Familie ein fundamentaler Wert in der Firma" sei. Homosexuelle, die sich an dieser Ausrichtung stören, sollten sich "doch eine andere Nudel suchen". Tatsächlich gab es Boykottaufrufe, woraufhin Barilla sich entschuldigte.
Für Toleranz setzt sich dagegen Jeff Bezos (hier mit Ehefrau MacKenzie) ein. Beide spendeten im Jahr 2012 satte 2,5 Millionen Dollar für eine erfolgreiche Initiative, um in ihrem Heimatstaat Washington die Schwulenehe zu legalisieren. Dieses politische Anliegen war dem Amazon-Chef erheblich mehr wert als alle anderen, auch die Verhinderung einer lokalen Reichensteuer, für die er 100.000 Dollar aufbrachte.
Spektakulär war der Fall von Lord Browne, der 2007 überhastet vom Chefposten des britischen Ölmultis BP zurücktrat, obwohl er bis dahin als Managertalent gefeiert wurde. Ein junger ehemaliger Liebhaber hatte ihre Affäre enttarnt. Browne verstrickte sich in Gerichtsverfahren und Lügen über seine Lebensgeschichte. Nach dem Rücktritt war er aus heutiger Sicht "befreit". Nun setzt Browne sich selbst für Homosexuelle ein.
Foto: Sang Tan/ AP/dpaFür Toleranz setzt sich dagegen Jeff Bezos (hier mit Ehefrau MacKenzie) ein. Beide spendeten im Jahr 2012 satte 2,5 Millionen Dollar für eine erfolgreiche Initiative, um in ihrem Heimatstaat Washington die Schwulenehe zu legalisieren. Dieses politische Anliegen war dem Amazon-Chef erheblich mehr wert als alle anderen, auch die Verhinderung einer lokalen Reichensteuer, für die er 100.000 Dollar aufbrachte.
Foto: Justin Lane/ dpa