Was Glücksstrategien für Unternehmen ändern können "Unser Wirtschaftssystem plündert den Planeten"

Ha Vinh Tho, Leiter des Zentrums für Bruttonationalglück in Bhutan. Der Sohn eines Vietnamesen und einer Französin hat früher für das Internationale Rote Kreuz die Ausbildung von Krisenhelfern geleitet. Der promovierte Erziehungswissenschaftler hat auch als Waldorf-Lehrer gearbeitet.

Ha Vinh Tho, Leiter des Zentrums für Bruttonationalglück in Bhutan. Der Sohn eines Vietnamesen und einer Französin hat früher für das Internationale Rote Kreuz die Ausbildung von Krisenhelfern geleitet. Der promovierte Erziehungswissenschaftler hat auch als Waldorf-Lehrer gearbeitet.

Foto: storytile

Ha Vinh Tho leitet das Zentrums für Bruttonationalglück in Bhutan. Das kleine Königreich im Himalaya ermittelt regelmäßig den Gemütszustand seiner Einwohner im Gross National Happiness Index, der die Leitlinien der Politik bindend prägt. manager-magazin.de traf den Glücksexperten am Rande der New Work Experience von Xing in Hamburg.

manager-magazin.de: Lassen sich ihre Erfahrungen aus dem Zentrum für Bruttonationalglück auf Unternehmen übertragen?

Ha Vinh Tho: Ja, und wir arbeiten auch mit etlichen Unternehmen zusammen - zum Beispiel mit dem thailändischen Mischkonzern B. Grimm. Dessen CEO Harald Link hat vor zwei Jahren beschlossen, das ganze Unternehmen nach den Prinzipien des Bruttonationalglücks umzubauen.

mm.de: Wie geht das?

Ha Vinh Tho: Das Unternehmen will nicht nur Profit machen, sondern einen positiven Beitrag zur Gesellschaft leisten, ohne dass es zu Lasten der Natur geht. Daraus ist der Leitsatz entstanden: "Doing business with compassion for the development of civilization in harmony with nature."

mm.de: Nachhaltigkeit schreiben sich ja viele Unternehmen auf die Fahnen.

Ha Vinh Tho: Entscheidend ist, wie ernst es mit der Umsetzung ist. Ein Workshop zum Thema Achtsamkeit und Mitgefühl ist toll, nur hilft er nichts, wenn in der Wirklichkeit des Geschäfts die brutalen, aber effizienten Manager befördert werden. Wer eingestellt, wer befördert wird, das sind starke Botschaften sowohl innerhalb als auch außerhalb des Unternehmens. Und wichtig ist, welche Leistungskennzahlen zur Anwendung kommen: Wenn man nur Profit misst, ist Profit auch das einzige, was zählt.

mm.de: Welche Parameter messen und bewerten Sie?

Ha Vinh Tho: Basis für unser Programm ist die triple bottom line. Es geht dabei um drei Faktoren: Profit, People, Planet - also Ökonomie, Soziales und Ökologie. Profit ist natürlich wichtig für ein Unternehmen - es würde ja untergehen, wenn es keinen machte. Aber unternehmerisches Handeln macht keinen Sinn, wenn man die Grundlagen und die Ziele aus den Augen verliert: Wie fühlen sich die Menschen? Was ist die Wirkung auf den Planeten? Dafür erfassen wir neun Gebiete, unter anderem Gesundheit, Bildung und Zeitverwendung. Haben die Menschen das Gefühl, dass sie eine richtige Balance haben? Oder machen sie sich und ihre Familien mit der Arbeit kaputt?

mm.de: Wie erfassen Sie das?

Ha Vinh Tho: Das ist immer eine Mischung aus objektiven und subjektiven Faktoren. Den Krankenstand kann man messen, aber wir arbeiten auch viel mit Umfragen. Ein großer Teil unserer Arbeit besteht darin, die richtigen Indikatoren zu finden - die müssen für das jeweilige Unternehmen maßgeschneidert sein. Ein Kraftwerk, in dem fast nur Ingenieure und Techniker arbeiten, braucht andere Indikatoren als etwa ein Dienstleistungsbetrieb. Wir haben screening tools entwickelt, die den Verantwortlichen helfen, sich bei Entscheidungen klar über deren mögliche Wirkungen zu werden. Etwas könnte ja finanziell sehr vorteilhaft für die Firma sein, aber unter ökologischen Aspekten ungünstig, oder es könnte sich negativ auf das Wohlbefinden der Mitarbeiter auswirken. Wenn Entscheidungsträger im Hinblick darauf argumentieren müssen, kommen ganz andere Entscheidungen zustande. Bessere Entscheidungen.

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mm.de: Hätten Sie mal ein Beispiel?

Ha Vinh Tho: Wir arbeiten auch mit dem New Yorker Modelabel Eileen Fisher zusammen, deren Führungskräfte uns in Bhutan besucht haben. Das ist ein Unternehmen mit rund einer halben Milliarde Umsatz, Mode im High-End-Bereich. Die haben ein Programm aufgesetzt: Bis 2020 will das Unternehmen hundertprozentig nachhaltig sein , und zwar in der gesamten Wertschöpfungskette. Die Baumwolle wird biologisch angebaut, gebrauchte Textilien werden zurückgenommen und wiederverwertet, es wird auf Fair Trade und Menschenrechte geachtet.

"Wenn man sich ernsthaft mit Glück beschäftigen will, muss man sich zuerst mit Leid befassen"

mm.de: Sie sind, kann man sagen, über das Leid zum Glück gekommen - für das Internationale Rote Kreuz haben Sie die Ausbildung der Krisenhelfer geleitet und waren viel in Kriegsgebieten unterwegs. Wie hat das Ihre Arbeit geprägt?

Ha Vinh Tho: Wenn man sich ernsthaft mit Glück beschäftigen will, muss man sich zuerst mit Leid befassen. Sonst bleibt es an der Oberfläche - Wellness, Smileys, Wohlfühlen. Das ist alles gut und schön, aber soziale Verantwortung geht weiter. Wir müssen nach den Ursachen für Leid suchen. Glück ist unsere Fähigkeit, Leid umzuwandeln. Die meisten Kriege heute sind im Kern immer noch Ölkriege. Aber als ich in Darfur im Sudan war, habe ich gesehen, worum es in Zukunft gehen wird. In Darfur gibt es kein Öl. Warum also wütete dort ein so schlimmer Krieg? Wasser! Bauern und Hirten konkurrierten dort um diese knappe Ressource.

mm.de: Was also muss passieren?

Ha Vinh Tho: Das ganze Flüchtlingsproblem wird mehr und mehr klimagetrieben. Ganze Gegenden werden unfruchtbar werden. Hunderte von Millionen Menschen werden aus diesen Gebieten fliehen. Eine Mauer zu bauen ist Unsinn. Man muss an die Wurzeln gehen.

mm.de: Und wo würden Sie ansetzen?

Ha Vinh Tho: Wir haben ein Wirtschaftssystem, das den Planeten plündert. Wenn wir das nicht ändern, wird es immer schlimmer werden. Es wird mehr Wasserkriege geben, mehr Klimaflüchtlinge. Die Einkommensschere klafft so unglaublich weit auseinander, nicht nur zwischen Norden und Süden, auch innerhalb der reichen Gesellschaften. Das Rote Kreuz ist wunderbar und macht tolle Arbeit. Aber wir setzen damit nicht an den Ursachen an. Die Art, wie unsere Gesellschaften organisiert sind, führen zur Zerstörung. Wir müssen in den Mittelpunkt unseres politischen und wirtschaftlichen Handelns das Wohlergehen nicht nur aller Menschen, sondern aller Lebensformen stellen. Wenn das das Ziel ist, dann organisieren wir unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft, unsere Politik völlig neu.

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mm.de: Wenn Sie sich die Welt ansehen: Fällt es Ihnen schwer, Optimist zu bleiben?

Ha Vinh Tho: Ich habe das Gefühl, es ändert sich viel. Ich habe schon viele positive Änderungen erlebt. Als Menschen haben wir immer zwei Möglichkeiten zu lernen: Durch Leid oder durch Aufwachen, durch Bewusstseinsprozesse. Je mehr wir auf die zweite Art setzen, desto mehr lindern wir das Leid. Wenn wir das nicht tun, einfach blind weitermachen, werden wir irgendwann sowieso handeln müssen, weil so viel Leid kommen wird, dass wir nicht mehr die Wahl haben werden. Aber dann wird es viel schmerzhafter sein. Ich bleibe aber Optimist: Als Menschheit haben wir die Fähigkeit, zu lernen, etwas anders zu machen.

mm.de: Sie leben in der Schweiz, in Bhutan und in Vietnam. Wo sind die Menschen am glücklichsten? Und wo sind Sie selbst am glücklichsten?

Ha Vinh Tho: Ich bin überall glücklich.

mm.de: Und die anderen?

Ha Vinh Tho: Das ist schwer zu vergleichen. Bhutan hat Glück und Wohlbefinden sehr stark in den Mittelpunkt gestellt, und das erlebt man dort auch. Aber es ist ein armes Land, das natürlich auch seine Probleme hat. Die Schweiz ist eines der reichsten Länder der Erde. Aber gemessen am materiellen Standard ist das Wohlbefinden der Menschen gar nicht so groß, es gibt viel Zynismus und Missgunst, Angst, Privilegien zu verlieren. Vietnam ist besonders interessant: Es war nach dem Krieg ein völlig zerstörtes Land und hat dann ein Wirtschaftswunder erlebt. Es blüht jetzt. aber die junge Generation fängt an, sich zu fragen: Ist das alles? Soll ich wirklich mein Leben lang nur schuften, um ein größeres Auto zu haben oder mehr Geld? Dort gibt es ein großes Interesse am Bruttonationalglück.

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