Wie man geeignete Topmanager findet Irrweg Bauchgefühl? Von wegen. Ohne Erfahrung geht gar nichts

Der Nächste bitte! Hilft ausgefeilte Software, um geeignete Kandidaten für Tobjobs zu finden?
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Heiner Thorborg gehört zu den profiliertesten Personalberatern in Deutschland. Nach zehn Jahren als Partner bei Egon Zehnder Int. gründete er die Heiner Thorborg GmbH & Co. KG, die Heiner Thorborg & Co. (Zürich) sowie die Initiative "Generation CEO".
"Software ist der beste Personalchef" - weg mit dem Bauchgefühl, der Computer trifft bessere Besetzungsentscheidungen als Menschen.
In den Medien finden sich solche Thesen immer wieder. Die Argumentation verläuft in der Regel so: Es dauere zwei Tage, um ein strukturiertes Interview vorzubereiten, dazu fehle den Personalern aber die Zeit. Also würden statt tiefenpsychologischer Tests und People Analytics die üblichen Standardfragen abgespult und dann werde "intuitiv" entschieden, wer den Job bekommt. Am Ende kämen viele Schwadronierer und Blender in die Entscheiderjobs - und solche Fehlbesetzungen seien teuer.
An dieser Gemengelage stimmt eigentlich nur, dass Fehlbesetzungen teuer sind. Diese beruhen aus meiner Sicht aber vor allem darauf, dass viele Personaler einfach nicht engagiert genug sind, um vernünftige Arbeit zu leisten. Gleichzeitig nehmen viele Chefs im operativen Geschäft die Herrschaften in Stabspositionen nicht so recht ernst und hören daher auch ihren Personalchefs oft nicht zu.
Viele Personaler nicht engagiert genug, um vernünftige Arbeit zu leisten
Aber davon mal ganz abgesehen, gilt es bei der Frage nach der Nützlichkeit von psychologischen Tests und Software für Besetzungen doch zunächst einmal zu sortieren: Um welche Positionen geht es hier eigentlich? Natürlich sind Computer und People Analytics nötig, wenn große Investmentbanken wie Goldman Sachsoder extrem attraktive Arbeitgeber wie Google oder Facebook unüberschaubare Mengen an Bewerbungen für Einsteigerjobs bekommen. Hier muss elektronisch vorsortiert werden, denn bergeweise Bewerbungen manuell auszuwerten, ist teuer und nervtötend.
Dennoch irritiert es mich, wenn ich lese, dass große Banken angeblich schon beim jungen Nachwuchs mittels Personaldaten elektronisch gesteuert abprüfen, welche Umstände besonders häufig zu Fehlbesetzungen und Kündigungen führen, um Kandidaten mit roten Flaggen im Lebenslauf zu vermeiden.
Natürlich kann es sein, dass ein überlanges Studium auf einen Bummelanten hinweist, der sich nicht entscheiden kann oder auf einen Partyhengst, der vor lauter Privatleben nicht zum Studieren oder Arbeiten kommt. Es kann aber auch sein, dass diese Person ein krankes Elternteil gepflegt hat, Verletzungen nach einem Unfall auskurieren musste oder mehrere Auslandssemester eingelegt und nebenher noch Chinesisch gelernt hat. Personaldaten sind häufig ambivalent und Software hilft da nicht unbedingt weiter, ein persönliches Gespräch aber schon.
Erst die Referenz, dann das Bauchgefühl - wie man die richtigen Kandidaten erkennt
Wenn es um Entscheiderpositionen geht, führt an persönlichen Gesprächen ohnehin kein Weg vorbei. Erfahrene Personalexperten führen mit solchen Kandidaten auch keine Videokonferenzen oder Skype-Sitzungen durch, sondern sie setzen auf die menschliche Begegnung. Die allermeisten Persönlichkeiten, die für Vorstandsbesetzungen und die beiden Ebenen darunter in Frage kommen, würden sowieso eher befremdet reagieren, unterzöge man sie Onlinetests zur Prüfung von "verbalen und mathematischen Kenntnissen", wie es die Verfechter von Algorithmen zur Verhaltensvorhersage propagieren. Wer weder rechnen noch reden kann, kommt nämlich in der Regel erst gar nicht in die Verlegenheit, für Führungspositionen in Betracht gezogen zu werden.
Die Prüfung von Referenzen ist entscheidend
Aus meiner Sicht kommt es für gehobene Positionen nicht auf Software an, sondern auf ein ganz klassisches Instrument: Die Prüfung von Referenzen. Es gilt, mit den Leuten zu sprechen, die den Kandidaten im Alltag kennen und wirklich mit ihm zusammengearbeitet haben.
Stimmen die Referenzen, geht es tatsächlich um das so viel geschmähte Bauchgefühl: um das Gespür für die Frage, wer sich in einer bestimmten Unternehmenskultur entfalten kann und wer besser beraten ist, woanders anzutreten. Kurz: Es geht darum, zu entscheiden, wer mit hoher Wahrscheinlichkeit zusammenpasst und wer nicht. Diese Urteilskraft kann man Intuition nennen, ich persönlich finde den Ausdruck Erfahrung besser.
Warum nicht die Topführungskraft aus dem eigenen Stall?
Ohnehin gilt, dass in gut geführten Unternehmen die Topführungskräfte meist aus den eigenen Reihen rekrutiert werden - da kennt man seine Pappenheimer. Schwätzer und Blender sind in gut geführten Betrieben dank 360-Grad-Feedback zu dem Zeitpunkt auch längst aufgefallen - genauso übrigens wie die introvertierten Talente, die von selber nicht auf die Idee kommen, laut für sich zu werben. In den beiden Ebenen darunter gilt die Faustregel, dass 80 Prozent von innen kommen, während 20 Prozent Fremdeinsteiger für neue Perspektiven sorgen und dafür, dass keine Betriebsblindheit aufkommt. Ausnahmen gibt es eigentlich nur bei Change Management Prozessen - die bekommt man in der Regel mit der alten Garde nicht hin und braucht neue Chefs von außen.
People Analytics sind nur der Anfang, danach gilt die gute alte Faustregel: Man muss reden mit den Leuten - und zuhören können.
Heiner Thorborg ist Personalberater und Mitglied der MeinungsMacher von manager-magazin.de. Trotzdem gibt diese Kolumne nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion des manager magazins wieder.