Bestechung "Moralisch verwerflich, wenig Erfolg versprechend"

Korruption: Das Risiko für international tätige Unternehmen ist kräftig gestiegen
Foto: Corbismm: Herr Brinkmann, Sie sind weltweit in Sachen Compliance unterwegs, waren als Berater in den vergangenen fünf Jahren in 48 Ländern unterwegs. Ist es in Hochrisikoländern wie China, dem Irak oder Gabun überhaupt noch möglich, saubere Geschäfte zu tätigen?
Brinkmann: Zunächst mal zur Ehrenrettung dieser Staaten: Die Verhältnisse dort sind sicher nicht schlechter geworden. Im Zweifel hat sich die lokale Antikorruptionsgesetzgebung zum Beispiel in China oder in Russland eher verbessert.
mm: Die gesetzlichen Anforderungen in Sachen saubere Auslandsgeschäfte sind aber auch massiv gestiegen, hier in Deutschland, aber auch in anderen europäischen Ländern.
Brinkmann: Richtig, und gleichzeitig haben sich die geschäftliche Dynamik und das globale Geschäftsvolumen erhöht. Damit ist auch das Risiko für international tätige Unternehmen massiv gestiegen. China hatte vor 30 Jahren wirtschaftlich längst nicht die Bedeutung wie heute, weder als Produktionsstandort noch als Absatzmarkt für eine kaufkräftige Klientel.
mm: Damit wären wir wieder beim Ausgangspunkt: Ist es möglich, in solchen Ländern Geschäfte zu machen, ohne dabei trotz aller Sauberkeitsrichtlinien und -appelle an der ein oder anderen Stelle doch Schmiergeld zu zahlen?
Brinkmann: Ja, meiner Erfahrung nach kann man auch in diesen Ländern saubere Geschäfte machen. Man muss sich zunächst sehr intensiv vorbereiten, sich mit den Kulturen und mit den Ansprechpartnern beschäftigen. Tendenziell ist zum Beispiel das Risiko im öffentlichen Bereich höher als in der Privatwirtschaft. Die Unternehmen, die ohne gute Vorbereitung in einen solchen Markt gehen, schlittern meistens ungewollt in massive Risiken.
mm: Das bedeutet aber auch erhöhten Aufwand und zusätzliche Kosten.
Brinkmann: Die Investitionen rechnen sich. Wenn ich mich in China langfristig engagieren möchte, muss ich mich doch eh sehr gut vorbereiten - nicht nur aus Compliance-Gründen, sondern auch, um meine geschäftlichen Chancen zu steigern.
mm: Und das haben mittlerweile alle begriffen?
Brinkmann: Begriffen vielleicht, aber noch längst nicht umgesetzt. Der Mittelstand hat da sicherlich tendenziell eher Probleme. Vielen Firmen fehlt das Geld, um sich auf die mit der immer schneller voran schreitenden Globalisierung verbundenen Risiken ausreichend vorzubereiten. Die gehen dann häufig eher pragmatisch vor - und nehmen damit natürlich auch ein erhöhtes Risiko in Kauf.
mm: Mal rein ökonomisch betrachtet: Vielleicht lohnt sich das ja. Vielleicht ist die Chance auf hohe Gewinne größer als das Risiko teurer Strafen.
Brinkmann: Sicher gehen auch heute noch viele Unternehmer und Manager das Thema so an, auch wenn inzwischen jeder begriffen haben sollte, dass Korruption nicht zulässig ist. Aber diese Herangehensweise ist nicht nur moralisch verwerflich, sie ist auch wenig Erfolg versprechend. Die Wahrscheinlichkeit, entdeckt zu werden, liegt im Durchschnitt sicherlich höher als 50 Prozent.
"Den absoluten Schutz gibt es nicht"
mm: Woraus leiten Sie das ab?
Brinkmann: Erstens haben Sie gerade in Hochrisikoländern immer sehr volatile Arbeitsbeziehungen. Die Loyalität der Mitarbeiter ist nicht besonders ausgeprägt, der Job wird viel häufiger gewechselt als bei uns. Wenn Sie dann auch noch jemandem auf die Füße treten, ihn kulturell schlecht behandeln oder ihm nicht genug bezahlen, dann ist das Risiko sehr hoch, dass er Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse verrät. Oder dass er sogar anonyme Briefe an Presse oder Polizei schreibt, die dann Ermittlungsverfahren nach sich ziehen. Zweitens gibt es in Korruptionsfällen fast immer ziemlich viele Mitwisser: Vertrieb, Rechnungswesen, eingeschaltete Vermittler; die Zahl der Eingeweihten steigt in der Regel schnell an - und damit auch das Risiko.
mm: Und die USA zahlen für Informationen auch noch satte Prämien.
Brinkmann: Das kommt noch dazu. Dort können Hinweisgeber finanziell erheblich entschädigt werden. Und zwar nach der Formel: je höher die Strafe - und das sind dort schnell dreistellige Millionensummen -, desto mehr Geld erhält der Informant.
mm: Wenn es sich also Ihrer Meinung nicht einmal ökonomisch lohnt, auf Risiko zu setzen. Wie schütze ich mich dann als Vorstand oder Aufsichtsrat davor, dass meine Mannschaft nicht doch zu unlauteren Mitteln greift?
Brinkmann: Eins ist klar: Den absoluten Schutz gibt es nicht. Sie können niemals ausschließen, dass einzelne sich nicht an die Regeln halten. Aber die Entscheidungsträger müssen dafür sorgen, dass der Schaden für das Unternehmen und natürlich für sie selbst möglichst gering bleibt. Dafür ist ganz entscheidend, ob sie alles unternommen haben, um für eine ausreichende Compliance zu sorgen.
mm: Das klingt reichlich theoretisch.
Brinkmann: Mag sein, und wenn ich jetzt sage, dass der Vorstand die Rahmenbedingungen so setzen muss, dass die Wahrscheinlichkeit von Korruptionsdelikten möglichst gering gehalten wird, dann ändert das daran auch nicht viel. Sie brauchen eine vernünftige Mischung verschiedenster Maßnahmen. Das fängt an mit einer Antikorruptionsrichtlinie, aus der hervor geht, was man darf und was nicht. Es gibt Schulungen, sei es vor Ort, sei es online, speziell ausgerichtet auf Bereiche wie Einkauf, Verkauf oder Rechnungswesen. Sie benötigen ein funktionierendes Hinweisgebersystem, mit dem sie Fälle aufdecken und gleichzeitig Mitarbeiter abschrecken können. Aber das ist natürlich noch längst nicht alles, was Sie machen können.
mm: Bisweilen hat man den Verdacht, dass die ersten Unternehmen in Deutschland übers Ziel hinaus schießen. Solche Compliance-Exzesse können ganze Konzernbereiche lähmen.
Brinkmann: Mit solchen Aussagen muss man vorsichtig sein. Abhängig von den Märkten und Branchen, um die es geht, benötigen die Unternehmen unterschiedlich hohe Schutzmauern. Sinnvoll sind da Regelungen wie in Großbritannien. Im UK Bribery Act sind sechs Prinzipien inklusive ganz konkreter Maßnahmen formuliert. Wenn Sie diese Vorgaben erfüllen, vermeiden Sie strafrechtliche Konsequenzen.
mm: Und wenn ich sie nicht erfülle?
Brinkmann: Dann drohen bei Vergehen strafrechtliche Konsequenzen, und zwar in unbegrenzter Größenordnung. Das britische Recht ist damit neuerdings für ausländische Unternehmen noch deutlich gefährlicher als die US-Justiz.
"Man muss die Kulturen verstehen"
mm: Wo zeigt sich diese Brisanz?
Brinkmann: Zum Beispiel ist der amerikanische Foreign Corrupt Practices Act (FCPA) sehr viel stärker auf Amtsträger beschränkt, also auf Beamte. Und laut UK Bribery Act kann Großbritannien sogar die britischen Töchter ausländischer Unternehmen bestrafen, wenn deren Konzernmutter irgendwo auf der Welt Korruption nachgewiesen wird.
mm: Unabhängig davon, ob die britische Tochter beteiligt war und unabhängig davon, ob andere britische Unternehmen beteiligt waren?
Brinkmann: Richtig, unabhängig davon. Besticht etwa ein Autohersteller einen Großauftragnehmer mit einer geschenkten Luxuslimousine, dann könnte ein englisches Gericht nicht nur die britische Tochter dieses Autokonzerns bestrafen, sie könnte sogar das Topmanagement dieser Tochter belangen. Immer unter der Voraussetzung natürlich, dass die sechs Prinzipien nicht eingehalten wurden.
mm: In welchen Ländern muss ich als Manager besonders vorsichtig sein?
Brinkmann: Wie schon gesagt: Regionen ganz zu meiden, ist meiner Meinung nach nicht nötig. Man muss sich gut vorbereiten, die Kulturen verstehen und dann festlegen, welche Compliance-Vorkehrungen notwendig sind. Besonders riskant sind für mich alle Länder, in denen Korruption zur Geschäftskultur fast schon dazu gehört. Eine solche Systemimmanenz macht den Unterschied aus zu all den anderen Ländern, die weitgehend sauber sind, in denen aber noch immer - dann häufig sehr intelligent eingefädelt und getarnt - Korruptionsfälle vorkommen.
mm: Ganz konkret: Gehören China, Indien oder Russland zu den Hochrisikoländern?
Brinkmann: Wenn ich mir die Wirtschaftssysteme anschaue: ja, auch wenn es dort teilweise Verbesserungen gab. Ich muss in diesen Staaten schon besonders gut aufpassen. Für eine erste Einschätzung können Sie immer den Korruptionsindex von Transparency International nehmen. Wirklich gefährlich wird es da bei Index-Werten unter 4,0.
mm: Deutschland steht bei 8,0, China bei 3,6, Indien bei 3,1 und Russland mit 2,4 sogar nur auf Rang 143.
Brinkmann: Aber auch dort gibt es integre Unternehmen und Behörden. Das Risiko, in Korruption verwickelt zu werden, ist nur deutlich höher als zum Beispiel in Norwegen oder Neuseeland. Meistens hilft es in Risikostaaten, sehr gute Kontakte zu hoch integren und gleichzeitig mächtigen Politikern oder Beamten aufzubauen. So etwas spricht sich herum - und schreckt ab.