Internate Betreute Bildung

Nach Pisa-Schock und Lehrermangel vertrauen Eltern zunehmend in private Bildungsangebote. Selbst teure Internate sind kein Hemmnis, denn wenn es um die Zukunft ihrer Kinder geht, sind Eltern spendabel. Peter Giersiepen, Kenner der deutschen Internatsszene, gibt Tipps, worauf man bei der Auswahl der Schule achten sollte.

mm.de: Herr Giersiepen, nach einer Erhebung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung besucht mittlerweile bereits jeder neunte Gymnasiast eine private Schule. Ab welchem Alter können Eltern ihre Kinder ins Internat schicken?

Giersiepen: Man kann kein ideales Alter ausmachen, in dem ein Kind ins Internat passen könnte. Das hängt sehr stark vom Kind ab, von der Familiensituation, vom schulischen Umfeld, oder wie es sich gerade fühlt.

Die spannende Frage ist eher: Mit welcher Intention suchen die Eltern überhaupt ein Internat? Da ist einerseits der Nachzügler, der ziemlich fit und interessiert ist und den die Eltern fördern wollen. Dann könnte sich ein Wechsel schon in der Unterstufe eignen. Andere Eltern stellen in der Mittelstufe fest, dass ihr Kind nicht in die Gänge kommt und auch nicht mehr von den Lehrern motiviert werden kann. Dann wäre ein Wechsel vor oder Ende der 10. Klasse gut. Andere Überlegungen spielen in der Oberstufe eine Rolle. Etwa, wenn ein Jugendlicher über sehr gute sprachliche Fähigkeiten verfügt, es aber an entsprechenden Angeboten mangelt.

mm.de: Die Aufenthaltsdauer an Internaten ist sehr variabel. Manche bieten nur ein Trimester (angelsächsische Variante), andere unterrichten ab der 5. Klasse, wieder andere nehmen Kinder erst ab der Mittel- oder Oberstufe auf. Wovon ist die Aufenthaltsdauer der Schüler abhängig?

Giersiepen: Nur wenn der Geldbeutel der Eltern ausreichend gefüllt ist, kommen sie auf die Idee, ihre Kinder ab der Unterstufe durchgängig auf ein Internat zu schicken. Die Dauer des Aufenthalts ist eben stark abhängig von den Finanzen. Die meisten Eltern schicken ihre Kinder in der Mittelstufe für einen Zeitraum von zwei oder drei Jahren weg. In vielen Familien sind beide Eltern berufstätig, haben gar eigene Firmen oder füllen leitende Positionen aus und wollen ihre Kinder extern betreut ausbilden lassen. Generell beginnt in Deutschland die Zeit des Wechsels ab der 9. Klasse, wobei es seit der Verkürzung der Schulzeit auf zwölf Jahre schon ein Jahr früher losgeht. Und seit es mehr bilinguale Fächerangebote gibt, müssen die Schüler eher wechseln, sonst gibt es sprachliche Schwierigkeiten.

mm.de: Welche Länder empfehlen Sie für einen Internatsbesuch?

Giersiepen: Allgemein sind englischsprachige Länder wegen der Sprache interessant, wobei die USA mit Vorsicht zu genießen sind. Die dortigen staatlichen wie privaten Schulen und Internate sind zu kommerzialisiert, sie haben einen ambivalenten Ruf, was ich nur bestätigen kann. Englische Internate haben nach wie vor ein gutes Image, aber auch eine stark internationale Schülerschaft, sodass deutsche Schüler weniger oft mit englischen Muttersprachlern zusammenwohnen. Kanadische Institute sind deutlich besser als im Nachbarland. Und es gibt auch Eltern, die ihre Kinder gleich nach Japan oder Spanien oder Südamerika schicken. Das ist aber die Minderheit.

Rankings, Klassenstärke, Kosten

mm.de: Welche Aussagekraft haben Rankings für Eltern?

Giersiepen: Da muss man unterscheiden zwischen Medien-Rankings und den traditionellen Rankings, die man unbewusst erstellt. Bei Letzteren sind die Ranglisten häufig so geordnet, dass Internate in der näheren Umgebung einen etwas schlechteren Ruf haben als weiter entfernt liegende. Einfach deshalb, weil man von Problemen der Schule gehört und gelesen hat. Weit oben in Rankings sind Schulen wie Schloss Salem, die per se einen guten Ruf haben und den auch nutzen.

Oder es gibt Internate, die sich über ein herausgestelltes Image ("Wir sind Elite") positionieren wollen. Das sind jedoch sehr zweifelhafte Versuche, weil sie selten mit Qualität gedeckt sind. Diese Internate bedienen das Klischee bewusst. Wirbt ein Internat beispielsweise mit einem Abiturdurchschnitt von unter 2,0, suggeriert dies den Eltern einen ähnlichen Notenschnitt für ihr Kind. Das sind einfache Marktgesetze.

Aber es gibt auch eine ganze Reihe von Internaten, die nicht das Geld haben, um offensiv zu werben. Das ist sehr schade, denn ich kenne eine Reihe, die eine ganz respektable Arbeit leisten. Doch Sie werden sie in keinem Prospekt und auf keiner Rangliste finden.

mm.de: Wie entscheidend ist die Klassenstärke für die Entwicklung der Schüler?

Giersiepen: Kleine Klassen sind ein entscheidendes Kriterium für die Auswahl, denn je weniger Kinder zu betreuen sind, desto intensiver können sie gefördert werden. Es ist der Grund, warum es sich wirklich lohnt, den Weg zur Privatschule oder Internat einzuschlagen. Gute deutsche Schulen haben im Schnitt 15 Schüler pro Klasse. Allerdings muss man aufpassen: Die aktuelle Klassenstärke kann von derjenigen im Prospekt abweichen. Wichtig ist, zu fragen: Wie groß die aktuelle Klassenstärke in Klasse X? Dann sind die monatlichen Kosten von etwa 2000 Euro bei den privaten Schulen ihren Preis auch wert.

mm.de: Garantiert ein teures Internat automatisch eine gute Qualität in der Ausbildung?

Giersiepen: Nein. Wenn ein Internat monatlich mehr als 1600 Euro kostet, sollte es auch mehr bieten. Ab 2000 Euro aufwärts sollte die Klassenstärke sinken. Wenn das nicht der Fall ist, ist die Relation Preis-Leistung nicht gerechtfertigt. Weiteres Indiz für eine gute Qualität ist das Personal. Beschäftigt das Internat Erzieher/ Betreuer im Schichtdienst, oder gibt es feste Bezugspersonen? Wie hoch ist die Fluktuation? Wie ist das Verhältnis Jüngere - Ältere unter den Erziehern? Genaues Hinschauen und Nachfragen ist hier nötig, vor allem bei jüngeren Kindern.

Freizeit und Sprachen

mm.de: Welchen Stellenwert haben Freizeitangebote oder Arbeitsgemeinschaften?

Giersiepen: Das ist ganz wichtig für die Entwicklung der Kinder, aber nur wenn sie wirklich stattfinden. Sie werden kein Internat finden, das nicht auf seiner Homepage oder im Prospekt einen ganzen Strauß an Zusatzangeboten und Freizeitaktivitäten anbietet. Daher sollten Sie das Internat vor Ort besuchen und konkret nachfragen: Was ist denn mit der Ruder AG? Wird da wirklich gerudert? Kann mein Kind von Beginn an daran teilnehmen? Die Zahl der teilnehmenden Schüler an den Freizeitangeboten ist auch ein guter Indikator für die generelle Stimmung am Internat. Je besser sie ist, desto mehr Jugendliche nutzen auch die Freizeitangebote. Gehen Sie über das Gelände, durch die Häuser und Klassenzimmer, dann bekommen Sie ein Gespür für das Internat. Und erst dann können Sie das jeweilige Angebot richtig beurteilen.

mm.de: Das Angebot an Fremdsprachen fällt zunehmend vielfältiger aus, Schulen werben mit Fächern wie Italienisch, Chinesisch oder Hebräisch. Was müssen Eltern beachten?

Giersiepen: Die klassische Kombination Englisch plus eine moderne Fremdsprache oder Latein wird immer mehr ausgehöhlt, weil die Schulen ihr Fremdsprachenangebot aufstocken. Genaues Hinschauen lohnt sich bei den zusätzlichen Fremdsprachen: Ist es eine Spanisch AG oder ein richtiges Lehrfach? Das macht einen Riesenunterschied. Doch Vorsicht bei speziellen Sprachkombinationen, die in Sackgassen führen: Lernt ein Kind beispielsweise ab der 5. Klasse Latein und wählt als zweite Fremdsprache Englisch, kann es später nicht mehr auf die meisten anderen Schulen wechseln. So vielfältig und interessant das sprachliche Angebot auch sein mag - die Eltern müssen grundsätzlich entscheiden, ob sie sprachlich im Mainstream bleiben oder Experimente wagen. Das liegt allein an ihrem Kind und seiner Sprachbegabung. Generell gilt: Solange alle die Hauptfremdsprachen anbieten, besteht kein Grund zur Sorge.

Abschlüsse, Stipendien, Hochbegabte

mm.de: Einige Schüler erwerben im Ausland Abschlüsse. Wie wichtig ist die Anerkennung etwa des International Baccalaureate (IB) oder A-Levels?

Giersiepen: Eltern sollten sich vorab genau erkundigen, ob der geplante Abschluss im jeweiligen Land hier anerkannt wird. Manche Schulen im Ausland besitzen die Anerkennung ihrer Abschlüsse durch deutsche Kultusbehörden. Dann sind die Lehrinhalte in den einzelnen Fächern in Ordnung. Eine weitere Möglichkeit wäre eine sogenannte Feststellungsprüfung, die deutsche Schulen anbieten, um die sprachlichen Fähigkeiten zu prüfen. Nachfragen im Einzelfall lohnt immer, dann ist man auf der sicheren Seite. Englische A-Level werden hierzulande akzeptiert, allerdings nur für die passende Studienfachkombination. Ähnlich verhält es sich mit dem International Baccalaureate, das inzwischen an fast 2000 Schulen weltweit erworben werden kann. Insgesamt geht der Trend zu mehr Wohlwollen bei der Anerkennung, was dem Bologna-Prozess zu verdanken ist.

mm.de: Wie viele Plätze stehen für Stipendien an den Internaten zur Verfügung?

Giersiepen: Grundsätzlich haben alle Internate ein Stipendienprogramm. Nur die Größe des Stipendientopfs variiert und ist überdies top secret. Wenn die 20 Prozent Förderung, mit der einige Internate werben, nicht ausreicht, können sich Eltern an andere Institutionen und Stiftungen wenden. Aber solche Förderungswege sind potenziell sowieso nur für einen kleinen Anteil der Schüler relevant.

mm.de: Sind Internate auf die Förderung Hochbegabter eingestellt?

Giersiepen: Es gibt wenige Hochbegabteninternate, die sich auf leistungsstarke und belastbare Kinder spezialisiert haben. Sankt Afra in Sachsen und die Landesschule Pforta sind mit die anspruchsvollsten auf diesem Sektor und bieten ein überdurchschnittliches Programm. Die Landesregierungen oder die kirchlichen Träger versuchen generell, jeweils eine solche Einrichtung zu unterstützen, weswegen Schulgebühren dann oft wegfallen und nur Kost und Logis bezahlt werden müssen. Über Public-Private-Partnership-Modelle unterstützen auch Unternehmen die Förderung Hochbegabter, wie das Beispiel Internatsschule Schloss Hansenberg zeigt.

Doch es gibt auch Internate, die zwar Hochbegabte werben, aber eher darauf abzielen, leistungsstarke Schüler zu sammeln. Schüler, die in Geige, Klavier, Mathematik und Englisch sehr gute Noten haben und dann noch ein exponiertes Hobby pflegen. Aber nicht gesucht sind diejenigen Schüler, die eine ganze Klasse "stören", weil sie unterfordert sind. Fest steht, die wirklich guten Internate sind sozial immer auch gemischt, und haben einen großem Stipendientopf.

Mehr lesen über

Verwandte Artikel

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren