Fiat-Chef Marchionne Genie oder Größenwahn
Mailand - Kaum jemand kannte Sergio Marchionne vor fünf Jahren. Doch dann trat der Italo-Kanadier an die Spitze des Autobauers Fiat. Mit hartem Sparkurs und neuen Modellen gab er dem Bankrottkandidaten seinen Stolz als italienische Traditionsfirma wieder zurück.
Für den Mann mit dem runden Gesicht und der Brille, der gerne locker auftritt, aber intern mit harter Hand regiert, war dies nur der erste Schritt. Marchionne will nichts weniger als einen neuen Weltkonzern: Eine Dreierfusion mit Chrysler und Opel soll einen solchen neuen Riesenautobauer entstehen lassen, der sogar Volkswagen hinter sich lassen würde.
Marchionne hatte vor wenigen Monaten den Kern seiner Vision verkündet: Künftig werde es weltweit nur noch fünf oder sechs große Autohersteller geben. Nun will der Manager offenbar schnell Tatsachen schaffen, um zu dieser Gruppe zu gehören. Der Fiat-Chef überrascht damit erneut die gesamte Autobranche. Doch für ungewöhnliche Aktionen im Großen wie im Kleinen ist Marchionne bekannt.
So war sein Bild einst auf allen Zeitungen im modebewussten Italien, als er im Pullover vor ein hochkarätiges Auditorium trat. Parallel dazu ließ er damals sein Lieblingslied "Don't worry - be happy" einspielen. Locker und sorgenfrei präsentiert sich der verheiratete Vater zweiter Töchter gerne.
Marchionne ist ein Quereinsteiger. Er hat lange in Kanada gelebt und die doppelte Staatsbürgerschaft. In dem nordamerikanischen Land absolvierte er sein Jura- und Managementstudium, bevor er als Steuerexperte beim Wirtschaftsprüfer Deloitte & Touche die ersten Berufserfahrungen sammelte. Seit den 90er Jahren arbeitete Marchionne in mehreren Unternehmen mit Sitz in der Schweiz - wo er sich bis heute einen Wohnsitz hat. Beim Weltmarktführer für Zertifizierung, SGS, war Marchionne Chef, bevor er zu Fiat nach Turin gerufen wurde.
Die Marchionne-Revolution
An der Fiat-Spitze sammelt Marchionne in den ersten Jahren so viele Erfolge, dass von der "Marchionne-Methode" oder "Marchionne-Revolution" gesprochen wurde. Der Manager tanzte auf allen Bällen - und schien überall anzukommen, bei Politikern, Gewerkschaftern und in den Medien. Auch US-Präsident Barack Obama lobt Fiat überschwänglich. Die Tageszeitung "La Repubblica" schrieb, Detroit - der Sitz der großen US-Autobauer - werde zu einer "Provinz von Turin".
Doch dürfte nicht jeder Mitarbeiter an den Methoden des Herrn Marchionne Gefallen finden. In die Führungsetagen hat er breite Schneisen geschlagen und ein Team neuer, junger Führungskräfte installiert. Bisher allerdings ist dem Quereinsteiger alles gelungen. Doch nicht wenige fragen sich, ob sich Marchionne bei seinem jüngsten Projekt der Dreierallianz aus Fiat, Chrsyler und Opel nicht übernommen hat.
Zunächst stehen den Weltkonzernfantasien vor allem noch Widerstände in Deutschland im Wege. Gewerkschaften und Teile der Politik warnen vor einem Einstieg der Italiener bei Opel.
Die Kritiker dürfte Marchionne kaum beruhigt haben, als er nun die geplante Allianz als "Hochzeit im Himmel" ankündigte. Mit diesem Titel war schon die Fusion von Daimler mit Chrysler apostrophiert worden. Das Megaprojekt ist längst gescheitert - und sein Urheber, Ex-Daimler-Chef Jürgen Schrempp, gilt vielen als Symbol automobilen Größenwahns.
manager-magazin.de mit Material von afp und dpa