Karriere Die Macht der Intuition
München - "Wir unterschätzen die Macht der Intuition für Entscheidungen", sagt Tobias Constantin Haupt, Psychologe an der Universität München. "Entscheidungen wirken für uns am überzeugendsten, wenn sie bewusst getroffen und am besten noch mathematisch hergeleitet werden." Aber diese Perspektive sei einseitig: "Wenn es um sehr komplexe Entscheidungen geht, ist Intuition sogar besser. Bei intuitiven Entscheidungen nutzen wir unser jahrelanges Erfahrungswissen." Bei der Frage, ob zum Beispiel ein Jobangebot das richtige ist, sei es daher ratsam, "auf den Bauch zu hören".
In der wissenschaftlichen Literatur sei das Phänomen Intuition lange nicht ernst genommen worden, sagt auch Madeleine Leitner, Psychologin und Karriereberaterin aus München. Die Psychologie habe im Gegenteil geholfen, beispielsweise bei der Personalauswahl Verfahren wie die Assessment Center zu entwickeln, die der Intuition objektive Kriterien gegenüberstellen sollen. "Andererseits haben Menschen über ihr Verhalten hinaus etwas, das nicht messbar ist, aber doch bei anderen ankommt", sagt Leitner. Solche Gefühle etwa einem Bewerber gegenüber sollten nicht ignoriert werden.
Wenn im Bewerbungsgespräch oder Assessment Center mehrere der Anwesenden intuitiv Bedenken gegen einen Bewerber haben, obwohl der unter allen messbaren Gesichtspunkten brilliert, plädiert Leitner für Skepsis: "Im Zweifel sollte man gegen den Kandidaten entscheiden." In jedem Fall lohne sich die Frage, woran das ungute Gefühl liegt. Schließlich müsse der Bewerber später im Team oder als Vorgesetzter auf andere überzeugend wirken.
Bauchgefühle verdienen jedoch kein blindes Vertrauen. Auch professionelle Entscheider legen in dieser Hinsicht nach Einschätzung Leitner oft Naivität an den Tag. "Manche Personaler glauben, sie könnten sich bei der Auswahl von Bewerbern ganz auf ihr Gefühl verlassen", kritisiert die Psychologin. "Das führt oft zu grauenhaften Fehlentscheidungen und wird den Bewerbern nicht gerecht." Die Vorstellung, die Eignung eines Bewerbers "mit dem Bauch" bewerten zu können, sei durch Studien widerlegt. Im Idealfall, so Leitner, sagen Bauch und Kopf das gleiche: "Der ist es!" Dann ist die Personalentscheidung einfach.
Nur nichts überstürzen
Grundsätzlich stehen jedem Menschen diese zwei Wege zur Verfügung, um zu einer Einsicht und damit einer Entscheidung zu kommen, erläutert der Wissenschaftsjournalist und Sachbuchautor Bas Kast. Der eine führt mit Hilfe von Logik und Argumenten zum Ziel. Das hat den Vorteil, dass sich das Ergebnis nachvollziehen und begründen lässt. Aber nach Kasts Überzeugung hat er auch Schwächen: Der Weg über die Vernunft ist eher lang. Und er ist nicht immer der beste, etwa wenn es jemandem nicht gelingt, die Fakten zu gewichten und deswegen gar keine oder die falsche Entscheidung getroffen wird.
Weg Nummer zwei führt dagegen über das Unbewusste, und das ist sein Nachteil: Intuitive Urteile lassen sich nur schwer erklären, sie folgen ihrer eigenen Logik. Aber der Vorteil liegt für Bas Kast auf der Hand: Unser Unterbewusstsein könne notfalls unglaublich schnell entscheiden und die richtigen Schlüsse ziehen - in Gefahrensituationen kann das lebensrettend sein.
Auch der Ratschlag, eine Entscheidung noch einmal zu "überschlafen", hat viel für sich. Oft wacht der Betreffende am Morgen darauf auf und weiß, was er will. Das ist keine Zauberei, sondern Intuition: "Die meisten Menschen profitieren davon, das Unterbewusstsein eine Zeitlang arbeiten zu lassen", erklärt Psychologe Haupt. Dafür sei eine Nacht die ideale Zeitspanne.
Aber Intuition hilft nicht immer. "Es kommt auf die Situation an", betont Haupt. Oft sei es besser, rational zu entscheiden, an der Börse zum Beispiel. "Studien zeigen, dass intuitive Anlegerentscheidungen langfristig Verluste machen."
Ob eine Entscheidung mit dem Kopf oder mit dem Bauch getroffen werden sollte, ist deshalb die falsche Frage. Beides kann Vor- und Nachteile haben. Ratsam sei es vielmehr, zunächst zu klären, ob in der jeweiligen Situation lieber rational oder eher intuitiv entschieden werden sollte, empfiehlt Haupt. In der Regel sei es am besten, ein Gleichgewicht zwischen beiden Varianten zu erreichen, also den Kopf zu benutzen, ohne den Bauch zu ignorieren.
Andreas Heimann, dpa