Interimsmanager Krisenhelfer auf Zeit
Hamburg - Modelleisenbahnen bringt man auf den ersten Blick nicht mit Jan Kantowsky in Verbindung. Trocken, professionell, geschäftsmäßig gibt sich der Manager mit dem Seitenscheitel und der markanten Brille. Auch seine bisherigen Stationen sprechen nicht für eine ausgeprägte Spielzeugexpertise - bislang arbeitete Kantowsky unter anderem für Bertelsmann und für die Internetberatungsfirma Pixelpark.
Dennoch übernahm Kantowsky im Juni 2006 bei Märklin den Posten als Finanzvorstand. Damals war der größte Modellbahnbauer der Welt aus Göppingen bei Stuttgart so gut wie pleite. Kurz zuvor hatten Kingsbridge Capital und Goldman Sachs die schwäbische Traditionsfirma nach drastischen Umsatzeinbrüchen übernommen, in einer Zeit, in der sich Väter mehr für Spielzeugeisenbahnen interessieren als Kinder. Keine leichte Aufgabe für Kantowsky und seinen Kollegen Ulrich Wlecke, die von den Finanzinvestoren als Geschäftsführer bei Märklin eingesetzt wurden.
Kantowksy und Wlecke sind Vertreter eines neuen Typus von Führungskräften: Sie kommen, handeln und gehen. Ihr Einsatz dauert sechs, maximal zwölf Monate. Üblicherweise werden sie von Finanzinvestoren engagiert, die einen Sanierungsfall übernommen haben und nun entsprechende Spezialisten fürs Grobe an der Firmenspitze benötigen. Turnaround-Management heißt das. Zuletzt wurde der Bedarf dafür immer größer.
Bei Märklin bedeutete das: Werke im thüringischen Sonneberg und in Nürnberg wurden geschlossen, Kundenrabatte gekürzt, die Händler aufgefordert, bestellte Ware zügiger zu bezahlen. Außerdem sollten die Produkte besser in den Geschäften präsentiert werden.
Als Kantowsky Märklin ein Jahr später im Dezember 2007 verließ, lief das Geschäft wieder. Anfang 2008 meldete das Unternehmen einen Auftragsrekord, die Umsätze würden wieder kräftig steigen, noch im laufenden Jahr soll neues Hightech-Spielzeug auf den Markt kommen, das wieder jüngere Kundschaft anlockt.
Diskretion ist der halbe Job
Diskretion ist der halbe Job
Kantowsky ist angestellt bei der US-Firma AlixPartners, die neben Unternehmensberatung eben auch Manager auf Zeit im Angebot hat - diese Restrukturierungsexperten schreiben nicht nur Konzepte zur Rettung ihres Mandanten, sondern setzen die Vorschläge auch gleich selbst um. "Die Mitarbeiter von AlixPartners liefern Ergebnisse und nicht nur Berichte", heißt es auf der Firmen-Website. Man sehe sich nicht nur als Anbieter von Mietchefs, die nur umsetzten, was andere sich nicht umzusetzen trauten.
Wlecke, Geschäftsführer bei AlixPartners, rühmt sich dort damit, die "Sanierung eines deutschen Großkonzerns (Dax 30)" sowie die "Sanierung einer Maschinenbaugruppe (weltweit Nummer zwei in ihrem Marktsegment)" geleitet zu haben. In der Branche ist man verschwiegen, Namen nennt man lieber nicht. Diskretion ist der halbe Job.
In Zeiten schwächelnder Konjunktur boomt Zeitarbeit - auch im Topmanagement. Die großen Restrukturierungsfirmen wie AlixPartners oder Konkurrent Alvarez & Marsal (A&M) wachsen seit ihrem Markteintritt in Deutschland vor fünf Jahren rasant. Beide Unternehmen wurden Anfang der achtziger Jahre in der US-Rezession gegründet. Außerdem eröffnen immer neue Beratungsfirmen, die freiberufliche Manager zur Miete vermitteln.
Auf rund 500 Millionen Euro schätzt die Dachgesellschaft Deutscher Interim Manager (DDIM) den Markt für die schätzungsweise rund 3000 Führungskräfte, die in Deutschland ihre Dienstleistungen anbieten. "Der Markt wächst jährlich um bis zu 14 Prozent", sagt Lennart Koch, Vorsitzender der DDIM. Selbst traditionelle Unternehmensberatungen wie Roland Berger schicken inzwischen Interimsmanager zu ihren Kunden. "Die Nachfrage war da, deshalb bieten wir das nun an", sagt ein Berater. Bei den Unternehmen in Deutschland bestehe immer noch ein hoher Restrukturierungsbedarf.
Berater sind oft "zahnlose Tiger"
Berater sind oft "zahnlose Tiger"
Jörg Jacob hält diese Entwicklung für konsequent. "Wer Hilfe von außen sucht, braucht keine Leute, die sagen, wie eine Firma aus der Krise zu führen ist. Er braucht Leute, die die Firma aus der Krise führen." Unternehmensberater, die nur Konzepte ausarbeiteten, die anschließend vom Management zerredet würden, seien "zahnlose Tiger". Daher sieht Jacob, selbständiger Interimsmanager und Partner bei Management Support Partners (MSP), eine glänzende Zukunft für sich und seine Branche.
Verbandschef Koch betont, dass das Anforderungsprofil von Unternehmensberatern ganz anders sei als das von Interimsmanagern. "Unternehmensberatungen rekrutieren ihr Personal oft frisch von der Hochschule. Interimsmanager haben dagegen meistens viele Jahre Berufserfahrung."
Der ideale Kandidat habe durchaus Beratererfahrung, habe sich anschließend in operativen Managementfunktionen bewährt und werde dann Interimsmanager, sagt Kantowsky. Im Gegensatz zu den meisten der Branche stellen die großen Restrukturierungsfirmen wie AlixPartners oder A&M ihre Berater fest an und kassieren von ihren Mandanten je nach Absprache ein Fix-, Zeit- oder Erfolgshonorar.
Die Interimsmanager sollen ihren Mandanten retten, immer öfter aber auch ein Unternehmen für den globalen Wettbewerb fitmachen oder eine Strategie zur Verbesserung der Ertragslage umsetzen. In den meisten Fällen bedeutet das Entlassungen - bei der Belegschaft haben die Kurzzeitchefs daher keinen guten Ruf. Sie gelten als Managersöldner, Mietchefs, Exekutoren - Leute eben, die kurzzeitig kommen, schmerzhafte Entscheidungen relativ frei von Verantwortungen durchsetzen und anschließend wieder verschwinden.
Pleite - aber zwei Millionen Euro Honorar
Pleite - aber zwei Millionen Euro Honorar
Zu Unrecht, findet Peter Briggs von A&M. "Die Beschäftigten sind schon eingeschüchtert, bevor wir kommen", sagt er. "Ihr Unternehmen befindet sich schließlich in einer Krise und die Beschäftigten haben Angst, dass die Probleme nicht gelöst werden. Wir kommen und verändern die Situation." Veränderungen, sagt Briggs, sorgten aber immer für Nervosität.
Das größte Problem, findet Dierk Hirschel, Chefökonom des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), ist die kurzfristige Sichtweise der Sanierer. Oft hätten die nur ein Interesse daran, ein Unternehmen auszuschlachten. "Der DGB fordert seit langem einen engeren gesetzlichen Rahmen für Geschäftsmodelle von Finanzinvestoren." Nach Meinung von Hirschel wäre es sinnvoll, wenn Restrukturierungsfirmen nicht nur Manager entsendeten, sondern sich auch finanziell an den betreffenden Unternehmen beteiligten. Auf diese Weise, glaubt er, hätten sie ein größeres Interesse daran, ihren Mandanten auch wirklich zu retten.
Kantowsky sagt, natürlich gebe es häufig Vorbehalte in der Mitarbeiterschaft, wenn ein Interimsmanager das Ruder übernehme. "Sie sind freier von politischen Zwängen und sind auch durch frühere Entscheidungen nicht vorbelastet. Außerdem müssen sie auf innerbetriebliche Beziehungen weniger Rücksicht nehmen", sagt er. "So können wir eben auch unpopuläre Entscheidungen durchsetzen. Das soll aber nicht heißen, dass wir uns wie die Axt im Walde verhalten." Ziel sei stets die Rettung des Unternehmens - der Turnaround.
Bei Märklin wurde dieses Ziel erreicht, aber nicht immer haben Interimsmanager so viel Erfolg. So kämpfte im vergangenen Jahr Europas größter Möbelhersteller, die Firma Schieder aus dem westfälischen Herford, monatelang ums Überleben. Interimsgeschäftsführer war auch hier: Ulrich Wlecke. Im Juni 2007 war sein Auftrag zur Rettung des Unternehmens endgültig gescheitert: Er reichte beim Amtsgericht Detmold Insolvenzantrag ein.
Verlierer der Pleite waren die rund 11.000 Mitarbeiter, Gewinner die Insolvenzberater, Rechtsanwälte - und eben die Restrukturierungsexperten. Sie alle verdienten trotz allem gut. Laut internen Schieder-Papieren erhielt allein AlixPartners bis zum Mai 2007, also noch vor der Insolvenz, knapp zwei Millionen Euro Honorar.