Karriere Startschuss in Brüssel
Hamburg - Brüssel ist nicht nur Hauptstadt der EU, sondern auch der Praktikanten: Wahrscheinlich nirgendwo sonst suchen so viele junge Menschen Kontakte und Karrierechancen in der Welt von Politik und Diplomatie.
Die belgische Hauptstadt ist Sitz der wichtigsten EU-Institutionen, der NATO sowie unzähliger Lobby-Verbände und Politik- und Unternehmensberatungen. Fast alle bieten Praktika für 20- bis 30-Jährige an.
"Ich habe zum Glück keinen Kaffeekoch- oder Kopierjob", sagt die Düsseldorferin Lena Salm über ihr dreimonatiges Praktikum im Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung. Die 22-Jährige studiert in Passau "European Studies" - einen Mix aus Wirtschaft, Recht und Politik. "Da liegt es sehr nahe, mal in die Hauptstadt Europas zu gehen und die Abläufe aus der Nähe kennen zu lernen." Zu ihren Aufgaben gehört es beispielsweise, Bundestagsabgeordneten auf Brüssel-Exkursion die EU näher zu bringen.
Eine Sprecherin der EU-Kommission erläutert, wie begehrt Praktikumsplätze bei den EU-Institutionen sind: "Für jede unserer fünfmonatigen Praktikums-Phasen bewerben sich um die 7000 junge Leute. Wir können aber nur 600 pro Halbjahr unterbringen." Von den gut 800 deutschen Bewerbern im Jahr nimmt die EU-Kommission knapp 90.
Beim Rat der Europäischen Union sind jährlich etwa 70 Praktikantenstellen zu vergeben. Im Parlament, das trotz Hauptsitzes in Straßburg meist in Brüssel berät, sind es etwa 200 in Verwaltung und Fraktionen. Darüber hinaus haben die fast 800 Abgeordneten so viele Praktikanten, wie sie möchten.
"Ich schreibe hier an Reden"
"Ich schreibe hier an Reden"
Ein junger Praktikant aus Hessen etwa ächzt, dass er bei seinem Abgeordneten nicht allein, sondern gleichzeitig mit mehr als einem Dutzend anderer Praktikanten sei. Es gebe oft 13-Stunden-Tage und kein Geld. Viele aus der "Generation Praktikum" werden gar nicht oder nur schlecht bezahlt. Die begehrte Station Brüssel im Lebenslauf ist oft Zuschuss-Geschäft, gesponsert von den Eltern. Was etwa das Wohnen angeht, ist Brüssel nicht gerade günstig - vergleichbar mit München.
Dennoch zufrieden - und auch bezahlt - ist Jonas Paul. Der Münchner arbeitet als Gast dreieinhalb Monate im Büro der deutschen Grünen-Abgeordneten Angelika Beer. "Ich schreibe hier an Reden oder Änderungsanträgen mit", sagt er. Schade findet er, dass in Brüssel oft nach Nationen getrennt gearbeitet werde. "In der UNO- Zentrale in New York, wo ich auch schon ein Praktikum absolviert habe, ist das anders", sagt Jonas Paul.
Das Unter-sich-bleiben führt aber auch zu einem besonderen Wir-in-Brüssel-Gefühl: Für deutsche Praktikanten gibt es jeden Dienstag einen eigenen Stammtisch in einer Kneipe nahe dem Europaviertel. Besonders beliebt seien "Veranstaltungen in Vertretungen süddeutscher Bundesländer", sagt einer beim Stammtisch.
Dort gebe es stets gutes Essen und reichlich Bier.
Gregor Tholl, dpa