Managerhaftung "Daumenschrauben angezogen"
mm.de: Herr Hendricks, vor zwölf Jahren waren Sie einer der Ersten, die Manager über "Directors and Officers Liability"-Versicherungen (D&O) beraten haben. Wie kam es dazu?
Hendricks: 1994 sprach mich der Deutschland-Chef einer amerikanischen Firma auf das Thema an. Ich habe mir verschiedene Angebote besorgt und festgestellt, dass diese durchweg nicht mit dem deutschen Gesellschaftsrecht kompatibel waren. In diesen Policen wurde die Innenhaftung ausdrücklich ausgenommen, also die Inhaftungnahme von Vorständen durch den Aufsichtsrat.
In Deutschland geht es aber in neun von zehn D&O-Fällen um Innenhaftung. Das waren also Mogelpackungen. Daraufhin habe ich mich selbstständig gemacht und eigene Versicherungspolicen entworfen. Heute schicken bundesweit 300 Versicherungsmakler ihre Kunden mit D&O-Fragen zu uns; unser Marktanteil an diesen Policen liegt bei gut 10 Prozent. Und zehn große Versicherungsgesellschaften, darunter Axa, AIG und Chubb, akzeptieren die von uns entwickelten Bedingungen für eine D&O-Police.
mm.de: Was ist das Besondere an diesen Bedingungen?
Hendricks: Zwischen Pflichtverletzung des Vorstands, Schadenentstehung und Schadenmeldung können manchmal viele Jahre liegen. Deshalb schreiben wir beispielsweise so genannte unverfallbare Nachmeldefristen in die Policen, für den Fall, dass sich die Versicherungsbedingungen ändern. Diese Policen gewährleisten die Deckung im ursprünglichen Umfang - aber natürlich nur für Schäden, die vor der Vertragsänderung entstanden sind. Oder wir legen ganz genau fest, was als Vermögensschaden gilt, so dass es hinterher keine langwierigen Diskussionen gibt. Ähnliche Auslegungsvereinbarungen schreiben wir auch bei der Frage des Vorsatzes rein, mit dem Versicherer häufig argumentieren, wenn sie nicht zahlen wollen.
mm.de: Aber eine D&O-Versicherung zahlt doch sowieso nicht, wenn der Manager seine Pflichten vorsätzlich verletzt hat?
Hendricks: Genau, deshalb ist die Vorsatzfrage so ein beliebtes Argument im Schadensfall. Aber der Knackpunkt ist doch, wie ich "Vorsatz" definiere. Ein Beispiel: Der Geschäftsführer einer kleinen GmbH darf seinen Kunden Zahlungsaufschub bis 100.000 Euro gewähren. Höhere Beträge muss er mit dem Vorstand der Muttergesellschaft absprechen. Er hat einen Kunden, den er seit 30 Jahren kennt und gibt ihm einen Zahlungsaufschub über 150.000 Euro.
Das hat er schon öfter gemacht, jedes Mal kam das Geld problemlos rein. Nun geht der Kunde Pleite und kann nicht zahlen. Eigentlich ein klarer Haftungsfall, aber jetzt kommt die Versicherung und sagt: "Lieber Geschäftsführer, Sie haben vorsätzlich gegen die Richtlinien verstoßen, deshalb zahlen wir nicht." Das kann natürlich nicht sein, denn der Geschäftsführer wollte das Unternehmen ja nicht schädigen, sondern im Gegenteil einen guten Kunden und ein gutes Geschäft halten - zu Gunsten des Unternehmens.
"Regelrechte Vollkaskomentalität"
mm.de: Wieso sind die D&O-Versicherer so hartleibig, wenn es um Schadensregulierung geht?
Hendricks: Vor allem, weil sie in jüngerer Zeit enorm hohe Reserven ansetzen mussten für ihre großen Fälle wie Breuer oder Schrempp. Solche Summen zahlt kein Versicherer freiwillig, da werden die Daumenschrauben ganz eng angezogen. Das wirkt sich auch auf die Schadensregulierung im Mittelstand aus. Ohne Streiterei, nur mit angemessener Prüfung werden in Deutschland nur 5 Prozent aller D&O-Schadensfälle reguliert. Aber jede zehnte D&O-Police ist von einer Schadensmeldung betroffen - das ist enorm und deutlich mehr als etwa in der Kfz-Haftpflichtversicherung.
mm.de: Woran liegt das?
Hendricks: Der wichtigste Grund ist das falsche Deckungsverständnis der Unternehmen, wo viele glauben, dass jedes Missgeschick, das zu einem schlechten Geschäft führt, versichert sei. Da herrscht teilweise eine regelrechte Vollkaskomentalität. Nicht selten wird auch versucht, den Geschäftsführer nur pro forma auf Haftung zu verklagen. Bei diesen "friendly claims" geben Unternehmen und Organe nur nach außen die Streithähne, tatsächlich wollen sie gemeinsam die dicke Schadenssumme der Versicherung anzapfen. Viele halten das für einen eleganten Weg, um geschäftliche Verluste auszugleichen.
mm.de: Dagegen wehren sich die Assekuranzen oft mit so genannten Rausschmissklauseln, die besagen, dass die Entlassung des betreffenden Organs Voraussetzung ist, um den Schaden überhaupt melden zu können.
Hendricks: Richtig. Die sind aber häufig in den Verträgen so schlampig formuliert, dass dadurch wieder neue D&O-Fälle ausgelöst werden. Wenn etwa der Aufsichtsrat auf Veranlassung der Versicherung seinen Vorstand kündigt und die Dienstenthebung rechtlich nicht sauber ist, hat der geschasste Vorstand einen eigenen Schadenersatzanspruch gegen sein Unternehmen.
Deshalb muss in derartigen Klauseln stehen, dass das versicherte Unternehmen gehalten ist, sich in rechtlich zulässiger Weise von seinem Vorstand zu trennen. Davon abgesehen haben diese Klauseln eine segensreiche Wirkung, denn die Fälle von freundlicher Inanspruchnahme, also "friendly claim", darf man nicht unterschätzen.
"Es geht um Millionenbeträge"
mm.de: In welchen Haftungsfällen greift eine D&O-Versicherung üblicherweise?
Hendricks: Die meisten Fälle liegen im Bereich der Organisationsverantwortung: Mitarbeiterauswahl, Mitarbeiterkontrolle, Organisation betrieblicher Abläufe. Denn je höher jemand im Management aufsteigt, desto weniger ist er operativ tätig. Er muss sich Leute suchen, an die er Aufgaben delegiert - und für deren Tun er letzten Endes Verantwortung trägt.
Eine andere Fallgruppe ist Wettbewerb und Produktentwicklung. Etwa wenn ein Pharmaunternehmen eine Creme auf den Markt bringt, deren Verpackung sich kaum von der der Konkurrenz unterscheidet. Die gewinnt den Prozess, die Pharmafirma muss ihr Produkt zurückziehen - und schon geht der Schaden in zweistellige Millionenbeträge.
Ganz oft geht es auch um nicht eingehaltene Fristen, wie im Fall eines Golfclubs in Süddeutschland. Die haben dort ein gigantisches Gelände gepachtet, aber vergessen, den Pachtvertrag fristgerecht zu verlängern. Dann bekam der Vorstand einen Brief von der Stadt mit dem Inhalt: "Wir haben uns gewundert, dass Sie die Verlängerungsoption Ihres Vertrags nicht gezogen haben. Da wir nicht annehmen, dass Sie mit den ganzen 18 Löchern umziehen wollen, bieten wir Ihnen hiermit eine Verlängerung an, allerdings zum doppelten Preis." Da sind die Mitglieder auf die Barrikaden gegangen, weil der Vorstand die Frist verpennt hatte. Der Fall ist dann tatsächlich über die D&O-Versicherung des Clubs reguliert worden.
mm.de: Mit 350 Millionen Euro Prämienvolumen im Jahr ist der deutsche D&O-Markt recht übersichtlich. Trotzdem balgen sich rund 20 Anbieter um die Policen. Geht das auf Dauer gut?
Hendricks: In den kommenden sechs bis sieben Jahren werden wir die Milliardengrenze bei den Prämien in Deutschland erreichen, dann wird der Markt ausgewogen sein. Aber bis dahin wird mit D&O-Versicherungen kaum Geld verdient werden können, der deutsche Markt bringt den Anbietern derzeit Verluste.
Es herrscht Verdrängungswettbewerb, 2005 sind die Beiträge zum Teil im zweistelligen Prozentbereich gesunken. Das verkraften nur die Großen. In fünf, sechs Jahren werden wir nur noch eine Handvoll D&O-Versicherer in Deutschland haben. Viele Newcomer werden wieder verschwinden. Unter ihnen auch einige deutsche Versicherer, die nicht über das nötige, sehr spezielle Know-how in diesem Bereich verfügen. Die werden sich nach den ersten großen Schadenserlebnissen zurückziehen.
"Deckung erzeugt eben Haftung"
mm.de: Was bedeutet das für die versicherten Manager?
Hendricks: Die müssen sich neue Gesellschaften suchen, was immer mit einem großen Risiko verbunden ist. Denn mit dem Wechsel generiere ich Anzeigepflichten, das heißt die neue Versicherung fragt, ob mir irgendetwas bekannt ist, was später zur Inanspruchnahme der Deckung führen könnte.
Wenn ich das als Geschäftsführer verneine, dann weiß ich ja nicht, was in den Köpfen meiner Mitgeschäftsführer vorgeht oder welche Leichen irgendwelche Beteiligungsgesellschaften im Keller haben. Deshalb rate ich von einem Wechsel der Versicherung grundsätzlich ab.
Hinzu kommt: Wenn ich eine Police abschließe, dann sollte sichergestellt sein, dass der Anbieter auch in zehn Jahren noch da ist. Denn wenn er vom Markt verschwindet, bekomme ich auch kein Geld von ihm. Die Global Players, AIG, Chubb, auch Allianz, die werden sicher bleiben. Überhaupt empfiehlt es sich, einen großen Versicherer zu nehmen, denn die haben Tochtergesellschaften überall auf der Welt, was wichtig ist für die Auslandshaftung. Wenn in den USA oder Russland etwas passiert, dann braucht der Manager einen Anwalt vor Ort. Eine R+V-Versicherung kann das unter Umständen nicht gewährleisten.
mm.de: Warum drängen dann so viele kleine Versicherer ins D&O-Geschäft?
Hendricks: Weil diese Versicherungen die Vorstände direkt betreffen, gelten sie als Eintrittskarte in das gesamte Versicherungsgeschäft der Konzerne. Das ist aber meist eine trügerische Hoffnung - und darüber hinaus gibt es meiner Meinung nach kein sinnvolles wirtschaftliches Argument. Ich würde sogar sagen, dass der Gang in die D&O-Sparte für manche Versicherer selbst ein D&O-Fall ist. Viele Versicherer gehören da gar nicht hin, das sollte man Spezialisten überlassen. In den USA oder Großbritannien ist das ein ganz kleiner Kreis von Anbietern. Und in Deutschland fummeln Randanbieter wie die Feuersozietät in Berlin mit der D&O-Versicherung herum - das ist unglaublich.
mm.de: Immer wieder ist von Managern zu hören, D&O-Versicherungen seien nicht ganz unschuldig an der zunehmenden Zahl der Haftungsklagen.
Hendricks: Das ist sicher nicht ganz falsch. Wenn in einem Unternehmen ein Vermögensschaden auftritt, prüft der Aufsichtsrat eine Haftungsklage gegen den Vorstand. Wenn es dann keine Versicherung gibt, wird der Aufsichtsrat vielleicht lieber die Finger von einer Klage lassen, weil er weiß, dass der Vorstand nicht freiwillig zahlen und vielleicht noch schmutzige Wäsche waschen wird. Ist aber eine D&O-Police über 50 Millionen Euro da, dann wird er den Anspruch vielleicht eher geltend machen. Insoweit kann man sagen: Deckung erzeugt eben Haftung.