Vormals: Gewürze, Kohle, Tabak. Heute: Baustoffhandel, Berufskleidung, Pharma. Der Aufstieg des Ruhr-Clans Haniel lässt sich mit dem Portfolio nicht erklären. Sein Erfolg fußt vielmehr auf eisern eingehaltenen Prinzipien. Die sind allerdings Makulatur wenn die Liebe nichts zählt.
Duisburg - Heiter zwitscherten der junge Mann und die Dame gleichen Alters wie zwei Vögel kurz nach Sonnenaufgang. Er in Designerjeans und Polo-Hemd, sie im kurzen Sommerkleid. Welch Kontrast zu früher! Derlei Festkleidung hätte vor zwanzig Jahren zum Eklat geführt, bei der Gesellschafterversammlung von Deutschlands größter und bedeutendster Unternehmerfamilie.
Chic kleiden können sich freilich andere auch. Dafür trennt sich die Spreu vom Weizen im Vergleich mit anderen Familienkonzernen schnell bei Zahlen und Kennziffern.
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Steht nicht Haniel drauf, ist aber Haniel drin
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Nicht zu vergessen: die stets sprudelnden Gewinne. Eine gewiss nicht unwichtige Triebfeder für die stets frohgemute Stimmung bei den Gesellschafterversammlungen. Zu erfühlen auch am Wochenende des 21. und 22. Mai in Duisburg-Ruhrort, also dort wo die Holding der Super-Size-Sippe seit eh und je ihre Geschäfte macht. Gefeiert wird seit einigen Jahren in der "Haniel-Akademie", einem lichtdurchfluteten Funktional-Quadergebilde, dessen vorrangige Funktion im Weiterbilden von Führungskräften besteht.
Neben kulturellem Begleitprogramm und Gala-Abend beschlossen die Mitglieder der verschiedenen Stämme wie der von Starcks, der Libberts, der v. Haeftens und der Horstmanns auch die Dividende. Der Unternehmensgewinn, der dafür regelgerecht als Grundlage dient, schnellte mit stolzen 39 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf 562 Millionen Euro hoch. Doch wie auch im Jahr zuvor, zeigten die Haniels bescheidene Beständigkeit: Mehr als ein Viertel des Überschusses wird traditionell nicht ausgeschüttet.
Wie wurden die Haniels zu dem, was sie heute sind: nämlich reich? Ist es nur eine Glückssträhne, die unverschämt lange anhält? Oder ist der Aufstieg nüchtern kalkuliert?
Wie ein König den Aufstieg befeuerte
Verzicht auf öffentliche Angeberei
Ursache des triumphalen Aufstiegs sind schlichte Prinzipien, an denen die Haniels seit Jahrhunderten festhalten - komme, was wolle. Seit 1917 gilt die Trennung von Eigentum und Management. Kein Haniel darf, und sei es auch nur als Praktikant, in der Gruppe arbeiten. Der Clan fischt die Gewinne wie gelesen nur teilweise ab. Die operativ tätigen Vorstände und Geschäftsführer sind dazu angehalten, antizyklisch zu investieren und in jedem Geschäftsfeld eine marktbeherrschende Position zu erlangen.
Eben jenes "Wir-Gefühl" vermittelt wohl kaum ein anderer besser als Franz Markus Haniel. Obwohl mit 50 Jahren längst nicht der Älteste, geht vom Aufsichtsratsvorsitzenden der Gesellschaft eine starke Integrationskraft aus, wie es ein Mitglied des Aufsichtsrats gegenüber manager-magazin.de ausdrückt. Haniel selbst lässt dies unkommentiert. Sein Schweigen in der Öffentlichkeit pflegt er auch gegenüber manager-magazin.de. Wieder so ein Prinzip: Die Haniels kultivieren ihre Verschwiegenheit, checken zu auswärtigen Treffen im Hotel sogar unter falschen Namen ein, lassen die Regenbogenpresse links liegen und verzichten auf öffentliche Angeberei.
Franz Markus Haniel ist direkter Nachfahre des Mitgründers gleichen Namens. Zwischen Haniel-Museum und Hauptsitz steht bis heute das Haus, in dem Franz Haniel (1779-1868) geboren wurde. Die Geburtsstunde des Unternehmens datieren die Nachfahren freilich früher, auf das Jahr 1756. Der preußische König Friedrich der Große erlaubt in diesem Jahr dem Großvater von Franz Haniel den Bau eines "Packhauses". Jan Willem Noot lagert dort Tabak, Tee und Gewürze. Diese importiert er aus Holland, liefert sie an reiche Bürger. Seine Familie erweitert stetig das Geschäft um Wein und Eisengusshandel; sie kaufen Kohlegruben und Hüttenwerke, bauen das erste Dampfschiff.
Alles Vergangenheit. Die Wurzeln in der Montanindustrie, Kohlehandel und dem Speditionswesen sind seit Jahrzehnten gekappt. Das zwischenzeitliche Engagement als größter Reeder Europas ist perdu, der Name Haniel taucht auf keinem Produkt mehr auf. Wie kaum ein anderes Familienunternehmen grub Haniel seine Investments um wie ein Schaufelbagger frische Erde. 2004 erwirtschaftet das Konglomerat 90 Prozent des aktuellen Umsatzes aus Bereichen, die vor 20 Jahren noch nicht zum Portfolio gehörten.
Was bei den Haniels verpönt ist
Der nüchterne Vorstandschef
Heute beliefern und betreiben sie Apotheken (Celesio ), möblieren Büros (Takkt ), verleihen Berufskleidung (Boco/Naef-Terag), liefern Hygieneartikel (CWS), verschrotten Stahl (ELG), sanieren nach Sturm, Brand- und Wasserschäden (Belfor) und verkaufen Baustoffartikel (Xella). Als derzeitige Perlen im Portfolio erweisen sich das MDax-Unternehmen Celesio , die Nummer eins in Europa, und vor allem der Stahlhändler ELG, der es auf eine Umsatzrendite von 20 Prozent bringt. Nebenbei geflüstert, gehören der Familie noch 19 Prozent an Metro , für sich allein schon ein kaum überschaubares Imperium.
Siegert passt von Naturell und Biographie wie kaum ein Zweiter zu diesem Job. 30 Jahre bei der Gruppe, Typ nüchterner Banker statt umtriebiger Entrepreneur, für Personenkult denkbar ungeeignet, einer der das Motto "Schweigen und Geld verdienen" praktiziert. Gleichwohl muss der 58-Jährige noch die Feuerprobe bestehen. Siegert ist erst seit Anfang Mai in der Spitzenstellung, die Erwartungen sind hoch.
Sein Vorgänger Günther Hülse, im November 2004 verstorben, habe "Maßstäbe gesetzt", sagte Siegert in einer Aufsichtsratssitzung. Gerd Herzberg, Vize-AR-Chef und im Hauptberuf Bundesvorstand bei Verdi, meint: "Wir haben Siegert noch nicht als Arbeitsdirektor und als Strategen erlebt." Hülse habe sie auch in Mitarbeiterführung und Mitbestimmung verwöhnt.
Siegert weiß, ohne die Familie ist er handlungsfähig wie ein Apotheker ohne Medikamente. Die gesamte Arbeitgeberseite des Aufsichtsrats besetzt traditionell der Clan. Jede Investition, die fünf Millionen Euro übersteigt, muss dort abgesegnet werden. Eine bunte Schar eigenständiger und ausnahmslos männlicher Unternehmer sitzt ihm gegenüber. Denn "sich auf die faule Haut zu legen und nicht zu arbeiten", sagt ein Aufsichtsrat "ist bei den Haniels verpönt." Also züchtet ein Baron in Argentinien Pferde, ein anderer betreibt eine kleine Brauerei, einer verwaltet anderer Leute Vermögen, einer bewirtschaftet Ländereien, einer führt eine Siemens-Tochter, und nicht zuletzt jener Franz Markus Haniel, er ist Vorstand beim Banknotendrucker Giesecke & Devrient - auch einem Familienunternehmen, das freilich nicht im Eigentum der Ruhr-Sippe ist.
Dass Franz Markus Haniel es an die Spitze des Haniel-Aufsichtsrats schaffte, wirkt auf den ersten Blick verwunderlich. Zum einen hält sein Familienstamm nicht die meisten Anteile, zweitens ist er mit 50 Jahren noch relativ jung. Und die Inthronisierung nur mit der Integrationskraft, ausgehend von seinem Namen, zu erklären, führt zu kurz. "Er verkörpert Stetigkeit, Beharrlichkeit", meint ein Aufseher. Anders als sein Vorgänger, Jan von Haeften, sei Haniel aber kein Netzwerker, der weit in die Politik seine Kontakte spinnt.
Das Nebenprodukt der Jugendtreffen
Einstieg in die Medienindustrie? Lieber nicht!
Mit dem Personalwechsel von Haeften zu Franz Markus Haniel läutete die Familie den Generationswechsel ein. "Man traut Haniel zu, dass er die Jüngeren führen kann", sagt ein Aufsichtsrat. In der Kontroll- und Strategietätigkeit muss sich der diplomierte Ingenieur und MBA-Geschulte nichtsdestotrotz mit den mächtigen Altgranden arrangieren. Was sich hinter den Türen der Beiratstreffen und des "Kleinen Kreises", dem eigentlichen Machtzentrum, abspielt, dringt so häufig an die Öffentlichkeit wie die privaten Reiseziele der Aldi-Albrechts.
Die Entwicklung ihrer Investments verfolgt der Clan detailgenau. Aus dem Rehabilitationsbereich stiegen sie aus und sogar als die Geschäfte der Metro kränkelten, wurden Stimmen laut, die Beteiligung zu verkaufen. Heute ist dies kein Thema mehr. Alternativ dachten die millionenschweren Erben über einen Einstieg in die Medienindustrie nach - und verwarfen diesen Gedanken schnell. "Davon verstehen wir nichts", lautete die überzeugende Erklärung.
Und heute? Derzeit sinnieren die Erben darüber, wie ihre 58-Prozent-Beteiligung am Apothekenbetreiber und Pharmagroßhändler Celesio, ehemals Gehe, weiter wachsen kann. Innerdeutsch sieht es mau aus. Und im Ausland sind Apotheken häufig anteilig im Besitz von Kommunen, womit Haniels Einfluss beschränkt ist. Das unbefriedigende Wachstum der Waschraumhygiene bereitet ebenfalls Kopfzerbrechen. In Frankreich gebe es einen interessanten Wettbewerber, der sei aber zu teuer. Immerhin: Bei ELG, also denen, die mit Recycling und Rohstoffhandel von Edelstahl ihr Geld verdienen, ist die noch stärkere Expansion nach Osten gerade im Aufsichtsrat beschlossen worden.
Mit derlei millionenschweren und kniffeligen Entscheidungen müssen sich die jüngeren Generationen nicht herumplagen - noch nicht. Um ihr Gespür für kaufmännisches Denken zu wecken, und ihnen "Haniel-Spirit" einzuhauchen, veranstaltet die Holding alle zwei Jahre ein Jugendtreffen - ähnlich wie bei anderen Sippen. Für die Haniels hört dabei das Jugendalter per Definition bei 40 auf. Nicht explizit gewünscht, aber durchaus willkommen ist das Nebenprodukt dieser exquisiten Runden: Die Heirat zwischen den jungen Hüpfern der verschiedenen Familienzweige.
So sichert man den Bestand eines Mischkonzerns.
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