Interimsmanagement
"Der herkömmliche Manager wird zu teuer"
Die Führungsetagen in deutschen Unternehmen müssen abspecken, prognostiziert der Wirtschaftswissenschaftler Rainer Marr im Interview mit manager-magazin.de. Zeitweise angeheuerte Interim-Manager übernehmen immer mehr Verantwortung. Ein Aufbaustudium soll Fachkräfte im Personalbereich auf den Trend vorbereiten.
Wieso wollen Sie einen Aufbaustudiengang für Interim-Management ins Leben rufen?
Marr: Die Situation in der deutschen Wirtschaft ist gekennzeichnet einerseits durch wachsenden Kostendruck und andererseits den Zwang, strategisch wettbewerbsfähige Konzepte zu entwickeln. Besondere Probleme haben dabei die mittelständischen Betriebe, denn Großunternehmen haben meist ausreichend intellektuelles Potenzial im Haus. Jedenfalls können sich viele Unternehmen die Professionalität, die sie eigentlich bräuchten, nicht leisten.
Die klassische Unternehmensberatung ist für die meisten mittelständischen Betriebe zu teuer. Es muss aber zwischen "fehlender Unterstützung" - man kann sich so jemanden nicht leisten - und "voller Professionalität mit vollen Kosten" eine situationsangemessene Lösung geben: den Interim-Manager. Bislang gibt es dafür noch kein Qualifikationsprofil. Und nicht jeder, der über eine langjährige Berufserfahrung verfügt, eignet sich dafür.
mm.de: Weshalb spezialisieren Sie Ihr Weiterbildungsangebot auf den Bereich Personalwesen?
Marr: Der Personalbereich hat in vielen Unternehmen immer noch Schwierigkeiten, seine Position zu definieren und zu wahren - mehr zu sein als nur Kostenverursacher und Personalverwalter. Speziell der Mittelstand braucht aber eine strategisch orientierte Personalpolitik, weil er sonst im Wettbewerb um gute Köpfe mit der Großindustrie nicht mithalten kann. Auf der anderen Seite gliedern immer mehr Unternehmen aus Kostengründen ihre eigene Personalabteilung aus. Das ist wegen deren hoher strategischer Bedeutung aber gefährlich. Wie kann man nun auf dieses Dilemma reagieren? Daraus entstand der Gedanke, Interim-Manager speziell für den Personalbereich auszubilden.
"Mittelstand braucht Unterstützung"
mm.de: Zurzeit holen sich Unternehmen Personalexperten vor allem zum Stellenabbau. Werden auch Sie überwiegend Abwickler ausbilden?
Marr: Selbstverständlich nicht. Natürlich kann es sein, dass Unternehmen auch einmal einen Sanierer brauchen. Ein Interim-Manager ist aber von seiner Funktion her kein Sanierer, sondern ein professioneller Begleiter für eine bestimmte Zeit, vergleichbar einem Lotsen. Er hilft beim Aufbau neuer Fertigungsstätten in Osteuropa, der Implementierung eines neuen Altersversorgungskonzeptes oder der Umstellung auf ein anderes Computersystem. Bei solchen Projekten braucht vor allem die mittelständische Wirtschaft Unterstützung.
mm.de: Welche Zielgruppe wollen Sie mit Ihrem Ausbildungsprojekt ansprechen?
Marr: Wir haben zunächst eine große Gruppe von älteren "Professionals" mit hohem intellektuellem Potenzial und müssen versuchen, dieses Potenzial stärker zu nutzen. Das ist sicherlich eine interessante Zielgruppe. Aber ich setze auch auf eine andere: die Jüngeren um die 40, die durchaus schon ausreichende Erfahrungen haben, um einem Unternehmen behilflich zu sein. Zum Beispiel jemand, der fünf bis acht Jahre in einem Unternehmen tätig war, von Reorganisationsprozessen betroffen ist oder einfach keine Lust mehr auf seine derzeitige Funktion hat. Dazu bedarf es einer bestimmten Persönlichkeitsstruktur, weil man sich immer auf etwas Neues einstellen muss.
mm.de: Auf welche Neuerungen am Arbeitsmarkt müssen sich Manager einstellen?
Marr: Es gibt Prognosen, die besagen, dass wir auf eine starke Segmentierung des Arbeitsmarktes zusteuern. Die Managementstrukturen werden sich demnach völlig verändern - hin zu kleinen Managementteams, die mit einem Netzwerk von Professionals zusammenarbeiten. Temporäre Arbeitsbeziehungen ersetzen Festanstellungsverhältnisse. Ein solches Modell halte ich durchaus für realistisch.
Marr: Leiharbeiter klingt wie Tagelöhner, wir reden aber von hoch professionellen Mitarbeitern. Allerdings gibt es tatsächlich eine Tendenz hin zu Vertragsstrukturen, in denen Menschen ihre Arbeitskraft nur für eine bestimmte Zeit zur Verfügung stellen - dabei aber dem Unternehmen näher stehen als ein klassischer Berater. Zudem versuchen die Unternehmen, sich von Fixkostenstrukturen zu entlasten. Dabei wird ihr Augenmerk künftig stärker auf Fixkosten gerichtet sein, die das Management verursacht. Denn auf der operativen Ebene ist schon viel eingespart worden - da sind die Spielräume zur Rationalisierung sehr eng.
Sind Manager ihr Geld wert?
mm.de: Was bedeutet das für die Managementetage?
Marr: Wir hatten ja schon eine Phase des "Lean Management", welches meist als Einsparung von Managementebenen praktiziert wurde. Dieser Prozess kam zwischenzeitlich zwar etwas zur Ruhe, ist aber noch nicht abgeschlossen. Der herkömmliche Manager wird auf die Dauer für Unternehmen zu teuer. Die Frage, ob Manager ihr Geld wert sind, wird sich - nicht nur in Bezug auf Spitzenpositionen - in Zukunft immer stärker stellen.
mm.de: Auch Leih-Manager müssen für ihr Geld einiges vorweisen. Ein erstklassiger Universitätsabschluss und jahrelange Berufserfahrung gelten als Voraussetzung. Kann Ihr Aufbaustudiengang da mithalten?
Marr: Diese Qualifizierungsvoraussetzung ist richtig, aber in der Praxis nicht die Regel. Zielsetzung des Aufbaustudiengangs ist es, die Kenntnisse aus einem erstklassigen Universitätsabschluss und aus langer Berufserfahrung um aktuelles und problembezogenes Wissen zu ergänzen.
Darum werden wir ab Frühjahr 2005 einen von der Weiterbildungsgesellschaft unserer Universität zertifizierten Studiengang anbieten. Er dauert drei Semester und zielt zunächst noch nicht auf einen akademischen Abschluss. Wenn entsprechende Nachfrage besteht, kann darauf ein Master-Studiengang aufgebaut werden. Teilnehmer des Aufbaustudiums müssen mindestens sechs Jahre Erfahrung im Personalbereich haben, denn sie sollen das eigentliche Handwerkszeug des Personalmanagements schon mitbringen. Darauf wollen wir keinen Schwerpunkt legen.
Marr: Manche Dinge lernt man nicht, wenn man zum Beispiel im stabil hierarchisch und spezialisiert gegliederten Personalbereich eines Großunternehmens tätig ist. Solche Lücken wollen wir schließen. Dazu gehören, neben spezifischen Fragestellungen wie Vertragsgestaltung oder Haftungsproblemen, auch die Themen Controlling und Projektmanagement - Kenntnisse, die notwendig sind, um als Einzelkämpfer in bestehenden sozialen Strukturen erfolgreich zu sein.
Ein Interim-Manager muss in der Lage sein, mit dem Controller des Unternehmens ein Gespräch auf gleicher Augenhöhe führen zu können. Das ist bei den allermeisten Personalmanagern nicht gegeben. Generell geht es in dem Aufbaustudium um die Bereiche Personalstrategie, soziale Kompetenz, Controlling, Projektmanagement und Recht.
"Eine Generation tritt ab"
mm.de: Werden Unternehmen das Zertifikat, das man bei Ihnen nach erbrachter Leistung verliehen bekommt, akzeptieren?
Marr: Das hängt von der Qualität der Teilnehmer ab. Wir wollen Standards entwickeln, um zu zeigen, was ein Interim-Manager können sollte. Damit beschränkt sich der Qualitätsnachweis des Interim-Managers nicht mehr nur auf dessen Erfahrungsnachweis. Realistischerweise muss man sagen, dass es einige Jahre dauern kann, bis sich ein solches Zertifikat etabliert hat und von den Unternehmen anerkannt wird. Das ist ein reizvolles Experiment, bei dem sich zeigen wird: Sind diejenigen, die den Studiengang durchlaufen haben, tatsächlich besser als andere? Für die Unternehmen soll der Qualifikationsnachweis das Auswahlrisiko vermindern.
mm.de: Wird der Interim-Manager in Zeiten eines Konjunkturaufschwungs überflüssig?
Marr: Nein, denn der Interim-Manager ist keine Krisenerscheinung, sondern eine personelle Alternative, für welche Kosten- und Qualifikationsgründe sprechen. Das kann in wirtschaftlich besseren Zeiten zu einer Verlängerung der Zusammenarbeit führen. Wir brauchen - besonders im Mittelstand - flexible personelle Problemlösungen.
Daneben haben wir noch eine Sondersituation, weil wir im Mittelstand in den nächsten Jahren eine Vielzahl von Eigentümerwechseln zu verzeichnen haben - eine Generation tritt ab. Bei diesem Wechsel braucht der Nachwuchs Unterstützung von Interim-Managern mit Coaching-Funktion. Auf Dauer kann sich ein mittelständisches Unternehmen nicht für alle Bereiche, die strategisch wichtig sind, Spezialisten an Bord holen. Das wird zu teuer. Durch flexible personelle Strukturen und Netzwerkbildung könnte der Mittelstand auch mit der Leistungsfähigkeit von Großorganisationen mithalten und müsste nicht mehr nur nach Nischen suchen.