Rolf Demuth "Wir wollen dort sein, wo Ikea nicht ist"
Hamburg - Wenn Rolf Demuth über China redet, gerät der sonst eher sachliche Chef der Schieder Gruppe ins Schwärmen. "Dieses Land ist total verrückt. Die meisten Menschen haben vergessen, wie sich das Wirtschaftswunder in Deutschland angefühlt hat. Sich das heute in einem anderen Land aus der Nähe anzusehen - das ist sehr beeindruckend", sagt Demuth gegenüber manager-magazin.de.
Eigentlich hatte der Chef von Europas größtem Möbelhersteller vor, sich schon im Mai dieses Jahres aus der Geschäftsführung seines Unternehmens zurückzuziehen. Doch dann erreichte ihn die Einladung des Kanzlers, der im November vergangenen Jahres mit einer Wirtschaftsdelegation nach China reiste, und schon war's um Demuth geschehen. Die guten Vorsätze, die lang geplante Pensionierung mit 65 - alles vergessen. Demuth begann, Chinesisch zu lernen und fasste den Plan, einen neuen Markt zu erobern.
Während der Spracherwerb eine langwierige Angelegenheit bleibt, war der Partner für ein Jointventure schnell gefunden. Der Möbelhändler Red Star ist in China etabliert, hat aber veraltete Produktionsanlagen. "Seine Fabrik sah aus wie ein Museum", so Demuth. Schnell wurde man sich handelseinig.
Polsterpionier und Möbelmacher
Inzwischen sind alle Details geklärt. Demuth investiert ebenso wie Red Star 3,2 Millionen Euro in das Werk in der Stadt Changzhou (Provinz Jiangsu). Die neue Fabrik wird voraussichtlich im Mai 2005 in Betrieb genommen. In dem Werk mit 130 Beschäftigten sollen Sofas und Polstermöbel aus Stoff und Leder hergestellt werden. 70 Prozent der Möbel seien für den Export vor allem nach Japan und in andere Länder Asiens vorgesehen, sagt Demuth.
In 2005 soll der Umsatz bereits 4,8 Millionen Euro betragen. Das ist zwar nur ein Bruchteil des Schieder-Gruppenumsatzes, der im vergangenen Jahr eine Milliarde Euro betrug. Aber Demuth träumt im Reich der Mitte von einer Nachfrage, die es in Deutschland schon lange nicht mehr gibt: "In China können wir 30 Prozent Wachstum erzielen - im Jahr."
Mit der Expansion nach China folgt der Schieder-Lenker einer Strategie, die sein Wirken als Unternehmer seit Jahrzehnten begleitet: er versucht, auf seinem Gebiet Pionier zu sein. Als erster Möbelproduzent in Deutschland begann der gelernte Industriekaufmann bereits 1966, den zwei Jahre vorher zusammen mit seinem Schwiegervater gegründeten Betrieb im beschaulichen westfälischen Ort Schieder-Schwalenberg bei Detmold auf Fließbandarbeit umzustellen. Damit konnte er die Wünsche der möbelhungrigen Wirtschaftswunderdeutschen billiger und schneller befriedigen als seine Wettbewerber.
"Ikea-Chef Kamprad ist ein harter Verhandlungspartner"
Als das Geschäft in Deutschland erlahmte, hielt Demuth nach lohngünstigeren Ländern Ausschau und wurde Ende der 70er Jahre in Polen fündig. "Wir sind schon sehr früh in den Osten gegangen. Das hat uns bei der Privatisierung der kommunistischen Wirtschaft geholfen, erster Kandidat zu sein" so der experimentierfreudige Unternehmer.
Inzwischen hat die Schieder-Gruppe weitere Werke in den europäischen Schwellenländern und Russland. Für gute Gewinne im Ausland sorgen auch die dortigen Gesetze. "In Polen haben wir zehn Jahre Steuerfreiheit genossen, in Kroatien und Bosnien ist der gesamte Exportumsatz steuerfrei", freut sich Demuth.
Trotzdem kann er mit der Entwicklung des Geschäftsverlaufs nicht wirklich zufrieden sein. Umsatz und Gewinn stagnieren, der Löwenanteil des Geschäfts wird noch im deutschen Markt erwirtschaftet, und da, so Demuth, "ist keine Musik drin." Außerdem macht ihm die Konkurrenz zu schaffen, und die Branche leidet unter sinkenden Margen.
Also übt sich Demuth in der Flucht nach vorn. Aber egal wohin er sich wendet, einem Wettbewerber muss sich der Westfale immer wieder stellen: "Ikea war unser Kunde, als wir in Polen anfingen. Aber wir haben uns schnell auseinander gelebt", so Demuth. Auch mit Ikea-Chef Ingvar Kamprad hat Demuth Geschäfte gemacht. "Herr Kamprad ist ein äußerst harter Verhandlungspartner. Ich kenne ihn jetzt seit 20 Jahren und bin ihm immer wieder begegnet."
"Ikea greift in das innere Gefüge einer Fabrikation ein"
Nach seinen ersten Erfahrungen ist Demuth unterdessen vorsichtiger geworden. "Ein Konzern wie Ikea greift sehr stark in das innere Gefüge einer Fabrikation ein. Herstellern wird vorgeschrieben, bei welcher Fabrik zum Beispiel Stoffe gekauft werden müssen. Das ist eine Abhängigkeit, die ein Unternehmen unserer Größe nicht vertragen kann." Die Folge: "Wir versuchen immer dort zu sein, wo Ikea nicht ist."
Bisher ist das der Schieder-Gruppe gelungen. Selbst in Russland, obwohl Ikea auch dort eine Fabrik bauen will. Nur in China hat der skandinavische Einrichtungsdiscounter noch kein Werk. Dort firmieren die Kaufhallen der schwedischen Möbelkette unter dem Namen "Yi Jia Jia Ju", "Gemütlich zu Hause wohnen", aber noch ist Demuth Pionier in der Möbelproduktion.
Selbst wenn Ingvar Kamprad dereinst dem Deutschen in Fernost in die Quere kommen sollte, wird das Demuth nur noch am Rande berühren. Im Oktober werden die stellvertretenden Geschäftsführer Samir Jajjawi und Franz-Josef Golüke die Leitung der Schieder-Gruppe übernehmen. Demuths Sohn Jan Hendrik will ins Geschäft einsteigen, wenn er sich auf eigenem Terrain die Hörner abgestoßen hat.
Allein das China-Geschäft wird Demuth auch während seines Ruhestandes noch eine Weile begleiten. Erst in zwei Jahren will der Schieder-Chef dann endgültig den Möbeln Adieu sagen und sich seiner zweiten Leidenschaft widmen: dem Segeln. "Wir sind sechs Freunde, einer ist dabei, der die Quetschkommode spielt, ein Italiener, der kocht, sowie ein Grieche und ein Türke. Aber das Wichtigste an Bord sind unsere Weine." Wer weiß - vielleicht erreicht Rolf Demuth in ferner Zukunft auf eigenem Kiel die fernen Gestade Chinas - als Segelpionier und vor Ingvar Kamprad.