Die Malik-Kolumne
Talent und Potenzial sind nicht genug
Die Jagd der Unternehmen nach High Potentials gleicht dem Tanz um das goldene Kalb. Vergessen wird: Talent allein ist keine Leistung. In gut geführten Firmen verlässt man sich nicht auf Potenziale, sondern legt den Schwerpunkt auf die Lösung von Aufgaben.
Eine der größten Irreführungen der vergangenen Jahre im Personalwesen wurde durch den großsprecherischen Slogan vom "War for Talent" herbeigeführt. Schon das martialische "War" sollte stutzig machen. Wenn schon Krieg, dann ist es eher ein "War for Performance" als "for Talent", ein Krieg um Leistung.
Inzwischen gibt es kaum eine Präsentation von Personalleuten ohne das Wort "Talent". Fragt man, was gemeint sei, gibt es keine brauchbaren Antworten: "... irgendwie Begabung"; " ... jemand, der eben gut ist ...". Man sollte aufhören, von "guten Leuten" zu reden. Gut wofür? muss die Frage sein.
Ich schlage vor, im Personalwesen ohne das Wort "Talent" auszukommen. Es lenkt einmal mehr - wie so oft im heutigen Management-Verständnis - die Aufmerksamkeit auf das Außergewöhnliche, das Seltene, das Besondere. Im Duden ist unter "Talent" zu lesen: "Anlage zu überdurchschnittlichen geistigen oder körperlichen Fähigkeiten auf einem bestimmten Gebiet; angeborene besondere Begabung." Das ist vielleicht für das Showbusiness brauchbar, aber nicht für Management.
Nicht Talente, sondern Resultate zählen
Ich leugne nicht, dass es Talente gibt. Ich bestreite aber, dass sie im Management und für den Erfolg eines Unternehmens wesentliche Bedeutung haben. Im Management sind nicht Talente, sondern Resultate erforderlich. Jeder kennt genügend Leute, denen man Talent zuschreiben kann, die es aber trotzdem nie zu etwas gebracht haben. Und man kennt das Gegenteil: Menschen, die kaum eine nennenswerte Begabung haben - und dennoch ganz Erstaunliches leisten.
Wenn man schon nicht ohne das Wort "Talent" auskommen will, dann sollte man sich wenigstens auf die Nutzung von Talenten konzentrieren, denn nicht das Talent ist wichtig, sondern was man daraus macht.
In dieselbe Kategorie wie "Talent" und mit diesem häufig gleichbedeutend verwendet, fällt das Wort "Potenzial", insbesondere in der beliebten Steigerungsform der "High Potentials" für "viel versprechende Leute". Mein Vorschlag ist auch hier, statt auf Potenzial auf Performance zu achten und statt von "High Potentials" von "Best Performern" zu sprechen.
Entgegen landläufiger Meinung ist das nicht dasselbe. Potenzial ist eine Möglichkeit, ein Versprechen, nicht selten - wie sich oft herausstellt - ein leeres Versprechen, etwas, worauf man vielleicht hoffen kann. Performance hingegen ist Leistung, etwas bereits Nachgewiesenes, etwas, worauf man bauen kann.
Mit gewöhnlichen Menschen außergewöhnliche Leistungen erbringen
Das Einzige, was man zutreffend bestimmen kann, ist die Leistung, die jemand schon erbracht und die Stärken, die er oder sie dabei unter Beweis gestellt hat. Alles andere ist Vermutung, Hoffnung, Projektion.
Das Wesentliche ist, dass es - im Gegensatz zu vollmundigen Behauptungen von Pseudoexperten - keine brauchbaren Methoden gibt, um Potenzial als solches zuverlässig zu erkennen. Wir können immer nur von schon erbrachten Leistungen auf zukünftige Leistungen schließen. Daher muss die bereits gezeigte Leistung im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen und nicht ein ominöses Potenzial.
Was man braucht, ist nicht eine Liste von Potentials, sondern eine Liste von Performern, aus denen man auswählen kann, wenn Positionen zu besetzen sind. In gut geführten Firmen verlässt man sich nicht auf Potenziale. Man kann das Wort als solches verwenden, aber man muss darauf achten, was gemeint ist. Die einzige Grundlage für Potenzialbeurteilungen sind reale Leistungstests und praktische Bewährungsproben.
Im Vordergrund steht die Aufgabe, nicht der Mensch
Noch etwas ist wesentlich: Mit beiden Begriffen - Talent und Potenzial - ist verbunden, dass die Aufmerksamkeit ausschließlich auf die Person gelenkt wird, als ob in ihr die Voraussetzungen für Erfolg zu finden wären. Man übersieht, dass für Wirkung und Erfolg aber zwei Elemente wichtig sind: Das eine ist die Person mit ihren spezifischen Stärken; das andere ist die spezielle Aufgabe, die zu erfüllen ist.
Wenn man Menschen zu Leistung bringen will und Ergebnisse für das Unternehmen braucht, dann müssen die Stärken von Menschen mit den Aufgaben zur Deckung gebracht werden. Es ist zwar nicht leicht, aber doch viel leichter, Aufgaben zu verändern als Menschen. Durch die Fixierung auf die Menschen vergisst man sonst das zweite Element, die Aufgabe.
Die gut geführten Unternehmen legen den Schwerpunkt auf die Aufgaben. Damit erzielen sie durchschlagende Erfolge, und zwar mit ganz gewöhnlichen Leuten, denn auch sie haben weder Universalgenies noch High Potentials in ausreichender Zahl als Mitarbeiter. Aber sie wissen, dass genau das Management ist: die Kunst, mit gewöhnlichen Menschen außergewöhnliche Leistungen zu erbringen.