Seit 144 Jahren werden in Göppingen bei Stuttgart die schönsten Modelleisenbahnen Deutschlands hergestellt. Heute wachen die drei Eigentümerfamilien der Märklin-Manufaktur mit Argusaugen über die Kultobjekte aus Halbleitertechnik und Blech. Der Lohn der Arbeit: eine treue Fangemeinde auf der ganzen Welt.
Göppingen - Wer sie kennt, hat zu den Produkten des
Familienunternehmens Märklin eine emotionale Beziehung. Er hat damit
als Kind gespielt, oder er hegt und pflegt sie jetzt noch. Oder er
bevorzugt einen der anderen Modellbahnhersteller, dann schaut er
verächtlich auf "Märklinisten" herab, so ähnlich wie BMW-Fahrer auf Mercedes-Fans.
Geschäftsführer Paul Adams fasziniert an seinem
Unternehmen, dass es "eine sehr, sehr starke Marke" ist. Märklin mit
Sitz in Göppingen östlich von Stuttgart ist zu 100 Prozent in
Familienbesitz. In den 144 Jahren ihres Bestehens hat es sich vom
Handwerksbetrieb zum international führenden Hersteller von
Modelleisenbahnen entwickelt.
"24 Gesellschafter aus den drei Familien Märklin, Friz und Safft
halten die Anteile", erklärt Adams die Struktur der GmbH. Seit mehr
als zwei Jahrzehnten sei Märklin "fremdgeführt". Zuletzt war Herbert
Safft von 1949 bis 1979 Geschäftsführer Technik. "In die Tagesarbeit
bringt sich die Familie heute nicht mehr ein", erklärt der
Geschäftsführer.
Der Kultstatus der Produkte hat immer noch eine hohe Affinität der
Mitarbeiter zur Firma zur Folge. "Sie stehen hinter der Unternehmensführung, etwa nach
dem Motto: Wenn's halt net anders geht, arbeiten wir ein bissle
mehr."
Blechspielzeug, das heute Traumpreise erzielt
Denn eines wissen alle: Märklin ist Marktführer und hat die
längste Tradition in der Branche. Sie begann, als Theodor Friedrich
Wilhelm Märklin 1859 einen Blechbearbeitungsbetrieb im schwäbischen
Göppingen gründete. Sein Sohn Eugen stellte auf der Leipziger
Frühjahrsmesse 1891 eine Aufziehbahn vor. Die Gleise in Form einer
Acht hatten eine Spurweite von 45 Millimetern. Das war die
Geburtsstunde der System-Modellbahn. Der Kunde konnte sie fast
beliebig mit Gleisfiguren nach seinem Geschmack erweitern.
Knuffig: Nebenbahnlokomotive Baureihe E 69 der Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft
Foto: Märklin
Nützlich: Hochbordwagen E 040 der Deutschen Bundesbahn
Foto: Märklin
Gewaltig: Dampflokomotive
Foto: Märklin
Niedlich: Rangierlok mit Lorenkipper für Einsteiger
Foto: Märklin
Modern: Güterlok der Reihe 659 der Österreichischen Bundesbahnen
Foto: DPA
Königlich: Dampflok der Königlich Bayrischen Staatsbahn
Foto: DPA
Königlich mit Anhang: Modell der Schnellzuglokomotive 54562
Foto: DPA
Fasziniert: Besucher der Modellbahn-Ausstellung in Köln
Foto: DPA
Märklin-Parade 1: Bitte klicken Sie einfach auf ein Bild, um zur Großansicht zu gelangen.
Die Gebrüder Märklin konzentrierten sich inzwischen auf
Blechspielzeug aller Art. Das Unternehmen wuchs durch Umsatz und
Zukauf, Märklins holten sich zwei Kompagnons mit frischem Kapital
ins Haus, die Herren Friz und Safft, und diese drei urschwäbischen
Familien führten und hielten die Firma durch gute und schlechte
Zeiten: Weltkriege, Inflationen, die Goldenen Zwanziger, das
Wirtschaftswunder und die Krise der letzten Jahre.
Im ersten Drittel
des 20. Jahrhunderts entstand Blechspielzeug, das heute mit seiner
kunsthandwerklichen Perfektion Traumpreise auf Auktionen erzielt.
Die heutige Modellbahn im weltweit am meisten verbreiteten Maßstab
1:87 wurde 1935 durch Märklin und Trix begründet, die seit einigen
Jahren unter dem Dach der Märklin Holding zusammen gehören.
Märklin wurde während des Zweiten Weltkrieges zu "kriegswichtiger
Produktion" herangezogen. Zugleich wurde aber auch Spielzeug
gefertigt. Nach dem Krieg begann Märklin zunächst mit der Produktion
ausschließlich für die amerikanische Besatzungsmacht. Für die
frierenden Deutschen wurden kleine Feueröfen hergestellt, mit denen
trotz der Brennstoffknappheit geheizt, gekocht und gebacken werden
konnte.
Seit einigen Panzerzug-Modellen aus der Nazi-Zeit hat
Märklin nie wieder Kriegsspielzeug produziert. Das wird wohl auch so
bleiben. Geschäftsführer Paul Adams meint: "Es gibt genug zivile
Themen. Und Modelle von Munitionsdepots und so weiter widersprechen
eigentlich auch dem Märklin-Slogan "Technik erfahren'."
Filigrane Details und viel Handarbeit
Filigrane Details und viel Handarbeit
Anfang der 60er kam Helmut Kilian als Entwicklungschef zu Märklin
und gab dem Unternehmen drei Jahrzehnte lang das Profil hoher
Qualität und innovativer Technik, das es heute noch prägt. Dazu
kommt wegen der filigranen Details und des erkennbar hohen Anteils
an Handarbeit noch immer eine künstlerische Anmutung der Modelle,
die Adams mit der wertvoller Uhren vergleicht: "Sie sind einfach
schön."
Antik: Elektrolokomotive aus Blech
Foto: DPA
Rar und teuer: Amerikanische Stromliniendampflok (l) und das Schweizer Krokodil
Foto: DPA
Fast vollendet: Elektrolokomotiven der Serie Swiss Collection
Foto: DPA
Prominent: Der "Hogwarts Express" aus den Harry-Potter-Filmen
Foto: Märklin
Generationenübergreifend: Das Christmas Starterset
Foto: Gebr. Märklin & Cie. GmbH
Imposant: Spur-1-Lok mit Echtdampfantrieb der Baureihe 89
Foto: DPA
Königlich en miniature: Lokomotive der Reihe S 3/6 der Königlich Bayerischen Staatsbahnen im Maßstab 1:87
Foto: DPA
Aufwändig: Lok auf "Spur 1", der sogenannten Königsspur
Foto: DPA
Märklin-Parade 2: Bitte klicken Sie einfach auf ein Bild, um zur Großansicht zu gelangen.
Aus den ehrwürdigen Hallen in der Stuttgarter Straße in Göppingen
kamen im Lauf der Jahrzehnte neben Eisenbahnen Autos, Schiffe,
Flugzeuge, Puppenküchen, Zeppeline, Metallbaukästen und mächtige
Dampfmaschinen. Aber seit einigen Jahren sind es im Wesentlichen
Modelleisenbahnen.
Die Loks dampfen, hupen und pfeifen
Noch heute werden wesentliche Teile der kleinen Loks und Wagen nach in Handarbeit gefertigt, aber sie sind zugleich ein
High-Tech-Produkt, vollgestopft mit Elektronik und
Halbleitertechnologie, die vielfältige Steuerungsmöglichkeiten
zulassen. Die Loks dampfen, hupen und pfeifen. Sie kuppeln
ferngesteuert Züge ab oder senken ihre Stromabnehmer. Sie werden zu
28 Prozent exportiert. In der EU sind die Benelux-Länder und
Frankreich, darüber hinaus die Schweiz und die USA bedeutende
Märkte.
Die Arbeit Tausender von Mitarbeitern durch fast anderthalb
Jahrhunderte füllt inzwischen dicke Hochglanz-Bildbände, unzählige
Kinderzimmer und Sammlervitrinen. Nicht zu vergessen Kataloge von
Auktionen in aller Welt. Sogar in
den Räumen der renommierten Kunsthalle Tübingen drehten bis Mitte Februar nicht nur die Züge
ihre Kreise. An den Wänden hing auch ein kunstgewerblicher Schatz,
der gerade erst aus den Tiefen der Archive gehoben wurde: kolorierte
Musterzeichnungen technischen Spielzeugs aus der Zeit von 1860 bis
1890. Unterdessen gibt es einen Kalender mit den Zeichnungen.
Auch ohne die nostalgischen Untertöne ist die Markenbindung
selten stark: Die Clubs, die eingeschriebene zahlende Kunden
regelmäßig mit Informationen eindecken, zählen Zigtausende
Mitglieder. Die Kundenzeitschrift schafft trotz hausbackener
Aufmachung eine der höchsten Auflagen in der hart umkämpften
Modellbahnzeitungs-Branche. Stammtische für Bahnen aller Spurweiten
gibt es in der ganzen Republik, und im Internet wird rege über die
Geschäfts- und Neuheitenpolitik der Firma diskutiert.
Märklin werde jetzt seine Werkstore ein Stück weiter für
Besichtigungen öffnen, damit die Öffentlichkeit den hohen Anteil an
Handarbeit sieht, der in den Loks und Wagen steckt. "Die
Modellbahnproduktion stellt gewissermaßen eine Brücke zwischen
Manufaktur und Industriebetrieb dar. So eine Lokomotive ist wie eine
gute Uhr", sagt Adams mit dem Leuchten in den Augen, an dem man die wahren Märklin-Fans erkennt.