Unternehmenskultur "Kämpfe mit verheerenden Folgen"
mm.de:
Herr Professor Schütz, der Titel Ihres Buchs "Grabenkriege im Management" lässt Firmen zu Schlachtfeldern werden. Wer kämpft da gegen wen?
Schütz: Tatsächlich sieht es nicht gut aus in Deutschlands Unternehmen. Jeder kämpft gegen jeden: die Personalentwicklung gegen die Lohnabrechnung, der Vertrieb gegen das Marketing, die Entwicklungsabteilung gegen die Produktion. Vordergründig geht es bei den Schnittstellenproblemen um Arbeitsteilung, aber bei näherem Hinsehen offenbaren sich politische Spielchen, die sich um Macht, Karriere und Eigeninteresse ranken.
mm.de: Nach welchem Prinzip laufen die Kämpfe ab?
Schütz: Das ist immer dasselbe: Unter dem Tisch tritt man sich gegen das Schienbein. Auf dem Tisch bleiben die Vorlagen liegen.
mm.de: Welche Unternehmen sind besonders betroffen?
Schütz: Stark gefährdet sind schnell wachsende Firmen, Betriebe mit einem dünnen finanziellen oder personellen Polster und solche, die starkem Wettbewerb ausgesetzt sind. Außerdem ist besondere Vorsicht geboten bei personalintensiven Unternehmen und Firmen in liberalisierten Branchen wie Telekommunikation oder Energieversorung, in denen sich oftmals das alte Denken den neuen Marktverhältnissen noch nicht angepasst hat.
mm.de: Hört sich an, als seien Mittelständler außen vor.
Schütz: Keineswegs. Grabenkämpfe toben nicht nur in Konzernen, wie man vermuten würde. In allen Unternehmen mit mehr als einem Mitarbeiter gibt es Bruchstellen zwischen den Abteilungen, die die Arbeit enorm behindern. Die Studie hat gezeigt, dass bei Mittelständlern häufig die Führungsspitze selber der Treiber für die Kämpfe zwischen den Bereichen ist.
mm.de: Wie äußern sich die Kämpfe in der Unternehmenspraxis?
Schütz: Zum Beispiel durch Vorurteile über die gar nicht lieben Kollegen. Dies habe ich bei einer Gegenüberstellung zwischen Selbstbild und Fremdbild verschiedener Abteilungen herausgearbeitet.
Während sich beispielsweise Entwickler selbst als projektorientiert und systematisch arbeitende Kollegen einstufen, sehen Vertreter anderer Abteilungen in ihnen häufig arrogante Tüftler, die ihre Technikersprache pflegen.
Marketing-Manager verstehen sich als innovative Anwälte des Kunden, außenstehende Kollegen klassifizieren sie dagegen als hochnäsige Nebelwerfer und Verbalakrobaten. Und Controller fühlen sich als analysierende Unternehmensplaner, andere sehen in ihnen Ärmelschoner tragende Erbsenzähler, die mit spitzem Stift Ideen tot rechnen.
Rezepte gegen das Lagerdenken
mm.de: Man sollte meinen, diese Stereotype hätten sich in Zeiten des Einzugs der Political Correctness in Firmen überlebt.
Schütz: Eben nicht. Obwohl sich die Job Descriptions wandeln, halten sich die Vorurteile in den Köpfen der Menschen. Das liegt daran, dass es trotz aller Kommunikationstechnik an persönlichem Kontakt und an Transparenz mangelt.
Zudem hängen Menschen an ihren Vorurteilen. Die sind bequem und erleichtern angeblich die Orientierung im Dschungel der Unternehmenswelt. Bei Urteilen, die im Schnellverfahren entstehen, nehmen die Menschen das Risiko eines verzerrten Eindrucks billigend in Kauf. Und so findet der Unternehmenswandel in den Köpfen der Mitarbeiter erst lange Zeit nach vollzogenem Change-Management statt.
mm.de: Seit Jahren bemühen sich Betriebe, durch krossfunktionale Teams und Projektarbeit die Zusammenarbeit zwischen den Bereichen zu fördern. Tragen diese Bemühungen gar keine Früchte?
Schütz: Das hat mich auch überrascht. Denn auf den ersten Blick erfüllen Projekte alle Voraussetzungen, die dem Lagerdenken den Garaus machen können. Meine Kritik richtet sich daher auch nicht gegen das Medikament, sondern gegen die Medikation. Wie bei jeder Arznei gibt es eine Dosis, bei der sich die Wirkung ins Gegenteil verkehrt.
Das Problem ist die Inflation der Projekte. Statt Aufgaben straff in der Linie zu erledigen, werden sie abgeschoben auf das Nebengleis der Teamentscheidung - und dort sind die Beschäftigten so sehr mit den Projektaufgaben beschäftigt, dass sie kaum noch zu ihren Kernaufgaben kommen. Dieser Effekt verstärkt sich noch, weil gerade die erstklassigen Angestellten mit Projekten überfrachtet werden.
mm.de: Welche Abteilungen schießen am häufigsten quer?
Schütz: Gegen Grabenkämpfe gefeit ist kein einziger Bereich. Besonders gefährdet sind Abteilungen, die sich selbst als den Nabel der betrieblichen Welt sehen. In wirtschaftlich prosperierenden Zeiten sind das häufig Marketingleute, in eher schlechten Zeiten wie diesen wähnen sich eher die Controller im Machtzentrum.
mm.de: Welche Folgen haben die Abteilungskämpfe?
Schütz: Verheerende, leider. Und zwar sowohl für den einzelnen Mitarbeiter als auch für die Unternehmung. Bei den Angestellten kann das energieraubende Verhalten zu Magengeschwüren, Frustration, emotionaler Erschöpfung, Hektik und Aggressivität führen.
Auf Unternehmensebene stören sie das reibungslose Zusammenspiel der Kernfunktionen. Damit wirken sie sich negativ auf die Wertschöpfung aus und setzen in schweren Fällen das Überleben der Firma aufs Spiel. Ab der mittleren Managementebene aufwärts führen die Grabenkriege zu mindestens 50 Prozent Produktivitätsverlust. Und das ist noch konservativ gerechnet.
mm.de: Was können Chefs gegen das Lagerdenken in ihrem Betrieb tun?
Schütz: Um die Missstände zu beheben, sind keine neuen Managementkonzepte erforderlich. Erst recht keine neuen Strukturen oder das millionste Teamkonzept. Die Lösung ist viel nahe liegender.
Bei jedem bereichsübergreifenden Projekt sollten sich die Federführenden stets fragen, welche anderen Bereiche sie in das Boot holen müssten, um nicht mit halber Kraft gegen den Strom zu rudern. Bereichsinteressen sind also nicht zu ächten, sondern zu achten.
mm.de: Werden Unternehmen auf diese Art in Zukunft zu großen glücklichen Familien?
Schütz: Auf keinen Fall. Und das ist auch gut so. Denn Streit gibt es in den besten Familien.
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