Betrug im Amt Sonnenkönigin in der Psychiatrie
Was sich im Lauf der vier Verhandlungstage vor der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts Hanau bestätigte, ergibt das Bild eines Trauerspiels aus dem Alltag unserer Politiker. Zu beklagen ist dabei nicht nur das Versagen der unglücklichen Protagonistin.
Zur Erinnerung: Härtel galt als Prototyp einer erfolgreichen CDU-Politikerin. 1994 hatte sie sensationell das Hanauer Rathaus erobert und im Jahr 2000 für eine zweite Legislaturperiode verteidigt. Sie kam an bei den Leuten mit ihrer unkomplizierten, unkonventionellen Art und ihrer lockeren Lippe. Sie ernannte Rudi Völler zum Ehrenbürger, schunkelte mit ihm auf dem Rathausbalkon und haute im Bierzelt ordentlich auf die Pauke. Bald aber machte auch das Wort von "Queen Margret" oder von der "Sonnenkönigin" die Runde, die ihre Stadt offenbar als ihr Eigentum ansehe.
Nach der monatelangen Affäre um die Nutzung ihres Dienstwagens - damit soll sie zum Schönheitschirurgen und zum Friseur chauffiert worden sein - und um angeblich private Restaurantbesuche, die sie aus der Stadtkasse vergüten ließ, wählten die Hanauer Bürger sie am 11. Mai aus dem Amt. Freiwillig zurücktreten wollte Härtel nicht. Doch fast 90 Prozent stimmten gegen sie. Härtel, Hausfrau und Mutter von vier Kindern, war hoch gestiegen. Nun wurde sie vom Volk davongejagt.
Korruption oder organisatorische Mängel?
Das war aber noch nicht alles. Die Staatsanwaltschaft beantragte beim Amtsgericht einen Strafbefehl mit einem Bußgeld in Höhe von 12.000 Euro. Den wollte sie zwar annehmen, aber nur, um ihre Mitarbeiter zu schützen. Sie selbst trage nur die Verantwortung hinsichtlich "organisatorischer Mängel", die "individuelle Fehler" ihrer Büromitarbeiter zur Folge gehabt hätten - für die zuständige Amtsrichterin Beleg dafür, dass es mit Frau Härtels Unrechtsbewusstsein nicht weit her ist.
Das Amtsgericht Hanau verwies an das Landgericht. Dahin gehöre der Fall wegen des besonderen Öffentlichkeits- und Medieninteresses (!) und auch wegen des Umstandes, dass möglicherweise die straferhöhende Variante des Betrugs- und Untreuetatbestandes bei einer Amtsträgerin vorliege.
Am ersten Verhandlungstag, dem 28. August, verlas Härtel unter Tränen eine Erklärung: Sie habe versucht, nach ihrer Abwahl zu einem halbwegs normalen Familienleben zurückzukehren, was nicht gelungen sei. Im Supermarkt habe ein Mann ihr hinterher gerufen: "Na, Härtel, willst du wieder klauen?" Sie werde, kaum zeige sie sich in der Öffentlichkeit, beschimpft, bespuckt und angepöbelt. Im Internet habe bereits die Aufforderung gestanden, sie solle sich die Pulsadern aufschneiden.
Sie werfe sich vor, Stress bei ihren Mitarbeitern abgeladen und diese nicht unterstützt zu haben. Das tue ihr leid - sei aber nicht strafbar. Unterlagen über Spesen habe sie ihren Mitarbeitern überlassen, weil sie davon ausgegangen sei, dort würden sie ordnungsgemäß bearbeitet. Im Übrigen könne sie nicht mehr rekonstruieren, mit wem sie am 26. Februar vorigen Jahres - das ist einer der Anklagepunkte - essen gewesen sei (Kosten: 128 Euro). Im Terminkalender stehe, dass sie mit ihrer Tochter habe ausgehen wollen.
"Sicher einen dienstlichen Termin eingeschoben"
"Sicher einen dienstlichen Termin eingeschoben"
Doch diese sage, sie sei an jenem Tag in Köln gewesen. "Sicher habe ich daher einen dienstlichen Termin eingeschoben", so Härtel. Überdies habe sie damals fünf bis sieben Termine pro Tag absolvieren müssen. Mit wem sie essen gewesen sei? Privat sei das jedenfalls nicht gewesen.
Am 16. Juni 2002, der nächste Anklagepunkt, habe ein Essen für ihre Familie und Bekannte stattgefunden (rund 650 Euro). Die Rechnung ging ans Rathaus. "Eine Mitarbeiterin will mich darauf angesprochen haben. Ich aber habe keine Erinnerung mehr daran." Wahrscheinlich habe sich dieses Gespräch "zwischen Tür und Angel abgespielt - und ich habe sie unwirsch abgewimmelt".
Ein "sensibles frauliches Problem"
Dass sie sich mit dem Dienstwagen nach Warschau zu einem Arzt habe fahren lassen, ein weiterer Anklagepunkt: "Man konnte mir in Deutschland nicht helfen. Es handelte sich um ein gravierendes medizinisches Problem - das war ein politischer Fehler, das sehe ich ein. Ich ging davon aus, dass ich alle Privatfahrten im Dienstwagen vornehmen darf, denn andere städtische Beamte tun dies schließlich auch."
Zum Arzt nach Warschau? Früher sprach sie mal von "sensiblen fraulichen Problemen", die man öffentlich natürlich nicht erörtern könne. Oder von "Entzündungen in den Knien". Gemunkelt wurde allerdings von Schönheitsoperationen, von Fettabsaugen nach zu üppigen Lokalbesuchen und ähnlichem. Alles nur eine Neidkampagne des politischen Gegners?
Feststeht, dass Margret Härtel wirklich alles dafür getan hat, ihre Mitarbeiter zu verprellen. Ihre Sekretärin, die seit 1994 bei ihr gearbeitet hatte und heute pensioniert ist, eine wahrhaft treue Kraft: "Die erste Zeit war es schön, für sie zu arbeiten. Doch dann kamen Stress und Überforderung. Bei mir hat sie sich ja immer entschuldigt für ihre Ausrutscher, es hat ihr immer leid getan."
"Was waren das für Ausrutscher", erkundigt sich der Vorsitzende Richter Dr. Günter Saur. "Na ja, sie war dann ein bisschen laut." Nach der Wiederwahl habe sich Frau Härtel "völlig verändert", sie habe nicht mehr gegrüßt, sei "völlig abgedreht in eine andere Welt".
Erstmal wurde gebrüllt und getobt
Wenn etwas schieflief: Erstmal wurde gebrüllt und getobt. Mitarbeiter, Sekretärinnen wie Referenten, wurden abgekanzelt, niedergeschrieen, als "Scheißbeamte" tituliert und wegen ihrer "Unfähigkeit" beschimpft. Härtels persönlicher Referent erlitt in der Zeit drei Hörstürze. "Ich wurde von ihr für alles verantwortlich gemacht - wenn irgendwo das Klopapier fehlte oder Penner am Grimm-Denkmal herumlungerten", sagte er als Zeuge.
"Haben Sie sich mal beim Personalrat beschwert?", fragt der Vorsitzende. "Da muss ich mich selber an der Nase fassen", sagt der Zeuge kleinlaut. "Es hat sich im Prinzip jeder alles gefallen lassen. Alle hatten Angst." - "Hat sie Ihnen mit Kündigung oder mit Versetzung gedroht?", will der Vorsitzende wissen. Nein, das nicht. Sie hat ihre Mitarbeiter offenbar immer nur beleidigt.
Der dubiose Entlastungszeuge
Alles Private ist dienstlich und umgekehrt
Margret Härtel, so schildern es sämtliche Zeugen aus ihrem Umkreis, habe sich immer im Dienst gefühlt. Immer. Daher seien auch alle Restaurantrechnungen, die ans Rathaus gingen, zu begleichen gewesen. "Sie ging davon aus, dass alles dienstlich ist. Wir hatten schon den Eindruck, dass manches auch privat war." War es das? Vielleicht gingen tatsächlich nur die Rechnungen von Dienstessen ans Rathaus, es ist schwer aufzuklären im Nachhinein. "Wir waren ja nicht dabei", schränkt ein Mitarbeiter die Gewißheit ein.
In dem überdimensionierten Prozess vor dem Landgericht, der nun mit einer Ablehnung der Kammer wegen Befangenheit platzte - er kann auch so schnell mit anderen Richtern nicht von Neuem beginnen, da die Angeklagte vorerst einmal in einer psychiatrischen Klinik stationär untergebracht ist - hat sich keiner der Beteiligten mit Ruhm bekleckert. Die Staatsanwaltschaft stellte sich als Ankläger dar, den man zum Jagen tragen muss.
Die Verteidigung präsentierte einen Entlastungszeugen, der so dubios war, dass der Vorsitzende die Fassung verlor und einen ungewöhnlich aggressiven Ton anschlug, wodurch ans Licht kam, dass die Kammer offenbar das Verfahren zugelassen und eröffnet - und tagelang verhandelt - hatte, ohne die Akten vollständig zu kennen.
Was einen Aussetzungsantrag der Verteidigung zur Folge hatte, über den das Gericht geflissentlich hinwegging, was wiederum den Befangenheitsantrag der Verteidigung zur Folge hatte und so fort. Am vorletzten Verhandlungstag war es Verteidiger Michael Simon mit viel Mühe gelungen, einen neuerlichen Zeugenauftritt des italienischen Wirts zu verhindern, bei dem Frau Härtel so oft auf Stadtkosten zu dinieren pflegte.
Der Entlastungszeuge wäre peinlich gewesen
Der dubiose Entlastungszeuge hatte zuvor angegeben, im Januar oder Februar dieses Jahres habe ihm der Wirt versichert, dass Härtel die Familienfeier im Juni 2002 ganz ohne Zweifel privat habe bezahlen wollen; die Rechnung sei nur versehentlich ans Rathaus gegangen, es sei allein ein Fehler des Restaurants gewesen. Das Gericht, so steht zu vermuten, hätte den Italiener wohl als erstes gefragt, ob sein Lokal Anfang des Jahres überhaupt geöffnet hatte (hatte es nämlich nicht), und wie es dann gleichwohl zu dem Gespräch zwischen ihm und dem dubiosen Entlastungszeugen habe kommen können. Und ob der Wirt etwa zu einer falschen Aussage gedrängt wurde. Es hätte sich vermutlich Peinlichkeit an Peinlichkeit gereiht.
Nun ist die Angeklagte Härtel vorerst einmal krank. Sie mag sich in die Krankheit geflüchtet haben oder tatsächlich krank sein, ihre Situation ist in jedem Fall unerfreulich. Der ehemalige Chef der Frankfurter Psychiatrischen Universitätsklinik, Professor Hans-Joachim Bochnik, wird ein Gutachten über ihre Verhandlungsfähigkeit erstatten. Ob es dann überhaupt noch einmal einen Prozess geben wird? Wenn ja, dann nicht vor Januar 2004, verlautet aus Hanau.
OB-Neuwahl kaum von Interesse
Am kommenden Sonntag wird ein neuer OB für Hanau gewählt. Im Schatten der Härtel-Affäre hat der Kandidat der SPD die Nase vorn, natürlich. Sein Konkurrent von der CDU schied vorzeitig aus dem Rennen, weil bei seiner Aufstellung mit nummerierten Wahlzetteln gearbeitet wurde. Doch das alles interessiert das Wahlvolk nicht sonderlich, im Gegensatz zum Schicksal von "Queen Margret". Die liegt jetzt am Boden. Und auf dem Boden Liegende tritt man bekanntlich nicht.