Familie Putsch Der Sitz-Riese
Wer heutzutage den Fernseher einschaltet, kommt an den siebziger und achtziger Jahren nicht vorbei. Die Retrowelle boomt - und damit auch das Revival der Lava-Lampen, Flokati-Teppiche und Persil-Blumen. So mancher Familienvater von heute fühlt sich mit Wehmut erinnert an die Zeiten, als er sein heißgeliebtes Bonanza-Fahrrad in die Ecke stellte und aufs erste Auto umstieg - und das war oft genug ein Opel Manta. Natürlich nicht in Standardausführung, sondern - Ehrensache - als "Sport-Version" mit Rallye-Lenkrad, Alufelgen und dem obligaten Fuchsschwanz an der Teleskop-Antenne.
Je nach Geldbeutel gab es zwar den einen oder anderen Unterschied in der Ausstattung, aber eines durfte auf gar keinen Fall fehlen, wenn man im Kreis der Manta-Freunde ernst genommen werden wollte: die sportliche Bestuhlung der Karosse. Was dem Bonanza-Radler sein Bananensattel, war dem Manta-Eigner sein Recaro-Sitz.
Recaro - der Name stand für Sportlichkeit und garantierte Anerkennung und Bewunderung. Das war kein ordinärer Sitz, sondern ein Kultobjekt, ein Thron, auf dem man - lange vor der aktuellen Formel-1-Manie - sich fühlte wie ein König. Man war schlechthin King of the Road, und nur die Hosenträgergurte bewahrten einen vor dem Abheben.
Es steht zu vermuten, dass dieser Erfolg der Marke Recaro auch mit dem exotischen Sound des Namens zu tun hatte. Irgendwie klang der Name einfach klasse, er vermittelte einen Hauch von Exotik und war schon deshalb bestens geeignet, die Spießigkeit des Mantas zu kompensieren. Und jede Wette: Wenn Günter Jauch in "Wer wird Millionär?" die Frage nach dem Ursprung dieses Namens stellen würde, müsste der Kandidat, egal ob Mantafahrer oder nicht, vermutlich passen.
Wer käme auch auf die Idee, dass Recaro seinen Ursprung im Land der Schwaben hat? Dort, in Deutschlands Tüftler-Metropole Stuttgart, gründete der Sattlermeister Wilhelm Reutter im Jahre 1906 eine Karosserie- und Radfabrik, die bald die ersten Großaufträge akquirieren konnte. In den vierziger Jahren bauten Reutter und sein Bruder Albert für Ferdinand Porsche die ersten Prototypen des legendären VW-Käfers, und kurz nach Kriegsende erweiterte man die Produktion um Innenausstattungen und Sitze. So wurde aus der schwäbischen Klitsche ein anerkannter Markenartikler - und aus "Reutter Carosserien" der schnittige Name Recaro.
Vereidigung auf Firmengrundstück
Bis zur Vorstellung des ersten Recaro Sportsitzes sollten allerdings noch einige Zeit vergehen. 1965, zwei Jahre nach Gründung der Recaro GmbH, konnte man ihn erstmals auf der Internationalen Automobilausstellung (IAA) in Frankfurt bewundern. Der Gründerfamilie Reutter allerdings war nicht vergönnt, die Früchte dieses Erfolgs zu ernten. Sie hatte wirtschaftliche Probleme, die so massiv wurden, dass man sich von Recaro trennen musste. Neue Eigentümer wurden die Firmen Huber & Wagner, Metzeler und Keiper.
Letztere hatte bereits einige Erfahrung in der Auto-Industrie. Gegründet vom Hufschmied Fritz Keiper und seit 1965 im nordpfälzischen Rockenhausen ansässig, machte sich das Unternehmen unter anderem durch die Entwicklung eines Fensterhebers und einer Bremse für Fensterkurbelapparate von sich reden. Man kann davon ausgehen, dass Keipers Schwiegersohn Wilhelm Putsch seinen Teil zu diesem Erfolg beigetragen hat, jedenfalls wurde er der neue Herr im Haus, als sich der Gründer 1950 aus der Firma zurückzog.
Mitte der sechziger Jahre übernahm Wilhelms Sohn Ulrich, Vater des heutigen Keiper-Recaro-Chefs Martin Putsch, gemeinsam mit seinem Bruder Friedrich Wilhelm die Leitung des Unternehmens. Unter seine Ägide kauft Keiper 1983 alle Recaro-Anteile von seinen Mitgesellschaftern und firmiert fortan als Keiper Recaro GmbH & Co. Damit entsteht ein Markführer für Auto- und Flugzeugsitze, der bereits fünf Jahre später stolz einen Weltumsatz von rund 850 Millionen Mark vermeldet.
Ganz ohne Reibungsverluste ging es allerdings nicht ab. Mitte der achtziger Jahre kam es geschäftlich zu erheblichen Unwuchten, und das, so Putsch, "lag nicht am Markt, das lag an uns". Man hatte sich schlicht überhoben und zu viele Ziele auf einmal in Angriff genommen. Recaro wollte sich als Erstausrüster für die Automobilindustrie profilieren, seine Sitze als eigenständige Handelsmarke stärker etablieren, gleichzeitig das Geschäft mit Flugzeugsitzen ausbauen und die Markt-Präsenz in Japan und den USA verstärken. Gut gemeint, aber eindeutig zu ambitioniert. Geschäftsführer Rainer R. Thieme musste nach neun Jahren gehen und seinen Stuhl dem Eigentümer überlassen.
Gut gemeint war wohl auch Putschs Polit-Engagement Anfang der achtziger Jahre, mit dem er bundesweit für Aufsehen sorgte. Damals hatte er sich anerbietig gemacht, auf dem Rockenhausener Firmengrundstück eine Vereidigung von Bundeswehrsoldaten stattfinden zu lassen.
Sein Plan, die im saarländischen Bexbach stationierten Rekruten bei Fackelschein und Blasmusik auf Volk und Vaterland einzuschwören, kam allerdings nicht überall gut an. Willy Rothley, SPD-Bezirksvorsitzender in der Pfalz, fühlte sich erinnert an die "verhängnisvolle Verquickung von Militär und Kapital, die uns schon genug Unheil gebracht hat". Besonders unangenehm stieß den Kritikern auf, dass Fabrikant Putsch gemeinsam mit Orts-Bürgermeister Walther Werner eine Ehrenformation abschreiten wollte.
Die dritte Generation
Rückendeckung bekam Putsch dagegen vom Betriebsrat. Der damalige BR-Chef Hermann Jess brach eine Lanze für seinen Arbeitgeber und verteidigte die umstrittene Zeremonie als "Familienfeier", die allein dem Ziel diene, "die Verbundenheit unserer Kolleginnen und Kollegen mit den jungen Soldaten zu unterstreichen".
Inzwischen hat die dritte Generation das Ruder bei Recaro übernommen. Anfang April 2000 übergab Ulrich Putsch den Stab an seinen Sohn Martin, der nach dem Ausscheiden seines Bruders Andreas 99,8 Prozent der Kommanditanteile des Familienunternehmens hält.
Nach verschiedenen Umstrukturierungen, schmerzhaftem Personalabbau und dem Verkauf der Keiper Car Seating GmbH & Co. an den US-Sitzhersteller Lear firmiert das von Martin Putsch geleitete Unternehmen heute als Putsch GmbH & Co KG, die als Holding die drei Firmen Keiper GmbH & Co (Kaiserslautern) Recaro GmbH & Co (Kirchheim/Teck) und Recaro Aircraft Seating GmbH & Co (Schwäbisch Hall) zusammenfasst.