Die Malik-Kolumne Lasst falsche Theorien sterben und nicht Unternehmen
Ihre Anwendung ist begrenzt auf einige zum Glück längst nicht alle Großkonzerne und auf die Finanzwirtschaft. Im Großteil der Wirtschaft, nämlich jenen zwei Dritteln, die unabhängig von Rechtsform und Größe unternehmerisch und realwirtschaftlich geführt werden, gab es zwar Lippenbekenntnisse, aber diese Irrlehren wurden nie angewendet.
Ihre schädlichen Wirkungen müssen allerdings von allen mitgebüßt werden. Wir sollten, wie der Philosoph Karl Popper es empfohlen hat, die falschen Theorien ausrotten, statt unsere Unternehmen von primitivem Wirtschaftsdarwinismus in den Ruin führen zu lassen.
Der nachweislich falsch verstandene, dafür umso vollmundiger als "Neo" bezeichnete Liberalismus ist schneller am Ende, als ich es in einem meiner Bücher 1997 vorhersagte und schneller als je ein anderes Ordnungsmodell. Die aus ihm durch falsche Logik abgeleitete Karikatur der Unternehmensführung ist tot. Die Ruinen werden aber noch lange sichtbar sein. Es ist tragikomisch und rührend zugleich, mit welchem verbalen Heroismus nun versucht wird, den Kadaver vor der Verwesung zu schützen. Die dabei zum Vorschein kommenden Denkweisen sind grotesk.
Das System ist gut, nur die Menschen sind schlecht
Erstens, so hört man, habe nicht das System versagt, sondern die Moral. Das System sei gut, nur einige Menschen seien schlecht. Wer alt genug ist oder die Geschichte kennt, wird hier das Kernargument der unverbesserlichen Marxismusverteidiger wieder erkennen: Das System ist gut, man muss nur die Menschen verändern.
Die Frage muss aber sein, was ein System wert ist, wenn es Leute, denen es so deutlich an Moral mangelt, in so kurzer Zeit in so großer Zahl in so hohe Positionen bringt und sie dort so lange wirtschaften lässt, bis so große Schäden angerichtet sind.
Dass Moral wichtig ist und dass es dafür Regeln braucht, haben die großen liberalen Ökonomen immer behauptet. Die Forderung nach den richtigen Regeln haben die Deregulierer aber verächtlich beiseite geschoben.
Altmarxistische Denkgirlanden
Es ist bemerkenswert, dass Neoliberale jetzt altmarxistische Denkgirlanden bemühen, um ihre pseudointellektuellen Besitzstände zu bewahren, statt aus den Fehlern zu lernen, wie es sich für Liberale gehören würde.
Zweitens wird gesagt, man dürfe nicht vom Einzelfall auf das System schließen, dies sei ein induktiver Kurzschluss. Nun dürfen wir zwar vom Einzelfall des versagenden Managers nicht auf alle Manager schließen, das ist richtig und niemand - außer einigen Demagogen - hat es getan.
Der andere Schluss hingegen, vom versagenden Einzelfall der Unternehmensführung zurück auf das System ist erstens nicht induktiv und zweitens ist es die entscheidende Schlussweise, durch die die Wissenschaft vorankommt: Es ist die falsifizierende Beobachtung, die die Theorie zu Fall bringt. Auch das kann man von Karl Popper lernen.
Abgesehen davon geht es längst nicht mehr um Einzelfälle. Praktisch sämtliche, nach Shareholder-Prinzip geführten Unternehmen sind in Schwierigkeiten, während es die anderen nicht sind. Die jüngst an renommierter Stelle beklagten "strategischen Fehlentscheidungen" und "unternehmerisches Versagen" haben ihre Wurzeln exakt darin.
Den Teufel mit dem Beelzebub austreiben
Die dritte Groteske ist der Salto Mortale vom Regen in die Traufe, vom Shareholder-Ansatz zum Stakeholder-Ansatz. Die Ironie der Geschichte will es, dass jetzt nicht durch Nachdenken, sondern unter dem Druck aktueller Ereignisse - viele der bisher dogmatischen Verfechter der Shareholder-Theorie einsehend, dass ihre Lehre zu kurz greift mit staatsmännischer Manier zur großen "Reform" schreiten. Sie besteht darin, dass sie zur Stakeholder-Theorie mutieren nicht sehend und offenbar nicht wissend, dass es exakt das praktische Versagen des Stakeholder-Ansatzes war, das dem Shareholder Value seine Plausibilität verschaffte.
Der Stakeholder-Ansatz wurde 1952 von Ralph Cordiner, dem damaligen Chef von General Electric, als Antwort auf die Frage entwickelt, wem gegenüber das Management verantwortlich sei. Die Frage war richtig, die Antwort war es nicht. Sie hat zu den Corporate-Raidern der achtziger Jahre geführt und von dort zum nun ebenfalls scheiternden Shareholder-Ansatz. Deutlicher wollte man noch nie den Teufel mit dem Beelzebub austreiben.