Sozialstudie Generation Nesthocker
Was wir schon immer vermutet haben, wurde jetzt auch wissenschaftlich bewiesen: Kaum einer zieht mehr von zu Hause aus. "Der Trend zum längeren Verweilen im Elternhaus hat sich verstärkt", erklärt Stefan Weick, Soziologe am Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen in Mannheim. Er hat das durchschnittliche Auszugsalter der Geburtsjahrgänge von 1900 bis 1981 untersucht. Der Befund: Sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland sank zwar zunächst das Auszugsalter von den älteren zu den jüngeren Jahrgängen, stieg dann aber wieder an.
Der Studie zufolge nabeln sich vor allem westdeutsche Männer immer später ab. Die zwischen 1972 und 1981 Geborenen lebten durchschnittlich bis zum 26. Lebensjahr mit den Eltern unter einem Dach. Junge Erwachsene in den neuen Bundesländern dagegen ziehen mehr als zwei Jahre früher aus. Vor 25 Jahren war das noch anders: Da verließen junge Männer in Ost und West das Elternhaus bereits mit 22 Jahren.
Sind Frauen unabhängiger als Männer?
Anders ist es bei den Frauen: "Hier ist die Tendenz nach Unabhängigkeit deutlich stärker ausgeprägt", sagt Weick. Der Studie zufolge suchen sich junge Frauen heute mit etwa 22 Jahren ihre eigenen vier Wände. Zwar steigt ihr Auszugsalter auch, jedoch nicht so stark wie bei den Männern.
Ein Grund für diese Entwicklung sei, dass Jungen heute im Unterschied zu Mädchen zu Hause alle Freiheiten genießen. "Dem Zeitgeist gemäß sind Eltern vor allem ihren Söhnen gegenüber liberaler geworden", erläutert die Psychologin Christiane Papastefanou aus Ludwigshafen So könnten die Söhne kommen und gehen, wann sie wollten. Die Tochter dagegen werde aus Sorge stärker kontrolliert und noch immer mehr im Haushalt eingebunden.
Studenten hocken am längsten im Nest
Ob früher oder später ausgezogen wird, hängt auch mit der Bildung zusammen. So gebe es Nesthocker nur in höheren Bildungsschichten, erläutert Papastefanou. "Der klassische Nesthocker ist ein Student. Hier ist der Übergang zum Erwachsenenleben objektiv schwieriger geworden. " Gründe seien ein langes Studium, schlechte Berufsaussichten und der teure Wohnungsmarkt.
"Natürlich ist auch das Anspruchsniveau gestiegen, vor allem bei jungen Männern", erklärt die Forscherin. Statt für Miete gäben selbst 30-Jährige und Ältere ihr Geld lieber für ein flottes Auto oder Reisen aus. Hinzu komme, dass Eltern "in diesem Milieu" einfach nicht erwarten, dass sich die Kinder an den Kosten beteiligen, sagt die Expertin. Und auch Freunden gegenüber sei es heute keineswegs mehr anrüchig, noch zu Hause zu wohnen.
Eine WG bei Mama und Papa ist cool
Allerdings ist das lange Zusammenleben unter einem Dach oft für beide Seiten schwierig. Es fördere weder die Selbstständigkeit, noch wahre es die Intimität, erklärt Papastefanou. Dass die Freundin frühmorgens zur Freude der Eltern mit am Frühstückstisch sitzt, hält die Psychologin schlicht für ein Gerücht. Und dass der Kühlschrank von den Freunden geplündert wird, führe ebenfalls oft zum Konflikt. Zudem geben vor allem die betroffenen Mütter zu, ihren Kindern weiterhin Probleme aus dem Weg zu räumen, so Papastefanou.
Das Zusammenleben müsse deshalb ähnlich wie bei einer Wohngemeinschaft geregelt werden, empfiehlt Jürgen Wolf vom Evangelischen Beratungszentrum in München. Sein Rat: ein gemeinsamer Haushalt, aber eigene Privaträume. Eine eigene WG zu Hause? Da kann man ja ruhig noch ein paar Jahre bleiben.