Uni-Abschlussfeiern Mit Pomp, Talaren und Gospels
Frankfurt/Main - Sechs Jahre lang hatte Alexander Müller mit Fleiß für seinen Magisterabschluss in Germanistik gearbeitet, war bei seinen Professoren geschätzt. Dann kam für den 26 Jahre alten Marburger Studenten der Tag der Zeugnisübergabe. "Ein karges Vorzimmer, eine Sekretärin drückt mir das Papier in die Hand, Ende. Das war schon enttäuschend nach all den Jahren." Seinen Wunsch nach mehr Feierlichkeit und Anerkennung teilen immer mehr der Studierenden. Und langsam gehen Hochschulen darauf ein.
Mit königsblauen Talaren und fetzigen Songs eines Gospelchores feiern sich etwa die Absolventen der Bachelor-Studiengänge an der Ruhr-Universität Bochum. "Das Zeugnis zwischen Tür und Angel zugesteckt zu bekommen - das wollen unsere Studenten schon seit 1996 nicht mehr", sagt Astrid Steger, Projektmanagerin für diese Studiengänge nach angelsächsischem Vorbild. "Also haben sie die Initiative ergriffen und Talare in unserer offiziellen Uni-Farbe in den USA bestellt." Eigens zur musikalischen Untermalung gründete eine Englischdozentin den Gospelchor. Mehr als 100 Absolventen feiern so jedes Jahr ihren Abschluss mit Eltern, Freunden und Professoren.
Tradition und Identität gewinnen wieder an Bedeutung
So viel Pomp ist zwar noch die Ausnahme im eher nüchternen Deutschland. "Der Trend zur Abschlussfeier ist aber unübersehbar", sagt Werner Becker von der Hochschulrektorenkonferenz in Bonn, die 258 deutsche Universitäten und Hochschulen vertritt. "Zunehmend möchten Studenten mit einer solchen Feier gezeigt bekommen, dass die Hochschule sie ernst nimmt", sagt Becker. Auch Johanna Witte vom bundesweit aktiven Centrum für Hochschulentwicklung in Gütersloh stellt eine wachsende Verbreitung von Examensfeiern fest. "Immerhin ist das Studium eine prägende Phase der Lebenszeit. Die muss natürlich würdig gefeiert werden, auch im offiziellen Rahmen."
Im Gegensatz zu Österreich, den USA und Großbritannien, wo Hochschulen eine ungebrochene Festakt-Tradition pflegen, gab es in Deutschland noch vor zehn Jahren kaum feierliche Zeugnisübergaben. Sie verschwanden im Gefolge der 68er-Studentenbewegung, die den "Muff unter den Talaren" der Professoren bekämpfte. "Pathos sehen wir hier zu Lande wegen der nationalsozialistischen Vergangenheit ausschließlich ironisch", sagt Josef König, Sprecher der Universität Bochum. "Aber langsam tasten sich die Hochschulen wieder an Tradition und Identität heran."
Zwischen Pathos und Party
Wie viel Pathos bei der Zeugnisübergabe im Spiel ist, unterscheidet sich je nach Hochschule. Das Spektrum reicht von nüchternen, halbstündigen Treffen im Zimmer des Dekans bis zu ausgedehnten Festakten mit Blumenschmuck und Musik. Meist entscheiden die Fachbereiche allein darüber und nicht die Hochschulleitung. "Die enge Bindung zwischen Fachbereichen und Studenten ist eine Kultur, zu der wir in Deutschland ruhig stehen sollten", meint Expertin Witte.
Vielen deutschen Studenten dürfte es aber noch länger so ergehen wie Alexander Müller, dem Germanisten in Marburg. Während die Kommilitonen anderer Fachrichtungen an seiner Universität schon seit Jahren im offiziellen Rahmen feiern, bleibt der Abschied von der Alma Mater für die 2500 Studenten seines Fachbereichs weiter karg. Geld- und Zeitmangel für die Organisation der Feiern seien daran schuld, heißt es in der Verwaltung. Also weiterhin: Zeugnis bitte im Sekretariat abholen und selber Party machen.