Joe Kaeser übernimmt Wie krank ist Siemens?

Siemens-Turbine: Der Auftragseingang ist zuletzt eingebrochen
Foto: AP1. Konventionelle Kraftwerke: Leichte Unruhe im Stammgeschäft
Der Bau von Gaskraftwerken und Turbinen ist das Brot-und-Butter-Geschäft von Siemens . Der Konzern ist technologisch führend und erlöst in der Division jährlich einen zweistelligen Milliardenbetrag. In keinem anderen großen Bereich erwirtschaften die Münchener eine derart hohe Marge. Zuletzt lag sie bei 15,1 Prozent.
Ganz so rund wie gewohnt lief es zuletzt indes für Sektor-Chef Michael Süß nicht. Der Auftragseingang ist zuletzt eingebrochen, Umsatz und Gewinn sind rückläufig gewesen. Konkurrenten wie Alstom machten keine bessere Figur, der wichtigste Wettbewerber General Electric holte auf dem Gebiet aber mehr Gewinn heraus: Die Marge lag zuletzt bei 19 Prozent.
Die Amerikaner profitieren auf dem Heimatmarkt am stärksten von der gestiegenen Nachfrage nach Gaskraftwerken. Diese haben der Schiefergasboom und verschärfte Umweltvorschriften für Kohlekraftwerke ausgelöst.
In Europa, wo Siemens stark ist, liegt die Nachfrage nach den Anlagen dagegen am Boden: Gas als Brennstoff ist viel teurer als in den USA, zudem liegt der Börsenstrompreis am Boden. Auch in China ist muss Siemens größere Marktanteile von lokalen Platzhirschen gewinnen. Die Staatsführung setzt stark auf Gas, um langfristig die dreckigen Kohlekraftwerke zu ersetzen. Für Siemens soll nun ein chinesisches Gemeinschaftsunternehmen die Türen öffnen - dahinter verbirgt sich ein gewaltiges Gewinnpotenzial.
Erneuerbare Energien: Viel Mut zum Wind-Risiko

Siemens-Windrad: Bei Offshore-Anlagen geht der Konzern viel Risiko ein
Foto: Ocotillo Wind TurbineErneuerbare Energien - das bedeutet bei Siemens fast nur noch Wind. Die Margen lagen in den jüngsten Quartalen unter 5 Prozent (zuletzt waren es gerade einmal 1,6 Prozent).
Doch im Vergleich zu den Wettbewerbern steht Siemens damit gut da. Als "exzellent" bezeichnet gar Analyst Volker Stoll von der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) die Marge. Tatsächlich ist es in der Branche derzeit äußerst schwer, überhaupt Gewinne zu erzielen - wie der Blick in die Berichte von Konkurrenten wie Vestas , Gamesa oder Repower zeigt. General Electric weist für das Windgeschäft keine Zahlen aus, lässt aber durchblicken, dass das Geschäft ebenfalls profitabel sei.
Während Siemens im Geschäft mit Onshore-Windrädern ein eher kleiner Anbieter unter vielen ist, sind die Münchener bei Offshore Marktführer. Wie kein anderer Weltkonzern setzt Siemens auf das Thema Windkraft auf See. Dabei haben die Münchener zuletzt mehrfach große Aufträge an Land gezogen - so in Großbritannien, Dänemark und Deutschland. Das Geschäft gilt wegen technischer Unwägbarkeiten als hoch riskant, gleichwohl als äußerst zukunftsträchtig. Der neue Divisionschef Markus Tacke kann viel gewinnen und viel verlieren.
Vorerst nichts mehr zu gewinnen gibt es mit der Sonnenenergie, seit Siemens die verlustträchtige Solarthermie-Sparte abgestoßen hat. Die konkurrierende Fotovoltaik war am Markt nicht mehr zu schlagen. Konkurrent ABB will das ausnutzen. "Die Fotovoltaik macht rapide Fortschritte", sagt Chef Joe Hogan. Die Technik werde den Energiemix der Zukunft prägen. Die Schweizer übernahmen deshalb Wechselrichter-Anbieter Power-One - Siemens bleibt außen vor.
Stromnetze: Siemens sucht den Gleichstrom-Anschluss

Siemens Offshore-Plattformen: Seit mehreren Quartalen schreibt die Sparte hohe Verluste
Foto: SiemensDas Wort "Risiko" können auch die Mitarbeiter von Siemens' Hochspannungs-Sparte Power Transmission vermutlich im Schlaf buchstabieren. Noch heute erinnert sie jeder Zwischenbericht daran, dass sie das Geschäft mit gigantischen Umpannungsplattformen für Offshore-Windräder vermurkst und damit wohl auch ihren alten Chef Peter Löscher auf dem Gewissen haben. Die Division schreibt seit mehreren Quartalen hohe Verluste, weil die Plattformen nicht rechtzeitig fertig wurden. Chef Karlheinz Springer versucht den Laden seit einem Jahr aufzuräumen und hat zumindest auf dem Papier erste Erfolge verbucht.
Gebetsmühlenartig beschwört Siemens die guten Marktaussichten. Fast überall gebe es marode Stromtrassen, zahlreiche Länder verfügten bisher praktisch über gar kein Stromnetz. Allein - die Aufträge fallen spärlich aus, was wohl auch an der dürftigen Performance bei der Anbindung von Windkraftanlagen auf dem Meer zu tun hat.
"Siemens ist gemeinsam mit ABB führend", macht Analyst Stoll dem Konzern immerhin Mut. Allerdings: "Technologisch liegt ABB einen Tick weiter vorn." So haben die Schweizer zuletzt erstmals eine Sicherung für Gleichstrom-Hochspannungstrassen vorgestellt. Diese Technik könnte der Durchbruch für die gigantischen Elektrizitäts-Autobahnen bedeutet. Siemens muss in dem Bereich nun den Anschluss schaffen.
Medizintechnik: Aushängeschild mit Fragezeichen

Computertomograph von Siemens: Erfolg mit einfacheren Geräten für Schwellenländer
Foto: Siemens AGSpartenchef Hermann Requardt hat das einstige Siemens-Sorgenkind zur Vorzeigesparte verwandelt: Die Marge des Bereichs lag zuletzt bei 14,8 Prozent und damit deutlich über der Konzernvorgabe von 12 Prozent. Ein Sechstel des Siemens-Konzernumsatzes stammt aus der Medizintechnik. Siemens-Tomographen und Ultraschallanlagen finden sich in Krankenhäusern weltweit - ebenso wie Diagnostikgeräte in Labors. Auch Hörgeräte haben die Münchener im Programm.
Die Hauptwettbewerber von Siemens in Bereich medizinische Bildgebung heißen General Electric (GE), Philips und Hitachi , im Bereich Diagnostik zählen die Pharmafirmen Roche und Abbott zu den Konkurrenten. Zwar war die Healthcare-Sparte des großen Rivalen GE im 2. Quartal noch etwas profitabler - die GE-Gewinnmarge lag bei 16,2 Prozent. Doch insgesamt gilt Siemens Healthcare-Bereich als durchaus gesund. In den vergangenen Jahren hat Siemens stärker auf einfachere Produkte gesetzt. Das hat sich bezahlt gemacht: Vor allem in Schwellenländern wie China konnte Siemens so Marktanteile gewinnen.
Einige Risiken hält die Sparte aber bereit, auch wenn sie als vergleichsweise unempfindlich gegenüber Konjunkturschwankungen gilt. In vielen Industrieländern geraten die Gesundheitssysteme an ihre finanziellen Grenzen - deshalb müssen Krankenhäuser und öffentliche Gesundheitseinrichtungen sparen. Und das erhöht die Risiken im Medizintechnik-Geschäft.
Gut ein Drittel des Spartenumsatzes stammt aus Europa samt Russland und dem mittleren Osten, insgesamt 42 Prozent steuert Nordamerika bei. Doch gerade in den USA sind die Medizintechnikanbieter derzeit verunsichert. Bei den Amerikanern "gibt es große politische Unsicherheiten bezüglich möglicher Einsparmaßnahmen im Gesundheitssektor", sagt Commerzbank-Analyst Ingo-Martin Schachel.
Siemens Gesundheitssparte werde ihre hohen Margen zwischen 13 und 14 Prozent halten können, prognostiziert Schachel. Doch um zum echten Aushängeschild zu werden, muss die Sparte noch mehrere Quartale lang gute Zahlen abliefern - und das ist längst nicht sicher.
Industriesparte: Sparprogramm kostet Marge

Siemens-Software für Fertigungsanlagen: Der Konzern spürt die weltweite konjunkturelle Eintrübung
Foto: SiemensRund ein Viertel des Konzernumsatzes stammt bei den Münchenern nach wie vor aus dem klassischen Industriesparte. Siemens bietet hier einen ganzen Bauchladen an Produkten an - von kompletten Industrieanlagen über Antriebstechnik, Automatisierungssysteme für Fabriksanlagen, Elektromotoren in allen Größen bis hin zu spezieller Steuerungssoftware. Das Geschäft ist international: Je ein Viertel des Spartenumsatzes macht Siemens in Deutschland, im Rest Europas, in Asien und in Amerika.
Doch gerade in diesem Bereich bekommt Siemens die weltweite konjunkturelle Eintrübung zu spüren - wie auch die Konkurrenten ABB, Emerson Electric, Schneider Electric und General Electric. Industriekunden halten sich mit der Modernisierung ihrer Anlagen zurück - und das zeigt sich auch in den Siemens-Spartenzahlen. Zuletzt stagnierte der Auftragseingang, der Umsatz ging um 2 Prozent zurück - und das Ergebnis brach im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um ein Drittel ein. Trotzdem liefert der Bereich noch eine Ergebnismarge von 10,2 Prozent.
Doch zuletzt schwächelte die Industriesparte bei der Performance etwas. Seit dem Start des Siemens-Sparprogramms hinke die Marge des Bereichs hinter den Wettbewerbern her, meinen Branchenkenner. Probleme gibt es in zwei Unterbereichen: Der Markt für Getriebe und Antriebe für Windturbinen schwächelt, und im Bereich Metalltechnologie ist der Preisdruck stark gestiegen.
Und Siemens dürfte in seiner Kernsparte künftig noch mehr Gegenwind bekommen. Der derzeit ohnedies profitablere Konkurrent Schneider Electric rüstet auf - und kauft nun für vier Milliarden Euro ein Unternehmen, das Kontrollsysteme für Chemie-, Gas- und Ölanlagen herstellt.
Infrastruktursparte: Schlusslicht mit vielen Baustellen

Siemens-Hochgeschwindigkeitszüge: Produktionsprobleme verhindern pünktliche Auslieferung
Foto: SiemensDiese Sparte entstand auf Betreiben von Ex-Siemens-Chef Löscher, böse Zungen sie schon als Resterampe bezeichnet. Hier fasst Siemens sein komplettes Infrastrukturgeschäft für Städte zusammen. Dazu zählen etwa ICE-Züge, Bahnen für den Nahbereich oder die Schienen-Signaltechnik - bis hin zur Gebäudetechnik, dem Betrieb von herkömmlichen Stromnetzen oder die Energieautomatisierung - also etwa Anwendungen für das künftige intelligentere Stromnetz namens Smart Grid.
Etwas mehr als 20 Prozent des Konzernumsatzes stammen aus dieser Sparte. Doch Bereichschef Roland Busch hat derzeit viele Baustellen. Zwar stieg der Auftragseingang zuletzt wieder an, doch der Umsatz der Sparte ist im ersten Halbjahr des Geschäftsjahrs 2012/2013 um 1 Prozent zurückgegangen. Und die Marge von zuletzt -0,3 Prozent ist alles andere als erfreulich. Probleme gibt es auch in der Produktion von Hochgeschwindigkeitszügen: Siemens kann seine ICE-Züge an die Deutsche Bahn derzeit nicht ausliefern, auch bei den Eurostar-Zügen kommt es zu Verzögerungen.
Konkurrenten wie Alstom , ABB oder Bombardier stehen da etwas besser da. So kommt etwa Alstoms Transportsparte derzeit auf eine Marge von 5,3 Prozent, die Auftragsiingänge stiegen jüngst um 13 Prozent. Bombardier kam im ersten Quartal - bei nicht ganz vergleichbarer Basis - auf eine Marge von 6,7 Prozent.
Das größte Manko der Infrastruktursparte sei der Unterbereich Transport und Logistik, meint Commerzbank-Analyst Ingo-Martin Schachel. Da habe Siemens zwar viele Ausschreibungen gewonnen und wettbewerbsfähige Produkte wie den ICE. Doch an der Auslieferung hapert es ebenso wie an einem guten Projektrisikomanagement. "Das ist eine ganz große Schwäche von Siemens", sagt er. In der Sparte Infrastruktur und Städte habe Siemens auch eine geeinte Vertriebsstruktur, mit der sie Kommunen gezielt ansprechen könnten. Bisher hat die Sparte aber nicht gezeigt, dass sie von der Zusammenlegung profitiert. Hier wartet also noch viel Arbeit auf den neuen Chef.